Pine Ridge statt Pina Colada. Katja Etzkorn

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Название Pine Ridge statt Pina Colada
Автор произведения Katja Etzkorn
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783948878122



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kochte vor Wut, ließ sich aber nichts anmerken. Die erste Runde ging an den Papier fressenden Amtsschimmel.

      Sie nahm noch einen Schluck Tee, rief im Büro ihres Chefs an und vereinbarte einen Termin für den nächsten Tag. Als sie abends unter der Dusche stand, ließ sie sich das heiße Wasser wohlig über die Schultern laufen und legte sich einen Schlachtplan für das bevorstehende Gespräch mit ihrem Chef zurecht. Priv. Doz. Dr. Dr. Hartmut Schröder, Chefarzt der Chirurgie. Er verlangte viel, auch von sich selbst, schätzte Einsatzbereitschaft und Professionalität und sah sich gern als väterlichen Förderer, solange niemand Mist baute. Was allerdings manchmal dazu führte, dass er seine ganze Abteilung behandelte wie einen Haufen unmündiger Teenager.

      Sannah beschloss, genau dort anzusetzen. Sachliche Argumente, eine kleine Portion Kindchenschema und einen winzigen Hauch Sexappeal. Zufrieden drehte sie das Wasser ab und stieg aus der Dusche. Nach dem Abtrocknen fiel sie in ihr Bett. ‚Endlich Licht am Ende des Tunnels‘, dachte sie und schlief ein.

      Am nächsten Morgen erwachte Sannah zum ersten Mal seit langem ausgeruht und frisch, hatte von Pferden geträumt und fühlte sich geradezu euphorisch. Sie hatte keinen Zweifel daran, dass ihre spontan getroffene Entscheidung die richtige war. Das bevorstehende Gespräch mit Dr. Schröder versetzte ihr nur einen mäßigen Dämpfer. Entspannt gönnte sie sich ein ausgiebiges Frühstück und genoss das Gezwitscher der Vögel in ihrem Garten. Nach dem Nachtdienst hatte sie einen Tag frei, und der Termin war erst am Nachmittag; sie konnte sich also Zeit lassen. Was wohl Anne von ihren Reiseplänen halten würde? Sannah erschrak, sie machte Pläne und hatte vor lauter Begeisterung darüber noch nicht einmal mit dem Verein telefoniert. Was, wenn ihr jemand zuvorgekommen war? Sie griff zum Telefon. Nach dem Gespräch lehnte sie sich beruhigt zurück. Es hatte sich bisher noch niemand gemeldet, und die Dame am Telefon war erfreut zu hören, dass sich nun doch jemand finden würde. Sie hatten sich darauf geeinigt, dass Sannah am späten Nachmittag noch einmal anrufen sollte. Ein paar Vorabinformationen hatte sie auch schon bekommen. Die Ranch, auf der alles stattfinden sollte, lebte von Pferdezucht und der Ausbildung von Jungpferden. Reitunterricht fand, wegen der strengen Winter in South Dakota, nur in den Sommermonaten statt. Sie würde ein Zimmer im Wohnhaus beziehen und dort auch verpflegt werden. Das Ganze für dreißig Dollar pro Tag. ‚Selbstkostenpreis‘, dachte Sannah. Dafür bekam man hier gerade mal ein Abendessen. Sie gönnte sich eine weitere Tasse Kaffee und träumte ein wenig vor sich hin.

      Am frühen Nachmittag lief sie die Treppe hinauf und durchforstete ihren Kleiderschrank nach einem passenden Outfit. Sie entschied sich für ein dunkelblaues Etuikleid mit dazugehörendem Gehrock. Erzkonservativ. High-Heels sorgten für den winzigen Hauch Sexappeal und betonten ihre schlanken Beine. Ein Paar für den hanseatischen Stil obligatorische Perlenohrringe rundeten das Bild ab. Fertig war die Karriere-Barbie. Zufrieden betrachtete sie ihre Auswahl. Sannah konnte umwerfend aussehen, für den täglichen Weg zur Arbeit machte sie sich diese Mühe allerdings nicht. Aber heute ging es um die Wurst. Es galt ein Bündnis mit „General“ Schröder zu schmieden um dann mit fliegenden Fahnen die Personalabteilung zu stürmen. Sie schlüpfte in ihr Kleid und legte etwas Make-up auf. Eine helle Tagescreme ließ ihren dunklen Teint etwas blasser erscheinen, brauner Lidschatten und Mascara betonten ihre ohnehin schon ausdrucksvollen Augen, und ein farbloses Lippgloss vervollständigte die Kriegsbemalung. Ihr knapp schulterlanges Haar umrahmte ihr Gesicht. Zufrieden betrachtete sie ihr Spiegelbild. ‚Das würde Schröder gefallen‘, dachte Sannah. Sie suchte ihre Überstundenabrechnung aus einem Ordner und machte sich auf den Weg in die Klinik.

      Vor Dr. Schröders Büro atmete sie noch mal tief durch und straffte die Schultern, bevor sie anklopfte. Sie betrat das Vorzimmer des Chefs. Es roch nach Kaffee und seinem markanten Aftershave.

