ein lautes Krachen von sich. Sie erstarrte mitten in der Bewegung und starrte ängstlich zu den Männern hinunter. Keiner von ihnen sah zu dem heimlichen Beobachter hinauf. Mit pochendem Herzen zog sich Elynia wieder ein Stück zurück. Sie musste vorsichtiger sein. Und auch ohne selbst zu sehen, was der Waldführer gefunden hatte, konnte sie aus seiner zufriedenen Miene schließen, dass es sich um die gewünschte Fährte handelte. Bestätigt wurde diese Annahme dadurch, dass sie sich sogleich weiter ins Dickicht begaben. Und Elynia folgte ihnen auf dem Fuß, zwei Schritte über ihren Köpfen. Der Waldmann führte sie immer weiter, bis direkt in das Herz des Waldes. Die Bäume hier hatten lange, gerade Stämme und waren ob ihres Alters sehr hoch, daher befand sie sich schon bald dreieinhalb Schritte über den Männern, sodass sie nicht mehr hören konnte, was gesagt wurde. Sie erreichten eine kleine Lichtung. Dort lag gut sichtbar auf einem bemoosten Findling ein rotes Samttuch, welches mit goldenen Ornamenten bestickt war. Die Männer stürzten sich sogleich auf den Halsschmuck und bewunderten lachend ihre Siegestrophäe. Jetzt blieb Elynia als einzige Möglichkeit offen, die beiden zu überwältigen und ihnen das Tuch abzuluchsen. Aber die muskulösen Staturen der Männer ließen sie daran zweifeln, ob es ihr tatsächlich gelingen konnte. Gerade baldowerte sie einen gewagten Plan aus, da ertönte ein tiefes Knurren. Hinter dem Felsen schob sich ein mächtiger schwarzer Bär aus einer Höhle, die man von der Seite, von der aus sie die Lichtung erreicht hatten, nicht hatte sehen können. Der wütende Waldbewohner machte auf die Elfe einen äußerst aggressiven Eindruck. Hatten die beiden Männer vielleicht zuvor noch mit dem Gedanken gespielt, sich auf einen Kampf einzulassen, war diese Idee in eben jenem Moment verworfen, in dem sich der Bär vor ihnen auf die Hinterläufe aufrichtete, sodass er selbst den größeren Mann weit überragte und mit seinen Pranken brüllenden durch die Luft fuhr. Während die Männer sich postwendend zur Flucht wandten, zögerte Elynia, ihnen zu folgen. Einer Intuition folgend verharrte sie in der Baumkrone, bis der Bär die Verfolgung aufnahm und von der Lichtung verschwand. Mit plötzlicher Eile sprang sie von ihrem Ast und landete mit katzenhafter Leichtfüßigkeit auf dem harten Waldboden. Ein rascher Blick über die Schulter genügte ihr, um sich zu vergewissern, dass der Bär tatsächlich nicht zugegen war. Flink schlüpfte sie in den dunklen Höhleneingang. Der Geruch von Moder schlug ihr entgegen und als sie weiter ins Höhleninnere vordrang, schallte jeder ihrer Schritte krachend von den Wänden wieder. Angewidert blickte sie zu Boden und erkannte einen dichten Teppich aus alten, abgenagten Knochen. Die früheren Opfer des Bären. Hauptsächlich erkannte Elynia Tierüberreste, Hirsche, Rehe und selbst Wildschweine, aber auch mindestens drei Menschen oder Elfen waren dem Tier schon zum Opfer gefallen. Elynia konnte aber auch angesichts solcher Hürden nicht zimperlich sein beim Vordringen, denn mit jeder Sekunde, die verstrich, konnte der Bär zurückkehren und dann schwanden ihre Chancen, mit heiler Haut zu entkommen, weiter. Aber das Wagnis hatte sich gelohnt. Mit einem freudigen Aufschrei fand sie zwischen den Knochen, wonach sie gesucht hatte. Ein schmutziges, graubraunes Tuch, welches vom vielen Tragen ganz ausgefranst war. Und in einer Ecke, feinsäuberlich angebracht, die Initialen Qw. Sie hatte das wahre Halstuch des Gnoms gefunden. Zufrieden packte sie es unter ihr Hemd und trat dann zügig den Rückweg an. Keine Sekunde zu früh verließ sie die Höhle, denn aus dem Dickicht trottete der heimkehrende Bär. Mit einem Anflug von Erleichterung stellte Elynia fest, dass von seiner Schnauze kein Blut troff, das von einer frischen Mahlzeit zeugte. Jetzt blieb ihr nur noch, einen großen Bogen um den Waldbewohner zu schlagen und zum Trainingsgelände zurückzukehren. Nichts kam ihr in den Weg und als sie aus den Bäumen trat, waren schon alle anderen wieder versammelt, einschließlich des Kommandanten. Doch den zermürbten Gesichtern der anderen war leicht zu entnehmen, dass sie allesamt aufgegeben hatten. Neugierig suchte sie nach den beiden Männern und fand sie am Rand stehend. Im Gegensatz zu den übrigen sahen sie nicht nur enttäuscht, sondern regelrecht außer sich vor Zorn aus. Der größere trug einen blutigen Verband um den Kopf, ganz so, als wäre er mit einem schweren Stock verprügelt worden. Nicht weit entfernt fand Elynia auch die Ursache. Der Zwerg, welcher sich am Morgen nach der Erlaubnis, Waffen zu tragen, erkundigt hatte, hielt das edle Tuch in den Händen. Am Stiel seiner Axt klebte Blut. Als Elynia sich am Rand der Gruppe postierte, wirkte der Kommandant zufrieden. Dann sah er sie, einen nach dem anderen, grimmig an.
