Grundkurs Psychologie für die Soziale Arbeit. Barbara Bräutigam

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Название Grundkurs Psychologie für die Soziale Arbeit
Автор произведения Barbara Bräutigam
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783846349472



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(Röhner/Schütz 2012). In der Bundesrepublik entwickelte sich in den 1970er Jahren maßgeblich um Klaus Holzkamp (2003) an der FU Berlin zusätzlich die kritische Psychologie, die sich programmatisch die Reflexion gesellschaftlicher Zwänge zum Ziel gesetzt hatte und insofern eine besondere Nähe zu Ansätzen der Sozialen Arbeit aufweist.

      Heute beschäftigt sich die psychologische Forschung mit einer Vielzahl von Themen. Aus Perspektive der Sozialen Arbeit sind z.B. Erkenntnisse aus der Traumaforschung, die u.a. die Entdeckung von Körpergedächtnissymptomen und innerfamiliärem Missbrauch als Verursacher komplexer posttraumatischer Stress-Syndrome (Cole/Putnam 1992, van der Kolk 2000, Fegert 2015) hervorbrachte, sehr interessant. Seit ein paar Jahren verändern Erkenntnisse über die Bedeutung epigenetischer Kontrollmechanismen (Roth/Strüber 2014) – d.h., dass auch erworbene Eigenschaften an nächste Generationen vererbt werden können – den Blick auf individuelle Entwicklungsbedingungen. Aber auch die Weiterentwicklung der Neurowissenschaften und der Psychoimmunologie – also wie psychische Mechanismen das Immunsystem stärken oder auch schwächen können – geben einen Ausblick auf die Verwobenheit körperlicher, seelischer und kontextueller Faktoren.

      Schönpflug, W. (2013): Geschichte und Systematik der Psychologie. 3. vollst. überarb. Aufl. Beltz, Weinheim

      Walach, H. (2013): Psychologie. Wissenschaftstheorie, philosophische Grundlagen und Geschichte. Ein Lehrbuch. 3. überarb. und erw. Aufl. Kohlhammer, Stuttgart

      

Was verstanden die Orphiker unter der Seele?

      Wie werden die unterschiedlichen Temperamente laut den Safttheorien beschrieben?

      Differenzieren Sie empiristische, rationalistische und hermeneutische Zugänge zu Erkenntnis.

      Worin unterscheidet sich die allgemeine von der differentiellen Psychologie?

      Skizzieren Sie die unterschiedlichen grundsätzlichen Fragen, die den Behaviourismus, die Psychoanalyse und den Kognitivismus beschäftigen.

      2 Entwicklungspsychologie

      

Das Fachgebiet der Entwicklungspsychologie beschäftigt sich mit den Veränderungen und stabilen Faktoren menschlichen Erlebens und Verhaltens. Die Vorstellungen davon, wie Entwicklung sich zeigt und durch was sie verursacht wird, haben sich im 20. Jahrhundert stark verändert. Die moderne Entwicklungspsychologie betrachtet Entwicklung über die gesamte Lebensspanne, betont die Variabilität in Entwicklungsverläufen und versteht Entwicklung als kontextabhängig. Im Fokus dieses Kapitels steht zum einen die Betrachtung der unterschiedlichen Lebensalter. Hierzu zählen Entwicklungsfaktoren und Risiken in der Schwangerschaft, die frühe Entwicklung kognitiver, emotionaler und selbstregulatorischer Prozesse. Weiterhin werden die vielfältigen Transformationsprozesse im Jugendalter sowie die entwicklungsbezogenen Herausforderungen im mittleren und höheren Erwachsenenalter beschrieben. Zum anderen wird der Blick auf verschiedene Aspekte der sozioemotionalen Entwicklung gelenkt sowie auf die unterschiedlichen Kontexte und Rahmenbedingungen, die sich förderlich – oder eben auch nicht – auf die individuelle Entwicklung auswirken. Dazu zählt die Bindungsentwicklung, die die angeborene soziale Motivation beschreibt, nahe Beziehungen einzugehen sowie die Entwicklung von Mentalisierung und Empathie.

      „Entwicklungspsychologen versuchen herauszufinden, wie Menschen sich unter verschiedenen Rahmenbedingungen entwickeln. Sie beachten dabei verschiedene Dimensionen, z.B. die kognitive, emotionale oder soziale Entwicklung. Von besonderer Wichtigkeit ist dabei, möglichst allgemeine Entwicklungsgesetze zu entdecken und die unterschiedlichen Bedingungen für gelingende Entwicklungsverläufe zu erfassen“ (Wälte et al. 2011, 15).

