Philosophien der Praxis. Группа авторов

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Название Philosophien der Praxis
Автор произведения Группа авторов
Жанр Философия
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Издательство Философия
Год выпуска 0
isbn 9783846351345



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(Abaelard, Römerbriefkommentar II, 208 Buytaert; vgl. Perkams 2001, 106f. u. 310) die spezifische Leistung dieser Autoren, die auch die antike Tugendkonzeption in ihr Denken übernehmen (Bejczy 2007, 1; Wieland 1981, 221–238), besteht insbesondere in einer vertieften Reflexion des Verhältnisses von Schuld und Gewissen, das von Abaelard in der prägnanten Sentenz zusammengefasst wird „es gibt keine Sünde außer gegen das |24|Gewissen“ (non est peccatum nisi contra conscientiam; als Zweitüberschrift abgedruckt in der englischen Übersetzung: Abelaerd [Luscombe] 1971, 26, 54). Damit wird die individuelle praktische Vernunft, die sich im Gewissensurteil ausdrückt, als die Instanz anerkannt, die das individuelle Handeln bestimmen muss und vor welcher der Schuldige primär verantwortlich ist. Die Bestimmung des Verhältnisses individueller und universaler Rationalität wird damit zu einer zentralen Frage des mittelalterlichen christlichen Denkens, die ihre Bedeutung behält, wenn die mittelalterlichen Denker im 13. Jahrhundert, neben anderen Werken des Aristoteles, die Nikomachische Ethik kennenlernen.

      Diese Voraussetzungen machen es auch verständlich, dass dieses aristotelische Werk nach seinem Bekanntwerden breit rezipiert wird und somit den Status als zentraler Text der Ethik erhält, den es bis heute innehat (vgl. Perkams 2014, 11–23). Ermöglicht wird diese Entwicklung, nach einer bereits intensiven Phase der Beschäftigung mit ersten Teilübersetzungen der Nikomachischen Ethik ins Lateinische (Kommentare in Gauthier 1959, 115–118; genauere Informationen s. Wieland 1981), durch die vollständige Übertragung, die Robert Grosseteste, Bischof von Lincoln (ca. 1170–1253), 1246/47 mithilfe griechischer Mitarbeiter erstellt. Seine Edition macht die Nikomachische Ethik durch Übersetzungen der erhaltenen antiken und byzantinischen griechischen Kommentare sowie durch umfangreiche Anmerkungen für den lateinischsprachigen Leser leichter verständlich (Gauthier 1959, 120–122) und schafft so die Grundlage, auf der die komplette Nikomachische Ethik in lateinischer Sprache interpretiert werden kann. Dies wird erstmals 1250–1252 in Köln durch den Dominikanermönch Albertus Magnus bzw. Albert den Großen (ca. 1200–1280) geleistet.

      Albert erklärt in seinem umfangreichen Kommentar mit dem Titel Super Ethica (Über das Buch ‚Ethik‘) nicht nur den Wortsinn jeder einzelnen Passage der Nikomachischen Ethik, sondern er diskutiert auch zu jedem einzelnen Abschnitt diejenigen Probleme, die der aristotelische Text vor dem Hintergrund der Annahmen seiner Zeit stellt. In diesem Zusammenhang bringt er die eben angesprochenen Fragen nach universalen ethischen Regeln und dem individuellen vernunftgestützten Gewissensurteil mit der aristotelischen Konzeption in Verbindung und schafft eine erste Synthese aus beidem, die von seinem Schüler Thomas von Aquin (1224/25–1274) aufgegriffen und vor allem in seiner Summa theologiae prägnant dargestellt wird. (Zu Aktualisierungsprozessen aristotelischer Ethik im 13. Jahrhundert Fuchs 2017, 25–138.)

      |25|4.2. Thomas’ Rezeption der aristotelischen Unterscheidung von Praxis und Poiēsis

      Thomas’ Rezeption des aristotelischen Konzepts von Praxis lässt sich anhand seiner Tugendlehre nachvollziehen: Er übernimmt Aristoteles’ Unterscheidung von Handeln (agere = praxis) und Hervorbringen (facere = poiēsis) sowie die Begründung, dass bei ersterem das Ziel der Tätigkeit im Handelnden selbst liege, wobei er den Tugendcharakter der Klugheit (prudentia = phronēsis) damit begründet, dass diese, im Gegensatz zu einer Fertigkeit (ars = technē) nicht nur die Fähigkeit zu, sondern auch die tatsächliche Ausübung einer guten Tätigkeit bedeute. Zur Erläuterung wird Aristoteles’ Aussage angeführt, dass der Kluge nicht freiwillig dem Guten entgegen handle, während dies aus einer Fertigkeit heraus durchaus möglich sei (I-II 53, 4 resp.). (vgl. das folgende Kapitel Perkams 2008, 109–131) Ebenso akzeptiert Thomas die Annahme, dass die ethische Tugend die Zielauffassung des Akteurs richtigstelle, die Klugheit hingegen die rechten Wege zu diesem Ziel herausfinde, was insbesondere deswegen nötig sei, weil die Wahrheit in praktischen Angelegenheiten immer nur von einer Rationalität begriffen werden könne, die die Besonderheiten des Einzelfalls erkenne (I-II 53, 5 resp. und ad 3).

