Название | Philosophien der Praxis |
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Автор произведения | Группа авторов |
Жанр | Философия |
Серия | |
Издательство | Философия |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783846351345 |
So benennt Hegels Rede vom „Geist“ erstens die Fähigkeit, sich selbst als Subjekt seines Denkens und Handelns zu verstehen. Der Ausdruck „Geist“ funktioniert dann subjektiv: als Ausdruck für ein reflexives Selbst-Wissen. „Subjektiver“, als Subjekt angesprochener Geist bezeichnet den geistigen Vollzug, in dem „das, was sein Begriff ist, für ihn wird“ (Hegel 1830, § 382), man sich also als das begreift, was sich so begreift (vgl. Boyle 2011, § IV). Das wiederum beinhaltet wesentlich, sich als selbst-bestimmt zu begreifen. Natürlich findet man sich immer auch durch Anderes bestimmt; man weiß sich dann aber als nur beiläufig äußerlich bestimmt (wäre das anders, dann könnte man sich nicht als Subjekt seines eigenen Tätigseins, sondern allenfalls als Objekt irgendeines anderen Subjekts ansprechen). Deshalb ist das „Wesen des Geistes […] formell die Freiheit“ (Hegel 1830, § 382): Geistiges Tätigsein gelingt desto besser, je selbstbestimmter es ist. „Das Sein des Geistes ist ihm, bei sich, d.i. frei zu sein“ (Hegel 1830, § 385).
Solches „bei sich-Sein“ kann man sich nicht nur als durch das Tun eines individuellen Subjekts bewirkt vorstellen; ein „geistiges Individuum“ kann sich das Maß seiner Vollzüge weder selbst geben, noch es bloß vorfinden. – Das Sprachspiel des „Geistes“ zeigt aber, dass man sich geistiges Tun ohnehin nie rein individuell vorstellt. Unser geistiges Tun hat sein Maß nie nur (obzwar immer auch) in uns, sondern immer auch (aber nie nur) darin, wie man so etwas tut, d.h. in der allgemeinen Form solchen Tuns – nicht nur im subjektiven Geist, sondern auch im Geist der Tätigkeit. Deshalb muss man vom „Geist“ zweitens auch objektiv sprechen. Denn der Art, „wie man etwas macht“ (der Form dieser Handlung), begegnet man in der Welt – nicht als etwas schlechthin von uns Unabhängigem (denn ohne unser φ-en „gibt es“ die Form „wie man φ-t“ nicht), aber auch nicht als etwas einfach von je mir Gemachtem (denn ich kann nicht beliebig das, was ich tue, als gutes φ-en ausgeben). Diese objektive Beschreibung thematisiert geistige Tätigkeit „in der Form der Realität als eine[] von ih[r] hervorzubringende[] und hervorgebrachte[] Welt, in welcher die Freiheit als vorhandene Notwendigkeit ist“ (Hegel 1830, § 385): denn nur vor dem Hintergrund der Üblichkeiten und Institutionen einer solchen normativen „Welt“ ist es verständlich, subjektive geistige Tätigkeiten als besser oder schlechter zu beurteilen, ja sogar (aus „vorhandener Notwendigkeit“) unumgänglich, weil man nicht sagen kann, dass die Güte des eigenen Tuns einem bloß zustoße.
So ist man, wenn man tätig ist, beim Geist, und das heißt, bei sich. Man spricht nicht von „zwei Geistern“, sondern aus zwei unterschiedlichen Perspektiven über ein und denselben Geist. Geistiges Tätigsein „objektiv“ betrachten heißt, seine |44|allgemeine Form aussagen, die wir Individuen gemeinsam haben. Sich als Subjekt wissen heißt, aus der subjektiven Teilnehmerperspektive um das geistige Tätigsein wissen, das man mit allen möglichen Subjekten teilt und an jedem Subjekt exemplifiziert findet: „Das allgemeine Selbstbewußtsein ist das affirmative Wissen seiner selbst im anderen Selbst, deren jedes als freie Einzelheit“, als tätiges Individuum, „absolute Selbstständigkeit hat“, sich aber hinsichtlich seiner Form „nicht vom anderen unterscheidet, allgemeines und objektiv ist“ (Hegel 1830, § 436). „Geist“ besteht oder ist wirklich in dem und als das, was unserem geistigen Tun gemeinsam ist. „Diese Allgemeinheit ist […] sein Dasein. […] Die Bestimmtheit des Geistes ist daher die Manifestation. Er ist nicht irgendeine Bestimmtheit oder Inhalt, dessen Äußerung oder Äußerlichkeit nur davon unterschiedene Form wäre; so daß er nicht etwas offenbart“, was dann losgelöst von ihm da wäre, „sondern seine Bestimmtheit und Inhalt ist dieses Offenbaren selbst“ (Hegel 1830, § 383). „Geist“ ist nichts Anderes als unser geistiges Tun; er ist das, was sich in unseren Tätigkeiten manifestiert, indem wir sie als mehr oder weniger vernünftig, und damit uns als Subjekte unseres Tuns und Handelns begreifen.
