Wenn Schattenmächte weichen. Judith Berger

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Название Wenn Schattenmächte weichen
Автор произведения Judith Berger
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783946435112



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ihr als sie vor ihm.

      Mila ging in die Hocke. Langsam schob sie einen Zweig beiseite.

      Zwischen den Ästen hockte ein Hase. Er hatte die Vorderpfoten schützend über den Kopf gelegt und hielt sich mit den langen Ohren die Augen zu. Sein Körper zitterte.

      „Du musst keine Angst haben“, flüsterte Mila sanft. Sie zog sich ein Stück zurück. „Ich werde dir nichts tun.“

      Ein Hasenohr schob sich zur Seite und brachte ein großes, blaues Auge zum Vorschein. Der Blick schweifte umher, bis er auf Mila traf. Er erstarrte. Schwupp, schnellte das Ohr wieder vors Auge. Leises Flüstern klang von dem Fellknäuel empor: „Ich bin nicht da. Niemand kann mich sehen, überhaupt gar niemand.“

      Ein sprechendes Tier. Eines, das kaum Kontakt zu Menschen gehabt hatte. Das sich die Sprache erhalten hatte. Normalerweise mied sie diese Tiere. Sie konnten sprechen. Auch ihr Geheimnis aussprechen. Doch etwas in Mila hielt sie da. Vielleicht war es, weil das Häschen immer noch vor sich hinmurmelte.

      „Niemand kann mich sehen …“

      In Milas Mundwinkeln zuckte ein Lachen. „Hmmm … Wenn du ein weißes, süßes Häschen mit einer rosa Nase bist kann ich dich sehen.“

      Die Ohren flogen nach oben. Das Tier setzte sich auf und funkelte Mila an. „Ich bin nicht süß und meine Nase ist rotbraun.“

      Mila legte den Kopf schief. „Also, für mich sieht sie rosa aus.“

      „Es ist ein sehr helles Rotbraun. Vielleicht hat es einen Stich rosa drin, aber deshalb bin ich noch lange nicht süß. Ich bin ein stattlicher Hasenmann! Und wer bitteschön bist du?“

      „Ich bin …“ Sie stockte. Mit neuer Wucht brach es auf sie herein. Das Grab, der Zwerg und das dumme Versprechen das sie gegeben hatte. Hätte sie nur nie ihren Namen genannt.

      „Wer ich bin ist nicht wichtig.“ Mila senkte den Blick. „Ich muss jetzt weiter.“ Hurtig stand sie auf.

      „Moment!“ Der Hase sprang vor sie auf den Weg. Erschrocken sah er sich um und zog sich drei Schritte zurück unter einen schützenden Zweig. Nicht mehr ganz so fest klang seine Stimme hinter den Blättern hervor: „Du kannst nicht hierherkommen, herumschreien, mich aus meinem Versteck jagen und dann einfach so verschwinden, ohne mir zu sagen wer du bist. Außerdem hast du gerufen: Ich gehe nicht. Also kannst du auch nicht gehen.“

      Er war so goldig. Und wie recht er hatte. Mila bückte sich zu dem Hasen hinab. „Ich bin …“

      Angst ließ sie erneut stocken. Sie sah in die großen, blauen Augen. Vor ihr saß ein Tier, rein und klar. Ein Geschöpf des Waldes. Und dieses Geschöpf hatte ziemlich große Angst. Ein Hasenohr zitterte schon wieder. Es würde nichts geschehen, wenn sie ihren Namen aussprach.

      Sie räusperte sich. „Mila. Ich bin Mila.“

      „Und ich heiße Bamper.“

Kapitel 3 Von zitternder Hand

      Wo gehst du nicht hin?“ Die Hasenohren stellten sich neugierig nach vorne.

      „Ich gehe nicht ins Dorf.“ Milas Bauch zog sich zusammen, wenn sie nur schon daran dachte. Die Menschen, Egon, der Zwerg.

      Bamper nickte eifrig. „Gut. Sehr gut. Da sollst du auch nicht hin. Keinesfalls. Das wäre schrecklich, fürchterlich, kaum auszudenken wäre das, wenn du zu den Menschen gehen würdest. Sie sind die Allerschlimmsten!“

      Mila räusperte sich. „Darf ich dich darauf aufmerksam machen, dass ich auch ein Mensch bin?“

      „Du doch nicht.“

      Mila lachte und breitete die Arme aus. „Ich bin ein Mensch!“

      „Ich meine, du bist doch nicht gefährlich.“

      „Woher willst du das wissen? Du kennst mich gar nicht.“

      Der Hase hoppelte einen Schritt aus seiner Deckung hervor und sah Mila ernst an. „Das erkenne ich sofort. Du hast ein gutes Herz.“

      „Bamper, du bist so süß!“

      Der Hase holte empört Luft.

