Pine Ridge statt Pina Colada. Katja Etzkorn

Читать онлайн.
Название Pine Ridge statt Pina Colada
Автор произведения Katja Etzkorn
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783948878122



Скачать книгу

dass er sie auch schlagen würde. Eines Abends wurde daraus traurige Gewissheit, als sie mit Hämatomen, Platzwunden und einer schweren Gehirnerschütterung in der Notaufnahme eingeliefert wurde. Die Klinikleitung hatte Markus daraufhin fristlos gekündigt, und Sannah reichte die Scheidung ein. Jonas konnte nur zu gut verstehen, dass sie seitdem nichts von Männern im Allgemeinen und Kollegen im Besonderen wissen wollte. Er hatte das immer respektiert und ihr hilfreich zur Seite gestanden.

      Bei Sannah angekommen, sah Jonas zum ersten Mal ihre kleine Villa. Sie war alt, mit verspielten Details, Gauben und Bogenfenstern. Eine kurze Treppe führte zur Eingangstür mit Schnitzereien und geschliffenem Glaseinsatz. Rosensträucher säumten den Weg und einen Großteil des Gartens. Idyllisch unter Kastanien gelegen, wirkte sie wie ein Relikt aus längst vergangenen Tagen, das die Zeit verträumt hatte. Jonas lächelte, dieses Haus passte zu Sannah. Sie luden die Einkäufe aus dem Auto, und Jonas folgte ihr in die Küche. Sie deutete auf eine Tür, hinter der sich der Tiefkühler verbarg. Er räumte seine Pizzen ein, während sie den Teekessel auf den alten Gasherd stellte.

      „Hast du Lust auf eine kleine Führung?“, bot sie an.

      „Führung ist wohl der richtige Ausdruck“, meinte er fasziniert.

      „Ich komme mir vor wie im Museum.“

      Die Decken waren hoch, mit Stuck verziert. Die Böden bestanden aus Eichenholzdielen und in Flur, Küche und Bad aus weißen und schwarzen Steinfliesen. Die Badewanne hatte sogar noch Füße in Form von Löwenpfoten. Alle Räume waren liebevoll mit Antiquitäten möbliert. Jonas fühlte sich in eine andere Zeit versetzt. Im Wohnzimmer stand ein alter Flügel mit gedrechselten Beinen und geschnitzter Notenablage. Überall standen Tiffany-Lampen und tauchten die Räume in ein gedämpftes, behagliches Licht.

      Jonas deutete auf den Flügel. „Darf ich?“, fragte er vorsichtig. Sannah nickte nur stumm und strich mit ihren Fingern zärtlich über den schwarzen Lack. Jonas setzte sich und begann zu spielen. Als die melancholische Melodie von Claire de Lune durch die Räume schwebte, stiegen Tränen in ihre Augen, die seltsam entrückt in die Ferne blickten. Der scharfe Pfiff des Wasserkessels riss Sannah aus ihren Erinnerungen.

      Nachdem sie gemeinsam das Abendessen vorbereitet hatten, saßen sie mit einer Tasse Tee vor dem Kamin, der wohlige Wärme verbreitete. Sannah hatte zu ihrer fröhlichen Art zurückgefunden.

      „Ich wusste gar nicht, das du so gut spielst“, sagte sie lächelnd. Jonas blickte betrübt zu Boden. „Wenn ich gewusst hätte, dass ich dich damit zum Weinen bringe, hätte ich es gelassen.“

      Sannah schüttelte den Kopf. „Nein, schon gut. Der Flügel gehörte meiner Mutter. Seit ihrem Tod hat niemand mehr darauf gespielt. Es war schön, ihn wieder zu hören.“

       Cowboys und Kuhfladen

      Es klingelte an der Tür. „Jetzt geht es rund!“, rief sie gut gelaunt. Annegret stürmte, sonnengebräunt und eingehüllt in eine Wolke Parfum, durch die Tür. Annegret Marquardt, genannt Anne, war der Prototyp einer Karriere-Barbie: Groß, blond, attraktiv, erfolgreich, energisch und mit allen Wassern gewaschen, ließ sie sich kein X für ein U vormachen. Aber sie hatte auch eine verborgene Seite. Fürsorglich, mütterlich und stets besorgt wachte sie über die Menschen, die ihr lieb und teuer waren. Während Sannahs Scheidung hatte Annegret für sie gekämpft wie eine Löwenmutter um ihr Junges. Sie hatte Markus vor Gericht in der Luft zerfetzt und bluten lassen.

      Stürmisch drückte sie Sannah an sich. „Ach, Süße, ist das schön dich zu sehen. Das nächste Mal musst du mitkommen. Es war todlangweilig. Nur Rentner und Quallen.“

      „Nein, danke!“, wehrte Sannah lachend ab. „Ich habe andere Pläne.“

      Annegret warf ihren Mantel auf den Stuhl und machte ein erstauntes Gesicht. „Habe ich in der kurzen Zeit etwas verpasst?“ In diesem Moment kam Jonas grinsend um die Ecke, und sie hob erstaunt die Augenbrauen.