      „Hallo, Dr. Hammeken“, wurde sie von der Sekretärin begrüßt.

      „Sie können gleich hineingehen, der Chef ist schon da.“

      Sannah lächelte dankbar und klopfte pro forma noch mal am Türrahmen zu Schröders Büro.

      „Susannah, kommen Sie rein.“ Schröder hatte sich hinter seinem Schreibtisch, dem Bollwerk der Macht, verschanzt und lehnte selbstzufrieden in seinem Sessel. „Was kann ich für Sie tun?“, fragte er lächelnd und deutete auf einen Stuhl.

      Während Sannah auf dem angebotenen Stuhl Platz nahm, glitt sein Blick wohlwollend über ihre schlanke Gestalt.

      „Vielen Dank, dass Sie sich Zeit für mich nehmen“, begann sie.

      „Ich will Sie auch nicht lange aufhalten. Wie Sie sicher wissen, hatte ich in den letzten zwei Jahren einige persönliche Schicksalsschläge zu bewältigen.“

      Schröder nickte und wurde ernst. Das war ihm nicht entgangen. Erst die Scheidung von ihrem gewalttätigen Ehemann und kurze Zeit später der Verlust ihrer Eltern. Er hatte damals befürchtet, sie würde unter dieser Belastung zusammenbrechen. Aber sie hatte durchgehalten und sich zurück an die Oberfläche gekämpft. Dafür zollte er ihr Respekt und Hochachtung.

      „Ich habe mich in die Arbeit gestürzt, um nicht darüber nachdenken zu müssen“, fuhr sie fort. „Das hat mir bislang auch geholfen, aber jetzt brauche ich dringend eine Auszeit, um durchzuatmen und den Kopf freizubekommen.“

      Schröders Gesichtsausdruck wurde nun besorgt, er unterbrach sie aber nicht.

      „Die Personalabteilung forderte mich auf, meinen Resturlaub des vergangenen Jahres zu nehmen, und ich würde gern noch meine Überstunden und einen Teil meines diesjährigen Urlaubsanspruches dranhängen. Kurz: ich hätte gern drei Monate Urlaub.“ ‚So, nun war es raus‘, dachte sie erleichtert.

      Dr. Schröder entspannte sich sichtlich und lachte kurz auf. „Jagen Sie mir nie wieder so einen Schrecken ein, Susannah. Ich hatte gerade befürchtet, Sie würden mir gleich Ihre Kündigung auf den Tisch legen.“

      Sannah lächelte verlegen. „Tut mir leid, wenn ich diesen Eindruck vermittelt habe. Nach dem Gespräch mit Herrn Jansen war ich etwas angespannt.“

      Schröder nickte und verdrehte dabei die Augen. Feldwebel Jansen war im ganzen Haus berüchtigt. „Nehmen Sie sich so viel Urlaub wie nötig“, sagte er mit dem üblichen väterlichen Unterton. „Aber tun Sie mir noch einen Gefallen. Nächste Woche fängt ein neuer Kollege an, und es wäre mir sehr wichtig, dass Sie ihn noch einarbeiten, bevor Sie in den Flieger steigen. Halten Sie noch einen Monat durch?“

      Sannah machte eine beruhigende Handbewegung und nickte eifrig. „Natürlich, kein Problem“, versicherte sie.

      Schröder erhob sich von seinem Sessel und begleitete Sannah ins Vorzimmer.

      „Den Jansen überlassen Sie mal getrost mir. Um den werden wir uns schon kümmern“, äffte er den Personalchef nach.

      „Vielen Dank für Ihr Verständnis“, sagte sie und schenkte ihm ein dankbares Lächeln.

      „Lassen Sie noch Ihre Überstundenabrechnung hier“, meinte Schröder und bat seine Sekretärin, bei Jansen anzurufen.

      „Wo soll´s überhaupt hingehen?“, fragte er Sannah.

      „Nach South Dakota“, antwortete sie.

      „Was in aller Welt wollen Sie da denn? Da gibt es doch nur Gras und Himmel.“

      Sie strahlte ihren Chef an. „Genau! Ist das nicht toll?“ Auf dem Weg nach Hause jubelte Sannah. Nicht nur, dass ihren Plänen nun nichts mehr im Wege stand, Dr. Schröder hatte ihr auch die Schlacht mit Jansen abgenommen. Das war mehr als sie gehofft hatte. Zu Hause angekommen, gab sie dem Verein grünes Licht und man einigte sich schnell auf einen Reisetermin. Alle weiteren Einzelheiten würde man ihr per Post zusenden. Sie bestellte sich ein Abendessen beim Chinesen, schließlich musste der Triumph gefeiert werden. Während Sannah auf das Essen wartete, suchte sie im Internet die passenden Flugverbindungen raus, füllte das ESTA Online-Formular für ein Touristenvisum aus und buchte die Flüge. Fertig, nun gab es kein Zurück mehr. Sie brauchte nur noch den Koffer packen.

       Gerüchteküche