      Schnell warf Mila ein: „Verzeih, ich meinte, goldig … nein, herz... – einfach charmant. So, wie es sich für einen stattlichen Hasenmann gehört.“

      „Natürlich“, nickte der Hase. „Genau das bin ich. Und du bist sehr schlau, weil du nicht zu den Menschen gehst.“

      „Eigentlich muss ich ins Dorf gehen.“ Mila senkte den Blick.

      „Dann bist du dumm“, stieß Bamper aus. „Menschen sind schrecklich.“

      „Ja …“

      Mila sah wieder den rotbärtigen Egon vor sich. Seine Sklavin auf Lebzeiten, wenn herauskäme, dass Oma tot war. Doch innerlich hörte sie die Drohung des Zwerges. Bis Sonnenuntergang bringst du deine Waren in meinen Laden. Ich weiß, wo du wohnst. Mila schauderte.

      „… aber ich muss gehen.“

      „Weshalb?“

      „Weil der Zwerg sonst zurückkommt und etwas entdeckt. Dann bin ich … verloren.“

      „Versteck dich im Haselstrauch.“

      „Ach, Bamper.“ Mila schüttelte den Kopf. „Das hilft nichts.“

      „Dann fliehe. Es gibt noch andere Wälder.“

      „Du kennst doch die Menschen. Eine junge Frau ist Freiwild. Nur wenn ich wie Oma bin, eine Heilerin, bin ich hier sicher. Und nur hier in Rielau.“

      Der Hase machte einen Hüpfer auf sie zu. „Was kann der Zwerg denn Schlimmes entdecken?“

      „Das …“, Mila spürte, wie Tränen in den Hals hinaufkrochen, „… ist ein Geheimnis.“

      „Verstehe.“ Bamper blickte nach unten. Dann schüttelte er den Kopf. „Das ist nicht gut.“

      „Was?“ Mila schluckte.

      „Ich mag Geheimnisse nur, wenn ich sie kenne.“ Bampers Augen sahen sie ernst an.

      In Mila tobte es. Sie konnte es ihm nicht sagen. Es war zu gefährlich. Er konnte sprechen. Er konnte es ausplaudern. Die Tränen stiegen bis zu ihrer Nase. „Ich kann dir nicht davon erzählen.“

      Bamper nickte. „Und was sagt deine Oma, die Heilerin, dazu? Sie will bestimmt nicht, dass du zu den Menschen gehst.“

      Nun stiegen die Tränen bis zu den Augen. Mila blinzelte. „Ich weiß nicht, was sie will.“

      Wie gerne würde sie Oma um Rat fragen. Wie gerne würde sie in ein Haus kommen, in dem Oma sie erwartete. Der Duft nach warmem Kräutertee. Sie würde Oma ihr ganzes Herz ausschütten. Würde in das Gesicht mit den wunderschönen Falten schauen und würde verstanden werden. Ja, Oma würde sie verstehen. Doch da war keine Oma zuhause. Kein freundliches Gesicht. Kein warmer Kräutertee. Mila erwartete eine leere Hütte. Vollgestopft mit Fragen, was sie tun sollte.

      Nun wollten die Tränen endgültig herausbrechen. Direkt vor Bamper. „Ich muss gehen.“ Schnell drehte Mila sich um und wischte sich mit einer fahrigen Bewegung über die Augen. Der Hase sollte sie so nicht sehen.

      „Aber du wirst nicht zu den Menschen gehen, versprochen?“ Ein Zittern klang in Bampers Stimme.

      „Ich … ja … nein … ich kann nicht!“

      Sie konnte nicht darüber reden und sie konnte auch nicht bleiben.

      Mila rannte los. Weg von dem Hasen. Er verstand einfach nicht. Mila wusste selbst nicht was sie machen sollte. Was, um Himmels Willen, sollte sie bloß tun? Keine Oma. Da war nur Mila, Mila, Mila.

      Sie erreichte ihre Hütte, riss die Tür auf und stürzte ins Innere. Kaltes Nichts schlug ihr entgegen. Ein Sturm