Unbeugsam – ein außergewöhnliches Leben zwischen Ost und West. Dr. Werner Resch

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Название Unbeugsam – ein außergewöhnliches Leben zwischen Ost und West
Автор произведения Dr. Werner Resch
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783991075325



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die Überraschung, Rechtsanwältin Anna Maria Paicu sagte lächelnd: „Ich denke, Sie kommen heute raus.

      Ich habe alle Unterlagen und Gesetze genau studiert, 2 Bedingungen sind nach rumänischem Gesetz nicht erfüllt, Sie waren nicht bei dem Verfahren in Torino anwesend und Sie haben keine Adresse in Italien!“

      Natürlich beides richtig.

      Die Richterin kam pünktlich und nahm, wie Zarin Elisabeth im frühen 18. Jahrhundert, auf dem Thron Platz.

      Die „Raben“ hatten sich erhoben, ich stand bereits und meine Polizisten blieben sitzen.

      Ich wurde gefragt, ob ich mit der Auslieferung nach Italien einverstanden sei, wie in der ersten Verhandlung, ein klares „Nein“ von mir, „ich will nach Deutschland“.

      Der Staatsanwalt, ein Neuer, Andries Gabriel, erhielt das Wort.

      Nur ein Satz „Übergabe an die italienische Behörde sowie Verhaftung für eine Dauer von 30 Tagen“. Das ging schnell.

      Anna Maria Paicu lehnte in einer sehr guten Rede die Auslieferung nach Italien ab, da ich nicht an der Verhandlung teilgenommen habe, ich keinen Wohnsitz in Italien habe und ein genannter italienischer Anwalt in einer anderen zivilrechtlichen Angelegenheit für mich gearbeitet hat.

      Ich habe das letzte Wort und betone, dass ich mit den Ausführungen meiner Anwältin völlig übereinstimme. Völlig ungeplant, instinktiv, habe ich dann noch eine Erklärung zugefügt.

      Ich habe mich bei der Polizei von Suecava im Gefängnis bedankt, für die korrekte und gute Behandlung in der Haft.

      Die „schwarzen Raben“ sofort munter, es kam ein Klopfen auf den Tischen auf, die Richterin lächelte, alle nahmen an, ich mache einen zynischen Scherz.

      Ich betone, ich meinte es völlig ernst, das hat es vor Gericht in Suecava noch nicht gegeben. Meine 4 Polizisten haben das natürlich im Gefängnis unter Kollegen verbreitet.

      Ich werde noch öfter daraufhin angesprochen und der Respekt für die Kette: Deutscher – Schmeisser – Alter – Anna – Sport, stieg immer mehr, aber dafür habe ich meinen Dank vor Gericht wirklich nicht ausgesprochen.

      Für mich war die Verhandlung damit unterbrochen, bis zur Verkündung des Urteils am Nachmittag. Zur Urteilsverkündung war ich allein im Saal mit Anwältin und Dolmetscherin.

      Urteil lautet: Auslieferung nach Italien. Im Gegensatz zur Auffassung der Verteidigung gibt es keinen Grund zur Ablehnung. Tatsächlich am Prozess in Italien nicht teilgenommen.

      Aber es gibt die Adresse eines Anwaltes in Torino, die als das persönliche Domizil für Verfahrensmeldungen gilt.

      Eine wunderbare Konstellation für die Überstellung nach Italien.

      Abschied von Andrea und der Anwältin. Andrea will ich als Frau Doktor in Jena wiedersehen.

      Die Anwältin sagte zum Abschied: „Hier wurde eindeutig ein Fehlurteil gefällt. Sie dürfen nicht ausgeliefert werden. Sie haben erklärt, auf keinen Fall, Widerspruch einzulegen, also für die Richterin keine Gefahr, dass dieses Urteil aufgehoben wird.“

      In Deutschland habe ich mit Andrea inzwischen telefoniert und mich noch einmal für die Hilfe bedankt. Die Promotion an der Universität Jena geht langsamer voran, als geplant. Andrea hat mit 30 Jahren inzwischen ihr 4. Kind bekommen.

      Ich war gerade aus dem Gefängnis von Suecava über Bukarest nach Rom gebracht worden, da brach in Rumänien eine gewaltige Häftlingsrevolte aus, die im Hochsicherheitsgefängnis von Lasi begonnen hatte und bald auf die meisten Gefängnisse übergriff.

      Die Gefangenen hatten im TV von den Aufständen erfahren, bevor die Fernseher überall in den Gefängnissen abgestellt wurden.

      Dann ging es erst richtig los. Zum Teil mussten Spezialkommandos die Ruhe wiederherstellen.

      Die Proteste richteten sich gegen den Strafvollzug, schlechte Verpflegung, überfüllte Gefängnisse, schlechte medizinische Betreuung. Die Missstände im Strafvollzug beschäftigen immer wieder den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.