»Ihr alle habt versagt«, stellte er kalt klar, »und ich spreche in erster Linie nicht von jenen, die einfach aufgegeben haben, denn sie haben Schande über sich gebracht und sind nicht einmal einer Erwähnung wert. Aber du!«, er deutete anklagend auf den Waldführer, »du hast bewiesen, dass du einer Fährte folgen kannst, aber wenn du deine Beute gleich darauf wieder verlierst, bist du nichts weiter als ein Arbeitsesel für andere. Du bist nicht nur nutzlos für deine Verbündeten, sondern sogar eine Gefahr für sie, denn du hilfst viel mehr den Feinden als deinen eigenen Mitstreitern! Und du!«, er deutete spöttisch auf den Zwerg mit dem Tuch, »in einer Schlacht muss man viel bedenken und es ist stets der beste Weg, seine eigenen Schwächen auszugleichen indem man den Feind für sich arbeiten lässt. Du warst dir deiner Unfähigkeit, den Spuren zu folgen, bewusst und hast deshalb andere für dich arbeiten lassen und ihnen ihre Trophäe abgenommen. Gut gemacht. Aber das bedeutet, dass du schlauer sein musst als dein Feind oder dich zumindest für schlauer hältst. Dann darfst du auch keine Unfehlbarkeit deines Feindes voraussetzen! Und deshalb hast auch du versagt.«
Der Kommandant ging zu dem Gerügten, nahm das Tuch an sich und hielt es gut sichtbar hoch.
»Was habe ich euch über den gesuchten Gegenstand gesagt? Erstens, er wurde gestohlen. Welcher Dieb würde seine Beute gut sichtbar zurücklassen, anstatt sie zu verbergen? Sicherlich keiner! Zweitens, ich sprach von Quwens Halstuch. Dem Halstuch eines einfachen Dieners, noch dazu eines Gnoms. Und was bringt ihr mir? Ein samtenes Spitzendeckchen! Ich wollte mit dieser Prüfung testen, ob ihr das habt, was einen wahren Krieger ausmacht, aber ihr habt mich allesamt enttäuscht. Jeder Bauerntölpel kann mit einem Schwert rumfuchteln. Macht ihn das zu einem Krieger? Nein! Es ist wahr, ein richtiger Krieger ist stärker als andere und besitzt einen gestählten Körper. Aber eure wichtigste Waffe in einem Kampf auf Leben und Tod ist ein wacher Geist. Ihr braucht einen Verstand, der schärfer ist als jedes Schwert, tödlicher als jede Axt. Aber euch allen fehlt es an dieser Klarsicht. Und deshalb seid ihr alle durchgefallen.«
Betretenes Schweigen machte sich breit und der Kommandant wandte sich ohne ein Wort der Aufmunterung ab. Nun war es an Elynia, sich aus der Gruppe zu lösen und einen Schritt vorzutreten.
»Sir«, rief sie den Zwerg zurück.
Dieser drehte sich stirnrunzelnd zu ihr um. Wortlos holte sie das dreckige Halstuch hervor und reichte es ihm. Kurz starrte der Kommandant sie ungläubig an, dann brach er in schallendes Gelächter aus und klopfte ihr hart auf die Schulter.
»Seht her!«, schrie er immer noch brüllend lachend, »Es gibt anscheinend doch einen Schlauen unter euch! Oder eher eine. Ihr stolzen, strammen Männer seid allesamt von einer zarten Elfe besiegt worden! Ich hoffe, das ist euch eine Lehre.«
Dann verschwand er in bester Laune.
So war Elynias Morgen verlaufen. Nun, zur Mittagsstunde, betrat sie den großen Saal. Direkt neben dem Eingang passierte sie den größeren der beiden Männer, um dessen Haupt ein frischer Verband lag. Er strafte sie mit einem zornigen Blick. Sie beachtete ihn nicht weiter, nahm sich einen sauberen Teller und belud ihn mit Bratkartoffeln. Doch gerade als sie sich einen freien Platz suchen wollte, traf sie ein kräftiger Stoß in den Rücken. Elynia stolperte einen Schritt vorwärts und schaffte es gerade noch, das Gleichgewicht zu halten. Aber ihr Teller segelte in hohem Bogen zu Boden, wo er klirrend zerschellte. Die Kartoffeln spritzten in alle Richtungen und plötzlich verstummten die Gespräche im Saal und alle Rekruten, Novizen und Meister starrten sie an. Das Blut schoss ihr in die Wangen und mit hochrotem Gesicht machte sich Elynia daran, die Sauerei zu beseitigen. Dabei fiel ihr Blick auf die Ursache des Unfalls hinter ihr. Auf den Waldführer. Beim Anblick des gehässigen Grinsens in seinem Gesicht verwandelte sich ihre Scham in Wut. Es war mehr als offensichtlich, dass der Zusammenprall kein Versehen, sondern ein Racheakt gewesen war. Und in den Augen der anderen Rekruten sah sie Erheiterung und Zustimmung. Es schien ganz so, als habe sie am Morgen ihre letzte Chance, akzeptiert zu werden, verspielt.
»Mach dir nichts aus denen«, raunte ihr eine tiefe Stimme ins Ohr.
Hinter ihr stand einer ihrer Kameraden, einer der Zwerge, der einzige, der sich nicht allein