Paaf!. Rich Schwab

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Название Paaf!
Автор произведения Rich Schwab
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783862871902



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von zwei Minuten, mit einer Minute Orchester-Intro, einer Gesangsstrophe, einem Klaviersolo und zwei weiteren Instrumentalstrophen. Der beneidenswert schlichte Text ging so:

       Ja, der Sonnenschein, der Sonnenschein hat’s fein

       Jedes Mägdelein liebt Sonnenschein allein

       Kommt der Sonnenschein früh ans Kämmerlein

       Lässt das Mägdelein den Sonnenschein herein.

      Das war der ganze Song. Veedelnoh, das alte Schlitzohr, hatte aus der flotten Polka einen bedrohlich vorwärts drängenden Midtempo-Rocker im guten alten Bo-Diddley-Groove gemacht, wobei Nohs Gitarrenriff mehr an Hendrix erinnerte als an Bo; ich spielte auf der Snare in einem swingenden Marschrhythmus darum herum, während die Bassdrum das Ganze stoisch die Viertel nach vorne kickte; Oblongs Bass hustete als Bindeglied zwischen uns beiden in der tiefen Lage keuchend auf die Bassdrum-Viertel, während in der oberen Lage Bo-Diddley-Synkopen drum herum hüpften, und Emerson ließ, passend zum Sonnenschein, auf seiner Orgel Wespenschwärme summen, Nachtigallen trällern und Spatzen schimpfen. Die Strophe hatten wir bei einer der letzten Proben sechsmal gesungen – erst ein-, dann zwei-, dann dreistimmig, und die letzten beiden sogar im Kanon; und gerade, wenn man dachte, nun reicht’s aber auch, legte Noh ein völlig wahnwitziges, schmutziges Gitarrensolo hin, das als Krönung von‘t Janze und um den Stilmix perfekt zu machen, in einem sechzehntaktigen, eigens von Emerson komponierten, komplizierten Unisono-Thema à la Mahavishnu Orchestra gipfelte. Und natürlich sang der Schweinepriester den ganzen Riemen auch noch im Falsett unisono mit. Völlig behämmerte Nummer – aber genau deswegen hatte sie was. Und natürlich musste ich nach fünf Minuten derart sturer Beinarbeit erst mal ein paar Runden um mein Schlagzeugpodest joggen, um keinen Wadenkrampf zu kriegen.

      »Gute Idee«, befand unser Organist nun jedenfalls, und Noh guckte mich verdutzt an – hatte ich das nicht als Witz gemeint? Klar, sagten meine kurz gehobenen Augenbrauen.

      »Find’ ich auch«, pflichtete Bruni von hinten bei. Oh. Womit die Nummer quasi so gut wie im Programm war – auf Brunis Urteil zu hören hatte sich schon des Öfteren gelohnt, beziehungsweise hatte es sich auch schon mehrmals als Fehler erwiesen, etwas zu spielen, bei dem ihr Daumen nach unten gekippt war.

      »Okay. Aber lasst uns zum Programmablauf später kommen«, nahm Emerson seinen Faden wieder auf. »Schätze, das wird unser geringstes Problem sein.«

      »Schon gar nicht, wenn ich mein Solo bei Sonnenschein ein bisschen ausbaue«, meinte Noh. »Soviel ich weiß, haben wir nur ’ne halbe Stunde.«

      »Fünfundvierzig Minuten«, korrigierte Emerson. »Und wenn du dein Solo ausbaust, spiel’ ich nur schwarze Tasten.«

      »Au, super!«, schrie Little Joe. »Kann ich zwei, drei von den weißen haben?« Und strahlte uns im Innenspiegel mit seiner Doppelzahnlücke an.

      Zeit, ein neues Bier aufzumachen.

      »Fangen wir bei den Fakten an«, machte Emerson weiter den Wortführer. »Was wissen wir über das Festival? Was wissen wir über die WAA? Was wissen wir über Tschernobyl? Was wissen wir über die deutsche Atompolitik? Was …«

      »Was müssen wir darüber wissen?«, maulte Noh und spähte angestrengt aus dem Fenster, ob nicht bald das Schild Ausfahrt Erbelheim – 5 km auftauchte.

      »Frage eins«, meldete sich Bruni. »Warum spielt ihr auf diesem Festival?«

      »Gegenfrage«, sagte Noh. »Warum sollten ausgerechnet wir ausgerechnet dieses auslassen?«

      »Nu’ komm, jetzt hör mal auf, so destruktiv zu sein«, sagte ich, und er warf mir einen langen Blick zu, der mich schwer an die Art erinnerte, wie ich früher unseren Klassenprimus betrachtet hatte, einen ziemlichen Streber.

