Wenn Schattenmächte weichen. Judith Berger

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Название Wenn Schattenmächte weichen
Автор произведения Judith Berger
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783946435112



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Es heißt, sie sei sehr krank.“

      „Kriemhild!“

      „Kind, es wäre so schön, wenn du uns im Laden besuchen würdest.“ Sie watschelte auf Mila zu. Ignaz griff sie am Oberarm und riss sie zurück.

      „Frau, schweig endlich!“

      Erschrocken blickte Kriemhild ihren Mann an.

      Der taxierte Mila mit stechendem Blick. Am liebsten wäre sie im Boden versunken. Unter ihren Füßen begannen die Ameisen wieder zu kribbeln.

      „Du bist also die Kleine der Heilerin.“

      Mila biss sich auf die Lippen.

      „Und was hast du hier zu suchen?“ Er trat einen Schritt nach vorne. „Ich meine, hier, in dieser verlassenen Wildnis.“ Seine Hand machte eine ausholende Bewegung.

      Mila sah unverwandt in die bohrenden Augen. Die Ameisen schienen ihre Beine hinauf zu krabbeln.

      Er blickte zu dem versteckten Grab. „Du hast einen Holzhaufen gemacht. Wofür?“ Es blitzte in seinen Augen. Die Ameisen waren in Milas Bauch angekommen. Ignaz spürte ihre Angst das sah Mila genau. Der Zwerg schnüffelte dieser Angst nach, wie ein Wolf einem verletzten Reh.

      Seine Hand hob sich zu einem der Äste auf dem Haufen, während er sie unverwandt anstarrte. Die Ameisen erreichten Milas Brust. Sie schnappte nach Luft.

      Kriemhild patschte ihrem Mann auf die Hand. „Na, zum Feuer machen natürlich, Dummerchen. Schau sie nur mal an. Das zerrissene Kleid, der rote Umhang ist auch nur ein Fetzen und dieses selbst zusammengeflickte Schuhwerk hat nicht mal den Namen verdient.“

      Kriemhild trat auf Mila zu und fasste ihre Hand. „Kind, du musst unbedingt in unseren Laden kommen. Bring Salben mit und vor allem das Lebenselixier. Hast du noch davon? Ein Fläschchen und du darfst dir alles aussuchen was dein Herz begehrt.“

      Mila schluckte. Ignaz sah sie noch immer bohrend an. Er stieß ein drohendes Knurren aus. „Und ich frage, was sie in diesem Wald tut.“

      „Natürlich sucht sie Kräuter“, sprudelte Kriemhild, „wie es sich für eine kleine Heilerin gehört. Und sie wird uns davon in den Laden bringen, richtig Kindchen?“

      Mila sah von den braunen Kugelaugen zu den hämischen Schlitzen und wieder zurück. Ignaz machte einen weiteren Schritt auf sie zu. „Wird sie das?“

      Die Ameisen verbrannten ihr beinahe die Kehle. Die Angst hatte sich wie eine bleierne Decke auf sie gelegt. Der Zwerg, der ihr nur bis zur Schulter ging, war zum Riesen geworden und die Angst wuchs unaufhaltsam weiter. So unaufhaltsam, wie Ignaz sich ihr näherte, dem waidwunden Reh.

      Er würde sie packen, ins Dorf schleppen und Egon ausliefern. Er witterte was los war.

      Um Mila herum war es still. Selbst Kriemhild schien für einen Moment die Luft anzuhalten. Mila sah nur die grauen Augen ihres Jägers. Noch ein Schritt, dann würde er sie erhaschen. Milas Angst explodierte. Sie war größer als die Angst vor dem Dorf, tiefer als die Gefahr des Roten Egon. Da war nur ihr Jäger und sie.

      „Wird sie zu uns in den Laden kommen?“

      Auge in Auge. Milas Kopf wog zentnerschwer. Langsam nickte sie.

      „Haha“, Kriemhild lachte auf, „siehst du, ich sag es doch. Sie wird kommen und uns Ware liefern. In unseren Laden.“ Kriemhild nahm Mila am Arm und drehte sie mit sich um. „Komm Kind, du kannst gleich mitgehen. Ich zeige dir den Weg. Du bist ja ganz kalt.“

      „Und wie soll sie ihre Waren holen?“

      „Stimmt“, Kriemhild stieß ein meckerndes Lachen aus, „aber natürlich. Das habe ich ganz vergessen. Du musst zuerst nach Hause, um die Salben zu holen.“

      „Und du musst eine Ziege suchen, Frau“, bellte Ignaz.

