Perlen vor die Schweine. Rich Schwab

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Название Perlen vor die Schweine
Автор произведения Rich Schwab
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783862871896



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Opel Blitz hieß nur noch »die Bussin«.

      In Teheran wurde laut Express noch nicht geballert, da drohte man nur mal wieder, den seit dem vierten November festgehaltenen zweiundfünfzig amerikanischen Geiseln den Spionageprozess zu machen. Noch-Präsident Jimmy Carter fand das »beleidigend«, während der künftige, Ronald Reagan, die Iraner als »kriminelle Kidnapper« beschimpfte.

      Verstorbener des Tages war Großadmiral Karl Dönitz, mit neunundachtzig Jahren in Hamburg einem Herzversagen erlegen. Nach Hitlers Selbstmord war er dreiundzwanzig Tage lang Reichspräsident gewesen, hatte dann, weil Hitler ja nicht auf ihn gehört und die U-Boot-Flotte ausgebaut hatte, die Kapitulation genehmigt. Ein Jahr später noch verkündete er den Richtern des Nürnberger Prozesses, man »habe den Eid halten müssen, solange immer anständig war, dem die Loyalität galt. Dass der Führer nicht anständig war, das habe ich nicht erkannt.« Deswegen auch: Nicht über Los, zehn Jahre Haft.

      Von toten Frauen in Kühlkellern stand nirgends etwas, auch nichts von einem schlichten schwarzen Grabstein auf dem Nordfriedhof, auf den in zierlichen goldenen Lettern Katharina Maria Löhr graviert war, 12. 11. 1952 – 4. 12. 1980. Lieber ein Augenblick mit einem Engel als ein Leben mit einer Heiligen stand nicht darauf, obwohl das der Epitaph war, den Kathrinchen sich gewünscht hatte. Aber vielleicht war ich der einzige Mensch gewesen, der das wusste. Und mich hatte niemand gefragt.

      Mich hatte niemand fragen können, selbst wenn sie es gewollt hätten – am Tag ihrer Beerdigung hatte ich schließlich auf einer Bühne von der Größe einer Tischtennisplatte in einer Kellergalerie in einem Kaff bei Karlsruhe gesessen, um mal wieder ein paar Mark für die Miete nach Hause zu bringen. Also hockte ich mit meinem Schlagzeug in eine Ecke gepfercht, als hätte ich Angst vor unserem Publikum, eingekesselt von zwei Verstärkern, vor mir Tom Sack mit seiner 50er-Jahre-Guild und in der anderen Ecke unser Bassist Eiermann, der auf seiner Box saß, weit vornüber gebeugt, damit man erstens nicht sein permanentes Kichern sah und er zweitens hören konnte, was aus seiner Box überhaupt raus kam – eigentlich spielte er eher nach Gefühl als nach Gehör, nach den Schwingungswellen, die er unterm Hintern spürte, während ich meine Besen so locker gespannt hatte, dass ich genauso gut mit halbgaren Makkaroni hätte trommeln können. Toms Slide klang, als käme sie aus einem handlichen Diktiergerät; sein Mikrophon war quasi ausgeschaltet, und er bellte seinen Mississippi-Blues fast unverstärkt über die weißgedeckten Tische, an denen unser Publikum in Vernissage-Klamotten Schildkrötensuppe schlürfte, mit Kennermiene auf französischem Chateau de la Vachequirit herumkaute und sich in kultiviert-gedämpftem Ton an einem gelungenen Abgang freute, etwas, das uns dreien heute wahrhaftig nicht vergönnt war.

      Zwischendurch zeigten sie sich gegenseitig die Gemälde an den grob verputzten, kalkweißen Wänden – très mediterranée –, Quadratmeter große Geschmacksachen in Gelb, Grau und NSU-Prinz-Farben für viereinhalb Mille das Stück, klopften sich gegenseitig, also sich selbst, auf die Schulter für ihre tolle Entdeckung – noch ein Abgang –, freuten sich über ihre Schnäppchen und nickten gelegentlich anerkennend zu dem vergeistigten Künstler hinüber, den all die roten Punkte, die an seinen Rahmen klebten, und wohl auch das eine oder andere Gläschen Geschäftsabschluss-Sekt so aus der Bahn geworfen hatten, dass er fröhlich, beidhändig und laut den Takt mitschnippte – schade, dass es nicht der unsere war. Und nach jeder Nummer applaudierte er lautstark und verlangte fachmännisch nach dem Hoochie Coochie Man, yeah! – wahrscheinlich die einzige Bluesnummer, die er kannte. Ich wusste, wie gerne Tom Sack diesen abgenudelten Song spielte, aber als er sich animiert zu uns herumdrehte, machte ich ihm dezent und diplomatisch klar, dass so ein zweiundzwanziger Ride-Becken, auf kurze Distanz umgekippt, doch ganz schön unschöne Kopfverletzungen verursachen kann. Auch wenn es sein Gig war und wir nur die Begleitmucker.