      „Wie es scheint, habe ich tatsächlich etwas verpasst“, stellte sie fest, lächelte gefährlich und musterte Jonas von oben bis unten. Er hielt ihrem Blick amüsiert stand.

      „Das ist Jonas. Mein Kollege!“, sagte Sannah mit Nachdruck.

      „Geht ihr doch schon mal ins Wohnzimmer! Ich hole das Essen.“

      Während des Essens berichtete Annegret von ihren Urlaubserlebnissen. Schrill, bunt und wortgewandt schilderte sie ihre Kämpfe mit Quallen und älteren Herrschaften, die bereits morgens um sechs die Liegestühle am Pool mit Handtüchern besetzten. Sannah und Jonas lachten Tränen, als sie berichtete, wie sie den Handtüchern den Garaus bereitet hatte.

      Nach dem Essen erklärte sich Jonas freiwillig bereit, den Abwasch zu machen, und verschwand in der Küche.

      „Erklärst du mir jetzt mal, was hier los ist?“, fragte Annegret mit vielsagendem Blick.

      Sannah machte ein unschuldiges Gesicht. „Nichts ist los. Jonas ist mir beim Einkaufen zugelaufen. Er war schon halb erfroren, da hab ich ihn mitgenommen“, schilderte sie kichernd und erntete einen strafenden Blick von ihrer Freundin.

      „Er ist ein lieber Kollege“, fügte Sannah hinzu.

      „Ist er Kollege McDreamy oder Kollege McSexy?“, hinterfragte Annegret mit einem vielsagenden Grinsen, schenkte Wein nach und lümmelte sich aufs Sofa.

      „Weder noch“, antwortete Sannah bestimmt.

      „Schade, ich hatte gehofft, du hättest endlich mal einen netten Kerl kennengelernt und würdest wieder anfangen zu leben“, resümierte Annegret enttäuscht.

      Sannah verdrehte die Augen. Da war er wieder, der Spruch. Diesmal in der Variante Nr. 256.

      Jonas war mit dem Abwasch fertig und kam mit einer Schüssel voll Schokolade und Toffees wieder ins Wohnzimmer. Sannah schenkte ihm ein dankbares Lächeln, nicht nur für die geleistete Hausarbeit, sondern vor allem, weil er sie davor bewahrte, dass Anne dieses leidige Thema noch weiter vertiefen konnte. Dafür ließ er die nächste Bombe platzen.

      „Jetzt erzähl doch mal von deinen Urlaubsplänen!“, forderte er Sannah auf, während er anfing Schokolade zu futtern.

      Annegret riss begeistert die Augen auf. „Du willst in Urlaub fahren? Es geschehen noch Zeichen und Wunder! Endlich hörst du mal auf meinen Rat“, jubelte sie. „Wo willst du hin?“

      Sannah nahm einen Schluck Wein. „Ich fahre für drei Monate auf eine Ranch in South Dakota.“

      Annegret entgleisten die Gesichtszüge. Sie hatte Mühe sich wieder zu sammeln. „Aha, und ich nehme mal an, dieser charmante Mensch“, sie deutete auf Jonas, „ist dein behandelnder Ohrenarzt?“

      „Wieso Ohrenarzt?“, fragte Sannah irritiert.

      „Weil ich dir drei Wochen Villa Palma empfohlen habe und nicht drei Monate Valla Pampa!“

      Jonas fing schallend an zu lachen und ließ dabei fast die Schüssel mit der Schokolade fallen. Annegret rettete sie mit beherztem Griff und machte sich über die Toffees her.

      „Um die Handtuch-Brigade in ihre Schranken zu weisen?“, verteidigte sich Sannah. „Nein, danke! Du hast selber gesagt, es war langweilig. Nur Rentner und Quallen.“

      Jonas rang nach Luft. „Kein großer Unterschied zu Cowboys und Kuhfladen“, bemerkte er lachend. Bei dem Wort „Cowboys“ wurde Annegret hellhörig. Sie kannte Sannahs Vorliebe für Pferdeställe. Während der Studienzeit hatte sie oft genug ihre liebe Not gehabt, Sannah vom Misthaufen wegzuzerren oder sie aus dem Sattel zu bekommen.

      „Wenn man auf Dreck und Schweiß steht“, meinte sie und grinste schalkhaft in Sannahs Richtung.

      Sannah betrachtete die beiden anderen auf dem Sofa. Da saß sie nun, die Rentner-auf-Qualle-Fraktion. Süßigkeiten futternd, mit der gleichen gespannten Haltung, gemeinsam die Schüssel haltend. Sie musste grinsen. Die zwei waren sich offensichtlich einig. „Was zum Teufel willst du da?“, fragte Jonas.