Grundkurs Psychologie für die Soziale Arbeit. Barbara Bräutigam

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Название Grundkurs Psychologie für die Soziale Arbeit
Автор произведения Barbara Bräutigam
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783846349472



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2012, 104).

      Laut diesen Theorien stehen die vier Säfte für jeweils ein Element und für ein Temperament. Die schwarze Galle (Wasser) deute, so die Annahme, auf ein überwiegend melancholisches und schwermütiges, die gelbe Galle (Luft) auf ein cholerisches, aufbrausendes, das Blut (Feuer) auf ein wechsel- und launenhaftes und das Phlegma (Erde) auf ein träges Temperament hin. Die Lehre von den Säften kann zwar getrost als überholt betrachtet werden. Die Existenz unterschiedlicher und von Geburt an bestehender Temperamente hingegen ist bis heute unbestritten (s. Kapitel 2.3.3).

      Zwei weitere philosophische Strömungen der Antike, die sich mit dem Wesen der Seele auseinandersetzten, sind die Stoiker und die Epikureer. Die Stoiker stellten die Selbstkontrolle in den Mittelpunkt. Gefühle und Begierden sind ihnen zufolge schädlich, die Seele müsse vor emotionaler und triebhafter Erregung bewahrt werden. Epikur (341–271 v. Chr.) hingegen propagierte, dass Lust und Sinnesempfindungen in Maßen durchaus wichtig für das seelische Wohlbefinden seien (Schönpflug 2013).

      Platons Schüler Aristoteles (384–322 v. Chr.) entwickelte eine monistische Seelenlehre, d.h., er ging nicht mehr von einer grundsätzlichen Zweiteilung zwischen Körper und Seele aus. Er differenzierte vielmehr zwischen der vegetativen Seele, die alle Organismen besäßen, der animalischen Seele, die Tiere und Menschen hätten und für die Begierden, Empfindungen und die Fortbewegung zuständig sei, und zum dritten zwischen der dem Menschen eigenen Geistesseele, die die Fähigkeit zur Logik bedeute. Im späteren Mittelalter griff Thomas von Aquin (1225–1274) die aristotelische Seelenlehre wieder auf und verband sie mit dem frühmittelalterlichen Seelenbegriff von Augustinus (354–430 n. Chr.). Augustinus betrachtete die Seele unter einem metaphysischen und nach dem Himmlischen strebenden Aspekt und

      „…unter einem empirischen Aspekt des Selbst, weil es sich in seiner eigenen Erfahrung widerspiegelt. Jene in der Selbsterfahrung sich spiegelnde Seele ordnete Augustinus […] dem Diesseits zu“ (Schönpflug 2013, 77).

      Insofern kann man also Augustinus als einen der ersten Denker bezeichnen, der die Bedeutung von Selbsterfahrung und Nachdenken über sich selbst erkannte. Im Mittelalter hat sich die Seelenkunde zwar ansonsten nur wenig entwickelt (Hecht/Desnizza 2012, 109); mit Beginn der Reformation und dem zunehmenden Interesse am Verstehen des Menschen avancierte die Seelenkunde aber schließlich zu einem eigenen Forschungsgebiet.

      Insgesamt bleibt festzuhalten, dass die Auseinandersetzung mit der Beschaffenheit der menschlichen Seele zunächst den Philosophen vorbehalten blieb und sich vieles um die Frage rankte, aus welchen Teilen die Seele denn bestehe und ob sie getrennt vom Körper existiere.

      1.2 Unterschiedliche Wege zum Erkenntnisgewinn

      Nach der empiristischen Erkenntnistheorie von John Locke (1632–1704)basiert die menschliche Erkenntnis ausschließlich auf sinnlichen Erfahrungen. Locke zufolge gibt es keine angeborenen Ideen; der Zuwachs an Erkenntnis ergibt sich aus der Reflexion der Erfahrungen, aus der dann wiederum neue Erkenntnisse gewonnen werden können. Der Empirismus geht also davon aus, dass es keine allgemeingültigen Gesetze gibt und dass der Mensch rein auf Grund seiner Erfahrungen so geworden ist, wie er ist.

      Im Gegensatz dazu geht der Rationalismus davon aus, dass Vernunft für den Erkenntnisprozess eine wesentliche Voraussetzung ist. Als Begründer der rationalistischen Erkenntnistheorie gilt René Descartes (1596–1649).

