Название | Durchgeknallt |
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Автор произведения | Wolfgang Breuer |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783961360024 |
Doch es schien, als habe nicht nur Girkhausen, sondern ganz Wittgenstein auf die Eröffnung gewartet. Mit anderen Worten: der Hofladen wurde zu einem Riesenerfolg. Vor allem auch deshalb, weil Christa Lauber nicht nur ihre mindestens 15 verschiedenen Käsesorten anbot und das Brot, das Ernst im Backhaus neben dem Lauber-Hof selbst buk. Im Angebot waren auch die Erzeugnisse eines Metzgers und mancher Landwirte, die aus Girkhausen und der unmittelbaren Nachbarschaft kamen. „Alles vom Land – alles von hier.“ Der Slogan zog.
Der Regen hatte nachgelassen. Und blaue Streifen weiter westlich am Himmel ließen ahnen, dass auch die letzten Schauer bald vorbei sein würden. Klaus hatte sich inzwischen per Handy noch mal nach der Adresse des alten Herrn erkundigt, der tags zuvor den Porsche und die Unbekannte gesehen hatte. Wilhelm Schneider, Weststraße 4b.
Als sie dort klingelten, wurde innerhalb von Sekunden per Summer geöffnet. ‚Wir wurden also beobachtet‘, vermutete Corinna. Sie traten in einen gemütlichen und großen Hausflur, von dem eine Treppe in weitem Bogen nach oben führte. An deren oberem Ende stand ein älterer, freundlicher Mann, der Hausschuhe und eine Strickjacke über einem Pullover trug. „Kommen Sie bitte herauf. Hatte mir schon gedacht, dass da noch jemand von Ihnen die Nase zur Tür reinstecken würde. Leider bin ich ziemlich erkältet und bitte um Nachsicht, dass ich hier im Großen Polaranzug herumlaufe.“
Begeistert von der doch sehr jugendliche „Spreche“ des sicher um die 75 Lenze alten Herrn folgten die beiden Polizeibeamten fröhlich lächelnd der Aufforderung und fanden eine Etage höher ein opulent eingerichtetes Wohnzimmer, das sich nahezu über die gesamte Fläche des Hauses erstreckte. Ein heller Raum mit herrlichen Ausblicken durch riesige Fenster, die bis zum Boden reichten und nach hinten heraus den Blick frei machten ins Edertal und auf die „Niederhelle“. Nach vorn und zur Seite hatte man einen wunderbaren Überblick über alles, was sich auf der Weststraße und bei den Nachbarn so abspielte.
„Das ist mein Hochsitz“, meinte Herr Schneider grinsend, und wies auf einen modernen ledernen Drehsessel neben einem kleinen Glastisch. Dahinter ein riesiger offener Kamin – mitten im Raum. Hinter leicht verrußten Glasscheiben glimmten noch verkohlte Holzscheite vor sich hin. „Nein, im Ernst – hier sitze ich häufig, wenn die Knochen mal wieder zu weh tun und schaue entweder fern oder träume einfach ein wenig vor mich hin. Und manchmal, wenn ich mich umdrehe, gucke ich halt auch mal auf die Straße. Der Überblick ist ja genial.“
Sie hatten auf sein Bitten hin auf einer Sitzgruppe Platz genommen, sein Getränkeangebot aber dankend abgelehnt.
„Und von dem Sessel aus haben Sie auch den Porsche beobachtet?“, wollte Klaus wissen.
„Allerdings. Der Chaot hat mich nämlich mit röhrendem Motor aus meinem Dämmerschlaf gerissen. Ich hatte gerade ‚Eisbär, Giraffe und Co.’ angeschaut und war etwas eingeduselt, als der hier vorbeigedonnert kam und da drüben, drei, vier Häuser weiter, plötzlich anhielt. Ich also hoch und sehe, wie sich auf der Beifahrerseite eine junge schlanke Frau heruntergebeugt mit dem Fahrer durch die offene Beifahrertür unterhält.“
„War das ein langes Gespräch?“, wollte Corinna wissen.
„Kaum länger als eine Minute. Ich sah nur, wie die Frau immer wieder auf etwas in ihrer Hand schaute und mit dem Kopf schüttelte.“
„Was passierte dann?“
„Dann hat sie die Tür zugeschlagen und er ist … Nein. Moment.
Dann ist er weitergefahren und die Tür ist von allein zugefallen. Nee …, also ich weiß nicht mehr so genau. Irgendwie war die Sache komisch. Man hatte den Eindruck, dass es der in dem Porsche unheimlich eilig hatte. Der hat nämlich auch während des Gesprächs den Motor laufen lassen und immer wieder mal Gas gegeben.“
„Wohin ist die Frau dann gegangen?“, fragte jetzt Klaus.