      Kriemhild zog eine Schnute. „Aber Schatzelchen, das ist doch jetzt nicht so wichtig.“

      „Natürlich ist es wichtig. Du suchst diese blöde Ziege und zwar auf den Feldern, nicht im Wald.“

      „Wir suchen gemeinsam.“

      „Nein, ich habe keine Zeit. Ich gehe weiter.“

      „Du musst schon los? Ich dachte das Treffen beginnt erst in der Na...“

      Ignaz trat ihr mit voller Wucht auf den Fuß.

      „Au!“, schrie sie auf. „Das hat weh getan!“

      „Wirst du wohl den Mund halten, Weib?“

      „Aber …“

      „Schweig!“

      Kriemhild klappte ihren Mund zu.

      Ignaz wandte sich schwungvoll Mila zu. „Und du, Mädchen, bringst uns noch vor Sonnenuntergang von deinen Kräutern, verstanden?“

      Mila nickte.

      Er trat an sie heran, hob den Kopf und flüsterte zu ihr hinauf: „Wir haben ein Häuschen im Wald gesehen. Ich weiß, dass du dort wohnst. Also spute dich, sonst hole ich dich eigenhändig mitsamt deinen Kräutern ins Dorf.“

      Ihr wurde kalt.

      Der Zwerg drehte sich um und marschierte von der Lichtung. In die entgegengesetzte Richtung aus der er und seine Frau gekommen war.

      Mila stand neben Kriemhild und sah zu, wie Ignaz zwischen den Bäumen verschwand. Ihr Blick glitt über die Lichtung, das grüne Gras, den Haufen unter dem Omas Grab lag. Heimlich und versteckt. Nichts war mehr wie vorher. Die Ruhe und der Frieden waren von der Lichtung verschwunden.

      „Ich muss gehen“, stieß Mila aus. Sie wandte sich um und rannte in den Wald hinein. Ihr Kopf war heiß. Tränen wollten herausbrechen. Als sie den ersten Schluchzer hinunterschluckte, flötete Kriemhild von weitem: „Bis heute Abend. Und vergiss das Lebenselixier nicht.“

Kapitel 2 Weiße Begegnung

      Sie rannte und rannte. Ihre Haare peitschten gegen ihre Wangen. Das rote Schultertuch wurde von Ästen und Zweigen festgehalten. Zerrissen. Dornen zerkratzten Milas Beine, doch es war ihr gleich. Sie rannte blind in den Wald hinein. Rannte dem Zwerg davon, seiner Drohung und der ganzen Lichtung.

      Und sie wollte nicht weinen. Nicht wegen eines Zwerges. Nicht wegen Oma und schon gar nicht wegen des Sturmes, der in ihr tobte. Mit dunklen, mächtigen Gewitterwolken.

      Keuchend blieb Mila stehen. Sie wollte nicht ins Dorf, wollte nicht unter all die Menschen und keinesfalls wollte sie den Laden des Zwerges betreten.

      Sie wollte in ihrem Wald bleiben. Bei den Tannen und den Vögeln. Ihre Ruhe haben. Sie wollte die Ruhe der Lichtung zurück. Doch die Ruhe war nirgends. Überall herrschte Aufruhr. In ihr. Um sie.

      „Ich gehe einfach nicht hin“, stieß sie aus und wusste, noch während die Worte auf ihren Lippen lagen, dass es nicht ging. Ignaz würde in ihre Hütte kommen. Er würde keine Oma vorfinden. Und er würde wissen, dass Mila alleine war. Er würde sie noch am selben Abend zu Egon, ihrem Vormund schleppen. Und dann wäre sie seine Sklavin. Egon würde ihr niemals die Freiheit des Erwachsenseins geben.

      Und wenn sie doch ins Dorf ging? Ihr Magen krampfte sich zusammen. Sie hatte Angst vor den Menschen. Ihren Fragen. Wie geht es deiner Oma? Warum haben wir dich so lange nicht mehr gesehen?

      Was sollte sie sagen? Die Angst zog sich hinauf und legte sich wie ein Band um ihren Hals. Sie wollte nicht gehen. Sie konnte nicht bleiben. Es zerrte sie hin und her. Immer stärker. Gleich würde es sie in Stücke reißen!

      „Und ich gehe doch nicht hin“, platzte es aus ihr heraus. „Ich gehe nicht dorthin!“

      Wütend trat sie mit dem Fuß einen Stein fort. Er flog durch die Luft und landete raschelnd im Gebüsch. Wie eine weiße Kugel schoss ein Tier zwischen den Blättern heraus, flitzte über den Weg und verschwand im nächsten Strauch. Stille