Название | Philosophien der Praxis |
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Автор произведения | Группа авторов |
Жанр | Философия |
Серия | |
Издательство | Философия |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783846351345 |
Die Absicht dieses Beitrags ist es, Hegels derart radikale Praxisphilosophie (über ihre historische Bedeutung hinaus) wenigstens plausibel zu machen. Hegel formuliert Praxisphilosophie als eine Philosophie des Geistes. Im ersten Schritt werden Gründe dafür gegeben, weshalb das vernünftig ist (2.); der zweite Abschnitt umreisst den methodisch „unbefangenen“ Anfang einer solchen Praxisphilosophie bei der „Wirklichkeit“ menschlicher Vollzüge, und stellt die Darstellungsprobleme vor, die sich aus diesem Vorgehen ergeben (3.). Die beiden letzten Abschnitte schließlich rekonstruieren – von der Gewohnheit über das Handeln hin zur Anerkennung und ihrem gemeinsamen Medium, der „Sittlichkeit“ – die Bestimmungen der Praxis bei Hegel (4.–5.).
|41|2. Praxisphilosophie als Geistphilosophie?
Hegel fasst die verwickelte Teilnahme an Vernunft, die unsere menschliche Lebensweise charakterisiert, unter dem Problemtitel des „Geistes“. Dieser Umweg zur Praxis hat Gründe: Dass bei Hegel das Wort „Praxis“ kaum je auftaucht, passt einerseits zum zeitgenössischen (auch terminologischen) Sprachgebrauch. Es spricht jedenfalls nicht gegen die Bedeutung, die der Begriff „Praxis“ in seinen Überlegungen spielen mag – zumal Hegel natürlich die aristotelische Leitunterscheidung von poiesis und praxis kennt (vgl. etwa seine Referate der aristotelischen Philosophie, v.a. Hegel 1833, II 132ff.), und verwandte Ausdrücke verwendet, um vergleichbare begriffliche Unterschiede zu markieren: „Tun“, „Tätigkeit“, „Herstellen“, „Produzieren“. Trotzdem sollte man Hegels Formulierungen andererseits vielleicht nicht allzu beherzt in das terminologisch scheinbar schlankere Modell der poiesis-praxis-Unterscheidung übersetzen. Erstens wäre „ein affektierter Purismus da, wo es am entschiedensten auf die Sache ankommt, am wenigsten am Platze“ (Hegel 1831, 21). Hegels differenziertere (damit aber auch deutungsbedürftige) Redeweise entspricht seiner Überzeugung, dass „Philosophie […] überhaupt keiner besonderen Terminologie“ bedürfe (Hegel 1831, 21). Hat man ein denkerisches Problem, dann lässt es sich auch in alltäglicher Rede hinreichend streng ausdrücken, und würde durch bloßes Umdefinieren allenfalls versteckt, aber nicht geklärt. Hegels Formulierungen sind zweitens vom terminologischen Modell der „Praxis“ dadurch klar unterschieden, wer oder was in ihnen jeweils als das grammatische Subjekt der Beschreibung auftaucht. „Praxis“ ist eine menschliche Angelegenheit: das Tun und Handeln menschlicher Subjekte und Personen. Wie man diese menschlichen Angelegenheiten befragt, zeichnet vor, was als brauchbare Antwort durchgeht. Zeitgenössisch wurde nach der Bestimmung (endlicher) Subjekte und ihrer Vermögen, Erkenntnis und Handeln, gefragt, und in Rücksicht auf unsere menschliche Verfassung geantwortet. Man fragte, was wir (überhaupt) können, müssen und dürfen, und versprach sich Aufklärung darüber durch die Einsicht, wer „wir sind“ (nämlich: endliche Vernunftwesen, und näher „Menschen“).
Hegel befragt die menschlichen Angelegenheiten dagegen daraufhin, was in welcher Weise getan wird. Er fokussiert auf das Tätigsein selbst. Verstehen, was auf welche Weise getan wird, ermöglicht verstehen, was den Tätigen auszeichnet – nicht umgekehrt. Diese Herangehensweise verspricht, dass wir uns als Subjekte unseres Denkens und Handelns in einer Weise verstehen, die nicht von äußerlichen („dogmatischen“, vorausgesetzten) Annahmen abhängt, sondern unbedingte („absolute“) Selbst-Erkenntnis ist. Weil man aber über solche Tätigkeit schlechterdings nicht sprechen und nachdenken kann, ohne ein tätiges Subjekt zu nennen, versetzt Hegels Darstellung die Beschreibung von Tätigkeit ins Medium des Geistes. Sie schreibt die untersuchten Tätigkeiten einem formalen Subjekt zu, einer darstellungstechnischen Kunstfigur. Weil es ihm um menschliche Angelegenheiten geht, sind die Tätigkeiten, die er beschreibt, zumindest grundsätzlich |42|nicht vom Denken unabhängig. Deshalb besetzt Hegel die Stelle des grammatischen Subjekts solcher Tätigkeitsbeschreibungen mit „dem Geist“.