      Ganz allgemein kann man sagen, dass sich Entwicklungspsychologie mit Veränderungen und Stabilitäten des menschlichen Erlebens und Verhaltens beschäftigt. Dabei betrachtet sie die innerhalb eines Individuums ablaufende Entwicklung (intraindividuell) und die Entwicklung mehrerer Menschen im Vergleich (interindividuell). Anhand des folgenden Fallbeispiels sollen die Nützlichkeit und Notwendigkeit entwicklungspsychologischer Kenntnisse in der Praxis der Sozialen Arbeit dargestellt werden:

      

Im Rahmen einer Supervision stellt eine Sozialarbeiterin den Fall der 4-jährigen Lisa dar, die sich in ihrer Kindergartengruppe auffällig verhält, indem sie sich sehr zurückgezogen zeigt, sich kaum verbal äußert und sich von der Erzieherin nur schwer in das Gruppengeschehen integrieren lässt. Die Sozialarbeiterin hat nun die Aufgabe, Lisa in ihren sozialen Kompetenzen zu fördern. Aus der Vorgeschichte des Mädchens wird deutlich, dass es in der 25. Schwangerschaftswoche als sehr frühe Frühgeburt zur Welt kam und beide Eltern drogenabhängig waren. Die leibliche Mutter, die zum Zeitpunkt der Geburt noch minderjährig war, brachte den drei Monate alten Säugling zu ihrer Mutter, die sich seitdem um das Kind kümmert. Lisa erhielt Physio-, Ergo- und Logopädie und wird von beiden Großeltern liebevoll und innig betreut, wobei beide selbst sozial sehr zurückgezogen leben und andere Menschen so gut wie nie zu Besuch kommen. In der Videoaufnahme einer Spielsituation eines Regelspiels, die die Sozialarbeiterin mit in die Supervision bringt, wird deutlich, dass Lisa ihrer Spielkameradin im Zählen und auch im Begreifen des Spielverlaufs kognitiv weit überlegen ist, das andere Mädchen aber hohe soziale und verbale Kompetenzen zeigt, in dem es z.B. laut überlegt, wie es jetzt wohl weiterspielen könne, und Lisa auch um Hilfe bittet.

      Um Lisa unterstützen zu können, muss die Sozialarbeiterin u.a. die besonderen Entwicklungsbedingungen, die Lisa geprägt haben, verstehen und einordnen können. Auf welchem Entwicklungsstand ist Lisa, und wie stellt sich dieser im Vergleich zu anderen Kindern dar?

      Im Falle von Lisa sind relevante Rahmenbedingungen z.B. ihre frühe Geburt in der 25. Schwangerschaftswoche und der Drogenkonsum ihrer leiblichen Mutter einerseits und die sehr gute und stabile Bindung an die Großmutter sowie die diversen Förderungen durch Physio-, Ergo- und Logopädie andererseits. Lisa entwickelt sich in den einzelnen Funktionsbereichen (sozial, kognitiv, emotional, motorisch) unterschiedlich; so ist sie kognitiv ihrer Spielkameradin überlegen, im sozialen Bereich hingegen hat sie noch Nachholbedarf. Warum diese Aspekte aus entwicklungspsychologischer Perspektive relevant sind und warum die Fachkraft aus der Sozialen Arbeit sie benötigt, um Lisa und ihre Familie adäquat in ihrem Umfeld unterstützen zu können, wird in den folgenden Kapiteln deutlich.

      2.1 Entwicklungspsychologie in der Sozialen Arbeit

      Das Konzept der Entwicklungsaufgaben wurde erstmals von Robert J. Havighurst (1948/1982) beschrieben und betrachtet das Leben unter dem Fokus einer Abfolge von zu bewältigenden Anforderungen. Anstehende Entwicklungsaufgaben werden im Wechselspiel zwischen äußeren bzw. inneren Anforderungen von Kindern und Jugendlichen je nach der physischen Reife, des kulturellen Drucks und individueller Zielsetzungen und Werte gelöst (Petermann et al. 2004, Resch 1999). Das erfordert die Fähigkeit zur Selbstregulation, d.h., Kinder und Jugendliche müssen sich angesichts der Konfrontation