Begreifen wir unser geistiges Tun so aus subjektiver und objektiver Perspektive, dann denken wir unsere menschlichen Angelegenheiten selbst: wir denken den Geist als unbedingt, als „absoluten Geist“. Wir denken unser Denken dann „in an und für sich seiender und ewig sich hervorbringender Einheit der Objektivität des Geistes und […] seines Begriffs“ (Hegel 1830, § 385). Das „Geist“-Modell für die Formulierung hergebrachter vernunftphilosophischer Fragen macht „Vernunft“ als nichts Anderes als die Form unseres wirklichen Tätigseins sichtbar, als den internen Zusammenhang unserer menschlichen Angelegenheiten. „Vernunft“ manifestiert sich als unsere Praxis.
2.2. Zwei Arten des Nachdenkens über geistiges Tätigsein: „Philosophie der Praktiken“ oder „Praxisphilosophie“
Praxisphilosophie geht es (mit einer programmatischen Formulierung von Volker Schürmann) „nicht primär um das Verhältnis von theoretischer und praktischer Vernunft“ im Sinn individuell verstandener subjektiver Vermögen, „sondern um die Einbettung und damit Bedingtheit von Vernunft in ‚Geist‘, ‚Praxis‘, ‚Leben‘, ‚Gesellschaft‘“. Deshalb stellt sie „von einer […] Bewusstseinsphilosophie auf eine Philosophie des Geistes“ um (Schürmann 2017, 121). Hegel realisiert diese „Umstellung“ durch einen neuen Beschreibungsrahmen, der Tätigsein und Handeln in subjektiver, in objektiver und in unbedingter Perspektive thematisiert. Das korrigiert nicht den Gegenstandsbereich der aufklärerischen Vernunftphilosophie, sondern verändert die Art und Weise des Nachdenkens über vernünftiges Denken und Handeln. Man spricht aus der Perspektive eines exemplarischen, repräsentativen Teilnehmers über Vernunft als etwas, zu dem unsere Teilnahme – unbeschadet ihrer unbedingten objektiven Ansprüche – dazugehört.
|45|Das ist eine Praxisphilosophie, weil die Form solchen Teilnehmens an Vernunft praktisch ist – etwas, das getan wird. – Es geht in Hegels Überlegungen aber auch noch in einem anderen Sinn um „Praxis“: Nämlich in Bezug auf die rechtlichen, staatlichen, pädagogischen Institutionen (und ihre Geschichte), in denen sich das faktische Subjektwerden von Menschen und ihr Zusammenleben abspielt. Der Unterschied beider Akzente lässt sich markieren, indem man im ersten Sinn von einer „Praxisphilosophie“, im zweiten Sinn von einer „Theorie von Praktiken“ spricht. Als Praxisphilosophie gelesen macht Hegel mit der Auffassung Ernst, dass das Nachdenken über menschliche Angelegenheiten ein Nachdenken über Tätigsein ist (und eine verkomplizierende Konsequenz davon ist, dass dieses Nachdenken dann selbst als Exempel desselben Tätigseins begriffen werden muss). Als Theorie der Praktiken gelesen liefert Hegel begriffliche Modelle der sozialen Institutionen, in denen die Ausübungen der Vernunft verortet sind. Die Lesart als Praxisphilosophie bedeutet eine Veränderung des Stils und des Modus, in dem über die (stets mehr oder weniger vernünftigen) menschlichen Angelegenheiten nachgedacht wird: Nicht mehr ausgehend vom Modell der Subjekt-Objekt-Relation, sondern vom Vollziehen von Tätigkeit. Die Lesart als „Theorie von Praktiken“ beinhaltet (scheinbar bescheidener) keine andere Art und Weise, sondern nur einen veränderten Gegenstand des Nachdenkens: Hegel (so sagt man dann) empfiehlt uns, neben den üblichen subjektphilosophischen Themen auch (womöglich sogar insbesondere) über „Praxis“ nachzudenken.
Beide Arten des Nachdenkens über geistiges Tätigsein hängen zusammen: Hegels radikale geistphilosophische Praxisphilosophie wäre ohne „Theorie von Praktiken“ eine blasse Konzeption situierter Vernunft, die nichts darüber sagt, wo sie situiert ist.
Dass auch eine „Theorie der Praktiken“ ohne Praxisphilosophie, ohne die reflexive Transformation des Beschreibungsrahmens, unsinnig wäre, ist umgekehrt viel weniger selbstverständlich, und hängt entscheidend davon ab, wie sehr Hegels methodische Umstellung auf den Rahmen des „Geist“-Sprachspiels überzeugt. Die fachphilosophische Kontroverse darüber wird immer noch von Deutungen bestimmt, die das „Geist“-Modell nicht als methodisches Mittel, sondern als eine Meinung Hegels lesen, die (in doxographischer Nacherzählung) zu tolerieren oder (in systematischer Fortführung) zu korrigieren wäre. Historisch