2.1. „Geist“: Hegels methodische Kunstfigur
Diese Verwendung des Ausdrucks „Geist“ als eine methodische Kunstfigur, die zunächst nur formal das grammatische Subjekt von Tätigkeiten im Allgemeinen markiert, provoziert trotz aller sprachlichen Bemühungen Hegels das referenzialistische Missverständnis, der Ausdruck „Geist“ müsse auf eine Sache „in der Welt“ Bezug nehmen: z.B. eine individuelle Fähigkeit einzelner Menschen (im Sinn des engl. „mind“), oder eine geheimnisvolle transzendente Instanz (im Sinn der religiösen Rede von einem „heiligen Geist“). – Tatsächlich liegt jedenfalls das erste Missverständnis nahe. Da der Ausdruck grammatisch ein individuelles Subjekt – „den Geist“ – benennt, scheint es plausibel, dieses formale Individuum mit einem realen menschlichen Individuum zusammenfallen, und „Geist“ dessen faktische individuelle Eigenschaft oder Fähigkeit bezeichnen zu lassen. Wäre „Geist“ aber (nur) eine individuelle Eigenschaft, dann wäre prinzipiell fraglich, wie „individuelle Geister“, also die Ausprägung und Ausübung einer geistigen Fähigkeit in verschiedenen Individuen, zusammenhängen. Man könnte sich dann weder vorstellen, dass zwei Menschen nicht-zufällig denselben Gedanken fassen, oder dass sie einander aus Respekt vor ihrer Würde vernünftigerweise verpflichtet sind, weil die fraglichen geistigen Tätigkeiten bloß äußerlich zusammenhingen (gestiftet z.B. durch die Beschreibung eines unabängigen Beobachters, durch subjektives Entgegenkommen, oder ganz und gar aus Angst vor möglichen Sanktionen im Fall des Nicht-Mitspielens).
Die Kantische Vernunftkritik reagierte auf diese Herausforderung mit dem Gedanken, dass wir, auch wenn die Vernünftigkeit unseres Denken und Handelns in jedem einzelnen Fall fraglich sein mag, zumindest über die reine Idee ihres Gelingens verfügen. Wir kennen die reinen Formen des Verstandes und die reine Selbstbestimmung des Wollens als Gesetz, und das zeigt (meint Kant), dass die verschiedenen Ausübungen geistiger Fähigkeiten darin zusammenhängen, dass sie sich an einem objektiven, über-subjektiven Maßstab der Vernunft bemessen. Diese Versicherung kommt allerdings um den Preis, dass nun umgekehrt der objektive Vernunftmaßstab dem individuellen Denken äußerlich und vorausgesetzt bleibt. Versteht man, warum der Maßstab objektiv gelten kann, dann muss man zusätzlich erläutern, warum er auch für mich gilt. Im Kantischen Bild hängen die Ausübungen geistiger Fähigkeiten, die Tätigkeiten von Geistern, zwar innerlich in ihrem objektiven Maßstab zusammen, aber sie hängen sozusagen nicht aus eigener Kraft zusammen.
Hegels neuer „Geist“-Rahmen entlarvt dieses Missverständnis als ein Darstellungsproblem, indem er vorführt, wie individuelle geistige Vollzüge (Fähigkeiten und Vorgänge) in direktem Zusammenhang mit anderen Individuen stehen. Sie sind – metaphorisch gesprochen – Vollzüge vom selben Geist: Der Maßstab, in dem sie zusammenhängen, besteht nicht irgendwie von ihnen getrennt (so wie „die Vernunft“), sondern er besteht in nichts anderem als genau diesen vernünftigen Vollzügen – als der von allen, die an ihm teilnehmen, geteilte „Geist“. |43|Ein gutes Beispiel dafür ist das Sprechen: Einerseits „gibt es“ Sprache nicht unabhängig von unseren sprachlichen Äußerungen und Tätigkeiten;