      Woraufhin Eiermann mit hochrotem Kopf prustend drängelte, wir sollten doch schleunigst mal zur letzten Nummer kommen, sonst müsse er sich noch in die Hose pissen; da erst entdeckte ich, dass neben seiner Box drei Flaschen von dem Chateau la Dingens standen, wovon allerdings zwei schon zum Leergut gehörten.

      Also torkelten wir noch somnambul durch eine Bleiadler-Version von Stormy Monday und hofften, uns eine Zugabe zu ersparen, indem wir für T-Bone Walkers Sail On Boogie ein paar Briketts nachlegten. Aber obwohl das der einen oder anderen Zuhörerin ihr Tiramisu vom Löffel blies, mussten wir doch noch mal ran, nicht zuletzt, weil der Künstler inzwischen so weit war, dass er sich auf die Bühne schwang, sein geblümtes Halstuch schwenkte und seine Mäzene energisch aufforderte, nach mehr zu klatschen.

      Zur Strafe kriegten sie als Encore Shake Your Moneymaker in der Haut-rein-Jungs-da-draußen-steht-schon-der-Wagen-des-Sheriffs-Version. Tom sägte ihnen mit seinem Bottleneck die Frisuren ein bisschen durcheinander, und während er sich nach seinen schweißtreibenden achtzehn Chorussen in blumigen Worten bedankte, seine tollen Mitmusiker noch mal vorstellte und sich verabschiedete, stand ein Drittel der Band bereits auf dem Klo – heute kein Bass-Solo –, und ich nutzte mein Schlagzeug-Solo, um schon mal die Hälfte von meinem Schrottplatz abzubauen. Fanden sie ganz schön Avantgarde. Na ja, Applaus ist das Brot des Künstlers.

      Nix gegen vier Blaue bar auf die Kralle und ein paar Flaschen La Dingens für knapp fuffzig Minuten Matinee-Mucke.

       9

       Um Asche

      Um Asche ging es natürlich letztendlich auch bei der Express-Meldung, dass Heiraten wieder in! sei: schließlich mache es nicht nur glücklich, den richtigen Partner zu haben – dank Steuerersparnis lohne es sich doch auch. Sollte ich vielleicht Vera mal ausschneiden.

      So eine funktionierende Familienpartnerschaft war ja wirklich was wert, wie man auch an dem Fall des 29-jährigen Fensterputzers Walter P. sehen konnte. Der hatte am Sonntagnachmittag mit seinem Schwiegervater stundenlang Schach gespielt und Kräuterschnaps gesoffen, bis es einen erst lautstarken, dann handfesten Streit um einen fragwürdigen Damenzug gegeben hatte. Walter bugsierte den Alten in dessen Schlafzimmer, damit der sich dort beruhigen und seinen Rausch ausschlafen könnte. Als der aber nicht aufhören wollte zu randalieren, warf sein Schwiegersohn ihn kurzerhand aus dem Fenster des dritten Stocks. Hals- und Beinbruch, Schädeltrauma. Erschrocken und halb wieder nüchtern schleppte Walter ihn wieder nach oben, Frau und Schwiegermutter beseitigten alle Spuren des Streits, riefen nach über einer Stunde den Notarzt und behaupteten einmütig, den Papa so vor der Haustüre gefunden zu haben, nachdem er ewig nicht vom Bierholen zurückgekehrt sei.

      Aber natürlich gab es in dem ganzen Vorweihnachtsrummel genug Nachbarn, die mit Päckchen beladen umher wuselten und den wahren Hergang bezeugen konnten, so dass Walter sich schließlich zu einem Geständnis gezwungen sah. It’s a family affair*

      Draußen war es schon eine ganze Weile stockdunkel. Gelegentlich huschten die Reflexe eines Autoscheinwerfers über die kahlen schwarzen Bäume auf dem Mittelstreifen, zuckten die Blitze einer elektrischen Entladung hoch, wenn die Straßenbahn vom Rheinufer kreischend auf den Ubierring bog. Gegenüber, durch die Scherenschnitt-Äste hindurch, konnte ich zwei recht korpulente Mädels in weißen Unterröcken einen Rock and Roll tanzen sehen, kichernd, mit wippenden Locken und Brüsten. Wirkte sehr merkwürdig, schon weil bei mir Pearls Before Swine gerade ihre Miss Morse anbeteten. Das kleine gelbe Auge meines Plattenspielers blinkte träge, das fette grüne des Verstärkers glotzte unbewegt ins Zimmer. Die Uhr läuft! schien das gelbe zu signalisieren, komm in die Gänge, Büb!, während das grüne gleichgültig tat: Ah ja, die Zeit vergeht … Was juckt es mich? Was geht es dich an? Aber ich konnte das Gefühl nicht mehr loswerden, dass ich mich das jetzt schon lange genug gefragt hatte.

      Kill all the echoes / Still around / From the sound / Of calendars crumbling*, nuschelte Thomas Rapp, und die anderen Perlen klimperten um ihn herum, als ginge auch sie das alles gar nichts an, als horchte jeder von ihnen nur auf die Echos in seinem eigenen Schädel, von weit weg, von lang her, verdammt