„Die ist ziemlich zügig nach links über die Straße, aus meinem Sichtfeld verschwunden und auch nicht mehr aufgetaucht. Allerdings hatte ich auch keine Veranlassung dazu, nach ihr zu schauen.“
„Ja, aber Sie haben ja immerhin die Wache angerufen um sich über den ‚Terror vor der Haustür‘, wie sie wohl gesagt haben, zu beschweren.“
„Aber natürlich“, meinte der alte Herr, jetzt ein wenig angefressen. „Das hätten Sie mal sehen und hören sollen, was der hier veranstaltet hat. Ich habe ihn ja nur im Unterbewusstsein kommen hören. Aber als der wieder wegraste, hätte sich niemand auf der Straße aufhalten dürfen. Kinder schon mal gar nicht. Und Sie müssen wissen, dass es hier jede Menge Kinder gibt. Am hinteren Ende der Weststraße ist übrigens ein großer Bolzplatz. Man darf sich nicht ausmalen, was da alles hätte passieren können, wenn der mit Vollgas um die Kurve da hinten gerast kommt und Kinder auf dem Heimweg sind. Normal müssen solche Leute aus dem Verkehr gezogen werden.“
Die beiden nickten beifällig. Ernst Schneider trat bei Klaus und Corinna förmlich offene Türen ein mit der Forderung nach Sanktionierung einer solchen Fahrweise. Zumal das gesamte Wohngebiet als 30-Zone ausgewiesen ist. Und so hatte der Mann vollkommen korrekt gehandelt mit seinem Anruf. Dass Klaus den Porschefahrer wegen eben solchen Rowdytums verfolgt hatte, das behielt er jetzt lieber für sich. Denn er wollte noch etwas ganz anderes wissen.
„Können Sie sich erinnern, wie die junge Frau aussah?“, fragte er den alten Herrn. „Welche Größe, Alter, welche Haarfarbe, was hatte sie an?“
„Ich hab‘ gewusst, dass diese Fragen kommen würden. Deshalb habe ich mir den ganzen Abend den Kopf zermartert“, entgegnete der Gefragte. „Wissen Sie, ich wusste ja bei meinem Anruf nicht, was es mit dem Fahrer auf sich hatte. Daher habe ich zunächst nur auf den Porsche und auf seine Nummer geachtet. OE-JJ 276. Die kann ich Ihnen im Schlaf aufbeten. Ach ja, noch eins. Das war mir aufgefallen, als der Wagen so rasant wieder loszog. Dem fehlte der rechte Außenspiegel.“
Corinna grinste und Klaus schaute verschämt auf seine Fingernägel.
„Okay, prima. Ääh …, ist Ihnen denn beim intensiven Nachdenken noch etwas zu der Frau eingefallen?“ Klaus wurde jetzt etwas drängender. Und hatte Erfolg.
„Ja, also, ich schätze, sie war zwischen Anfang und Mitte dreißig, dunkles, langes Haar, zu einem Pferdeschwanz gebunden, etwa einsfünfundsiebzig groß, schlank, sportlich. Sie trug eine schwarze Hose und eine offene schwarze Jacke, darunter ein weißes T-Shirt. Und sie trug Sonnenbrille. Eine wirklich hübsche Frau.“
Klaus war baff. „Das haben Sie alles auf diese Entfernung gesehen? Sie müssen ja Augen haben wie ein Luchs.“
„Und ein Fernglas“, grinste der Alte und holte einen gewaltigen Feldstecher aus einem Sideboard hervor. „Jetzt glauben Sie aber bitte nicht, Sie hätten es mit einem Spanner zu tun, meine Herrschaften. Ich benutze das Glas eher dazu, die Fischreiherkolonie drüben an der Niederhelle zu beobachten. Und die Milane über dem Seiberig. Mein Hobby ist nämlich die Ornithologie.“
‚Deshalb die vielen herrlichen asiatischen Federzeichnungen aller möglicher Vogelarten, die im Treppenhaus an den Wänden hängen‘, sinnierte Corinna. Auf zweien, die mit wunderschönen fremden Schriftzeichen verziert waren, meinte sie das Signet einer heimischen Künstlerin entdeckt zu haben – Nyu-Mie Bergner-Won. Eine tolle Frau, gebürtige Koreanerin. Sie hatte sie vor Jahren bei einer Vernissage in Bad Berleburg kennengelernt.
„Sie sitzen also den ganzen Tag hier am Fenster, schauen in die Botanik und beobachten und zählen Vögel? Gehen Sie denn nicht ab und zu mal raus?“, wollte Klaus wissen. Mehr, um noch ein wenig Konversation mit dem eigentlich sehr netten distinguierten Herrn zu machen.
„Ach wissen Sie, als Pensionär und Witwer, obendrein noch als Sportinvalide, halten sich die Freuden des Alltags doch sehr in Grenzen. Nachdem vor drei Jahren meine geliebte Frau ihren jahrelangen Kampf gegen den Krebs verloren hatte und verstorben war, wollte ich endlich wieder meinen Kopf frei kriegen und noch einmal etwas frischen Wind in mein Leben bringen. Wollte noch mal ‚Rentner-Gas‘ geben, wie die Leute so sagen. Doch der Spaß dauerte nicht lange. Zwei Monate nach meinem