      Ein Häftling hat sogar 100.000 € Schadensersatz für die schlechten Haftbedingungen erhalten. Ich kann das alles aus eigenen Erlebnissen vollständig bestätigen. Im Dezember 2017 hat das deutsche Bundesverfassungsgericht die Auslieferung eines Rumänen verboten, der in Rumänien verurteilt wurde.

      Mein Rechtsanwalt Gerlinger hat mehrfach den Antrag gestellt, in meinem Fall die Haftzeit von 5 Wochen im Härteausgleich im Verhältnis: 1–2 bei der Berechnung der Strafzeit anzuerkennen.

      Keine Antwort vom Landgericht Düsseldorf, so unterschiedlich beurteilen Gerichte die Lage von Gefangenen in Rumänien oder nehmen die Situation überhaupt nicht zur Kenntnis.

      Die Anträge meines Anwaltes gingen von Düsseldorf zum Landgericht Berlin und dann zum Landgericht Bielefeld. Beide Gerichte stellten fest, dass nur das Landgericht Düsseldorf entscheiden kann. Dabei ist es geblieben, keine Entscheidung.

      Mein Leben im Gefängnis ging weiter, am 1. Juli um 10 Uhr, begann der Transport nach Italien. Auf einmal ohne Handfesseln in einem Transporter, alter rumänischer Dacia, nur 2 Polizisten als Begleitung, die ich gut kannte. Tatsächlich herzlicher Abschied von den Polizisten im Büro der Leitung, mit der Bemerkung: „Ich bin bald frei. Achtzigjährige dürfen in Italien laut Gesetz nicht inhaftiert werden.“

      Ich glaubte an nichts mehr, ich hatte recht.

      6 Stunden Fahrt zum Airport Bukarest. Auf der schmalen Bank und bei ständigen Kurven wurde mir schlecht, hatte ich nie im Leben in einem Fahrzeug gehabt.

      Im Liegen ging es besser, Polizisten brachten mir eine Decke. 2-mal musste für dieses Superauto auf der Fahrt Motoröl nachgefüllt werden, aber wir kamen an. Aufenthalt im Keller der Polizeistation ohne Fessel, sofort Tee gebracht, alle sehr höflich und nett, bin ich im Paradies? Einer der Beamten der Flughafenpolizei blätterte in meinem Führerschein und fragte: „Ist Ihr Führerschein für Motorrad 1956 aus Freiberg in Sachsen? Dort war ich auch!“ Verbindung Rumänien/DDR in der alten Zeit, wir gaben uns die Hand. Die Atmosphäre konnte nicht besser sein. Etwa 17 Uhr kamen zwei junge, lockere, sympathische italienische Polizisten von Interpol, sprachen perfekt Englisch. Ohne Fessel in das Flugzeug von Alitalia, letzte Reihe, ein Platz in der Mitte frei, dann ein Polizist, auf der anderen Seite des Ganges der zweite Polizist.

      Wir haben viel über Deutschland, Italien und die Welt geredet.

      Eine sehr schicke Stewardess, grünes Kostüm, rote Handschuhe, brachte Essen nach Wunsch.

      Die beiden Polizisten tranken Rotwein, ich nur Wasser, Disziplin!

      Das Leben in der Freiheit ist wunderbar! Landung in Rom nach einem sehr schönen Flug, in einer neuen Welt.

      Die Überraschungen sollten erst noch kommen.

      An dieser Stelle eine Bemerkung zur Justiz in Rumänien.

      Das Problem: Justizsystem und Gerichte sind die größten Probleme in der Innenpolitik Rumäniens, und der Hauptpunkt der Kritik in der Zusammenarbeit in der Europäischen Union.

      Seit der Wende 1990 wurde ständig an einer Verbesserung des Systems gearbeitet. Einige mehr westlich orientierte Regierungen haben auch Verbesserungen des Systems, insbesondere im Kampf gegen die Korruption, erreicht.

      Insbesondere die Schaffung der Anti-Korruptions-Staatsanwaltschaft DNA unter der erfolgreichen Leitung von Laura Cotarata Kövesi brachte den Durchbruch. Von 2014–2017 wurden etwas mehr als 2000 Fälle schwerwiegender Korruption vor Gericht gebracht. Hier liegt aber das Problem. Die dem Namen nach sozialdemokratische PSD hat Ende 2016 die Parlamentswahl gewonnen. Die erste Amtshandlung der PSD-Regierung war eine Eilverordnung, nach der Amtsmissbrauch erst von einem Schaden mehr als 45.000 € strafbar sein sollte. Rumänien reagierte mit den größten Demonstrationen seit der Revolution von 1989. Hintergrund ist eine Entscheidung des obersten Gerichts, dass der Vorsitzende der PSD, Dragnea, zu 3 ½ Jahren wegen Anstiftung zum Amtsmissbrauch verurteilt wurde.

      Dragnea