      „Rationalisten setzen auf die Vernunft als Erkenntnisquelle. Dementsprechend fordert Descartes (1972), die Erkenntniskraft sei darauf auszurichten, „dass sie über alles, was vorkommt, unerschütterliche und wahre Urteile herausbringt“ (S. 3). Die Regel verlangt, dass wir an allem zweifeln, was uns für gewöhnlich verlässlich scheint, nämlich unsere Sinne, unser Körper, unser Gedächtnis, unsere Sprache etc. Der Zweifel findet ein Ende, wenn uns dank der Vernunft bewusst wird, dass wir zwar alles bezweifeln können, nicht aber die Tatsache, dass wir zweifeln. Im Vollzug des Zweifels gibt es eine Evidenz, die uns als unbezweifelbar wahr erscheint“ (Herzog 2012, 49).

      Zentrale Punkte an Descartes Theorie sind also sein genereller Zweifel an der Möglichkeit wahrer Erkenntnis und seine strikte Trennung zwischen Geist und Materie. Immanuel Kant (1724–1804) wies in seinem Werk „Kritik der reinen Vernunft“ daraufhin, dass Erkenntnisse zwar sehr wohl empirisch gewonnen werden, es aber „apriorische Vorbedingungen“ von Erfahrungen gäbe. Vor aller Erfahrung müssen also bereits geistige Strukturen vorhanden sein, um Erfahrungen überhaupt machen bzw. verarbeiten zu können (Walach 2013, 181f.).

      Diese beiden erkenntnistheoretischen Strömungen sind für das Verständnis unterschiedlicher „Schulen“ in der Psychologie zentral (Schönpflug 2013). Es zeigt sich darin auch die in der Einleitung beschriebene Zwitterstellung der Psychologie zwischen Natur- und Geisteswissenschaft.

      Ein dritter wesentlicher Zugang, um zu Erkenntnis zu gelangen, besteht in der Hermeneutik, die auf Wilhelm Dilthey (1833–1911) zurückgeht. Hermeneutik ist die Lehre der Auslegung und des ganzheitlichen Verständnisses von sprachlichem Material. Die Besonderheit an einem hermeneutischen Zugang liegt in der Betonung der Subjektivität des Erkennenden und Verstehenden; demzufolge gibt es keine objektive Erkenntnis unabhängig vom Wahrnehmenden selbst.

      „Wilhelm Dilthey war es, der diese Lehre dann philosophisch vertieft hat und darauf hinwies, dass im Grunde die gesamte Geisteswissenschaft verstehender Natur sei, da sie es mit kulturellen Äußerungen der Menschen zu tun habe und also hermeneutische Verfahren anwenden müsse, während die Naturwissenschaften quantifizierend erklärender Art sind“ (Walach 2013, 368).

      1.3 Wilhelm Wundt und die Anfänge der akademischen Psychologie

      „Die allgemeine Psychologie beschäftigt sich mit den psychischen Erscheinungsweisen des normalen Menschen und sucht die allgemeingültigen Gesetze ausfindig zu machen, welcher ihr zugrunde liegen“ (Schermer 2011, 42).

      

Die allgemeine Psychologie befasst sich also mit der Beschaffenheit allgemeingültiger psychologischer Mechanismen, wie z.B. Wahrnehmungs-, Gedächtnis-, Motivations- und Lernprozesse (Kapitel 3). Die Persönlichkeitspsychologie, die aus der bereits in der Antike bestehenden Charakterologie hervorgegangen ist, beschäftigt sich hingegen mit der Lehre von den Persönlichkeitseigenschaften, der Bestimmung von Individualität und der Integration individueller Eigenschaften in die Einheit der Person:

      „Innerhalb der Charakterkunde hat sich ein Schwerpunkt gebildet, welches das Prinzip der ganzheitlichen Ordnung psychischer Fähigkeiten und Motive sowie das Prinzip der Einzigartigkeit von Personen in den Mittelpunkt gestellt hat. Dieser Schwerpunkt hat erst später einen eigenen Namen enthalten: Persönlichkeitspsychologie“ (Schönpflug 2013, 225).

      Wilhelm Wundt (1832–1920) gründete 1879 in Leipzig das erste psychologische Laboratorium und gilt als der Vater der modernen und akademischen Psychologie. Auf Wundt geht der Begriff der Introspektion zurück, der Selbstbeobachtung bedeutet. Wundt verstand