      Gegenüber diesen aristotelischen Elementen stechen zwei Punkte heraus, in denen Thomas Aristoteles ergänzt: Einerseits sieht er es als eine Besonderheit der Klugheit an, dass sie das praktisch Wahre nicht nur durch Überlegung finden und richtig beurteilen kann, sondern dass sie es auch unmittelbar dem Willen „befiehlt“ (I-II 53, 6 resp.); auf diese Weise stellt er die unmittelbare Verbindung dieses „praktischen Intellekts“ (intellectus practicus) zum Lebensvollzug klar. Andererseits liefert er eine Erklärung dafür, wie in diesem Handlungsmodell universale Prinzipien guten Handelns eine Rolle spielen: Hierfür ist zusätzlich zur Klugheit ein Vermögen erforderlich, das Thomas „Intellekt“ (intellectus) nennt und als die Gegebenheit universaler Prinzipien des Denkens in der menschlichen Vernunft deutet, die gleichsam automatisch mit diesen Prinzipien arbeitet und sich ihrer auch reflexiv bewusst werden kann (I-II 54, 5 resp.). Während also dieser Intellekt bewirke, dass der Mensch praktische Fragen von den richtigen allgemeinen Prinzipien aus beurteile, stelle die ethische Tugend sicher, dass der Mensch tatsächlich die „Intention“, d.h. die als Willensakt wirksame Absicht, habe, diese Ziele auch zu erreichen; als gemeinsames Ergebnis von beidem könne die Klugheit die richtigen Handlungsanweisungen im Einzelfall geben (I-II 54, 4 resp.).

      Diese Überlegungen zeigen, dass Thomas sich eng an Aristoteles anschließt, dies aber doch vor dem Hintergrund einer Konzeption tut, die auch weiteren, durch die nach-aristotelischen Entwicklungen deutlicher hervorgetretenen Anliegen gerecht werden will. Es ist daher gerechtfertigt, in Thomas’ Handlungstheorie und Ethik einen eigenen Ansatz zu einer praktischen Philosophie aristotelischen Typs zu sehen, der die Rolle der Rationalität für das Handeln stärker zum Thema macht.

      |26|4.3. Rationale Selbstbestimmung: Die Fundierung der praktischen Vernunft im „Naturgesetz“ (lex naturalis)

      Für Thomas beruht das menschliche Handeln insgesamt auf einer Vernunft, dank derer jeder Mensch die Herrschaft über die eigenen Handlungen besitzt (I-II 1, 1–2; s. als Beleg u.a. I-II, 17, 1. 18, 2). Zugleich stellt die Vernunft auch die Norm für seine Handlungen dar, nach der er sich richten kann und muss, da sich ihm die richtige Handlungsweise stets nur durch ein rationales Urteil erschließt (I-II 18, 2–4). Die Tatsache, dass dieses Urteil stets partikulär ist, hat hierbei zweierlei Implikationen: Einerseits ist jeder Mensch befähigt, auf individuelle Weise grundsätzliche Entscheidungen über die Ziele zu treffen, die er in seinem eigenen Leben verfolgen will (Summa contra gentiles III, 113); andererseits sind hierbei stets konkrete Situationen auf jeweils spezifische Weise zu beurteilen, weswegen Thomas eine differenziertere Theorie der Beschreibung partikulärer Handlungen entwickelt. (vgl. Perkams 2008, 2018; zu den Temini Naturrecht und Gerechtigkeit Fuchs 2017)

      Den Hintergrund dieses Gedankens liefert Thomas’ Theorie des Naturgesetzes bzw. des Naturrechts: Für Thomas ist das natürliche Recht bzw. Gesetz (ius naturale bzw. lex naturalis; zur Synonymität beider Begriffe Bormann 1999, 272–275) nichts anderes als die im Intellekt gegebenen universalen Grundaxiome der Vernunft, insofern sie praktisch ist, d.h. die menschliche Lebensführung anleitet. (vgl. zur Unterscheidung moderne Ansätze eines „ethischen Naturalismus“ Birnbacher 2003, 110–125, Quante 2003, 110–125; auf Thomas von Aquin aufbauend hingegen Finnis 1980) Er begründet das durch eine Analogie zu Aristoteles’ Aussagen über die allgemeinsten Prinzipien des Denkens: Ebenso wie es unbeweisbare Axiome des theoretischen Denkens gibt – etwa den Satz vom Widerspruch –, so verfügt auch das praktische Denken über unbezweifelbare Ausgangspunkte, die jedem Nachdenken über Handlungen zugrundeliegen. Die grundlegende Formel des Naturgesetzes lautet für Thomas, dass das Gute zu tun, das Böse aber zu lassen ist (bonum est faciendum et prosequendum, et malum vitandum). Dieser Satz wird von jedem Menschen ebenso anerkannt wie die Grundsätze des theoretischen Denkens, doch unterscheidet er sich vom theoretischen Axiom dadurch, dass es in imperativischer Form gegeben und daher „die erste Vorschrift des Gesetzes“ (primum praeceptum legis) ist (I-II 94, 2). Als eine solche Vorschrift prägt der Satz das gesamte menschliche Handeln. Die Anerkenntnis der Tatsache, dass dieses Handeln gut oder schlecht sein kann, wird nicht von außen von ihm herangetragen, auch nicht durch eine Reflexion auf die eigene Natur,