      »Genau«, sagte Bruni und kam nach vorne. Sie setzte sich auf den Sitz neben Noh, legte ihren Kopf an seine Brust, streckte ihre makellosen Beine über den Gang hinweg und legte ihre nackten Füße in meinen Schoß. »Werdet mal was konstruktiver. Du kraulst mir ein bisschen den Nacken, und der Büb massiert mir die Füße. Ich bin ein Kind der Savanne, ich komm’ mit den engen Schuhen von euch zivilisierten Weißen noch immer nicht so richtig zurecht.«

      »Wie soll der Büb sich auf hochwichtige ernste Themen konzentrieren, wenn er deine Füße massieren muss?«, fragte Noh.

      »Er ist Schlagzeuger«, antwortete sie. »Er kann mehrere Dinge gleichzeitig.« Also massierte ich ihr die niedlichen Zehen mit den noch niedlicheren dunkelrot lackierten Zehennägeln, die so winzig waren, dass man sich fragte, wie sie den Nagellack darauf gekriegt hatte, und Noh kraulte ihr den Nacken. Und natürlich schaffte unsere schwarze Prinzessin es wieder mal, der Atmosphäre zwischen uns eine friedlichere Note zu verleihen.

      »Wir sind Penner’s Radio«, sagte Noh nach einer Weile besänftigt. »Wir sind Freaks. Wir Freaks haben’s nicht leicht in diesem unseren Lande. Wir müssen zusammenhalten.«

      »Schon besser«, schnurrte seine Angetraute.

      »Wir tingeln seit fuffzehn Jahren durch die Gegend und erzählen den Kids, dass man auch anders leben kann als ihre Alten. Wir machen ihnen Mut, das zu versuchen …«

      »Und leben’s ihnen vor«, ergänzte Oblong.

      »Und leben’s ihnen vor. Wir wollen echte Demokratie und Toleranz und Frieden auf der Welt und in unserem Land und in unseren Stammkneipen.«

      »In jeder Kneipe«, ergänzte ich.

      »In jeder Kneipe, jawoll. Wir sind gegen Aufrüstung und Nachrüstung und überhaupt gegen Rüstung, gegen Volkszählung und Kontaktbereichsbeamtenschnüffelei, gegen SDI und CIA und CSU, gegen Diskriminierung von Schwulen und Langhaarigen und Ausländern …«

      »Und Frauen«, ergänzte Bruni.

      »Und Weibern. Von mir aus. Wir sind gegen den militärisch-industriellen Komplex …«

      »Wow!«, machten wir alle.

      »… und da der für Atomenergie ist, sind wir auch gegen Atomenergie.«

      »Außerdem haben wir Hiroshima, mon amour gesehen«, ergänzte ich.

      »Außerdem haben wir Hiroshima gesehen. Aber wir haben auch Das Kettensägenmassaker gesehen und sind trotzdem nicht gegen Kettensägen, Herr Klütsch – wie stehen Sie nun dazu?«

      »Wenn einer mit ’ner Kettensäge nicht auf seinen Birnbaum, sondern auf mich losgeht, kann ich’s hören. Wenn mir vierhunderttausend Sievert oder Becquerel oder Millirems oder wie die Dinger heißen, von Russland oder Kalkar oder Biblis oder Brokdorf in den Salat fliegen, hör’ ich nix. Ich kann die nicht mal riechen.«

      »Gut gegeben, Herr Klütsch. Aber woher gedenken Sie denn in Zukunft den Strom für die Instrumente Ihrer Mitspieler zu nehmen – die Ressourcen fossiler Energie auf diesem Planeten neigen sich dem Ende zu. Oder wollen Sie demnächst ein reines, unverstärktes Perkussionsorchester aufmachen?«

      »Penner’s Omo-Trommel«, schlug Oblong vor.

      »Nix da«, entschied ich. »Wenn ich je eine Percussion-Truppe gründe, wird sie Kladderadatsch heißen.«

      »Strom kommt aus der Steckdose«, rief Little Joe nach hinten.

      »Wir wissen alle, dass es alternative Energiegewinnungsmöglichkeiten gibt, meine Herren«, ließ ich mich nicht lumpen. »Aber natürlich liegt das Problem hierbei vor allem darin, dass es gesellschaftliche Gruppen gibt …«, hier hob ich meine geballte rechte Faust, »… die industriellen Bonzenschweine zum Beispiel, deren vordringliches Interesse es ist, den exklusiven Zugriff auf Energie und ihre Verteilung zu haben und damit die Kontrolle über Energiepreise.« Jetzt hatte ich mir ein allgemeines »Wow« verdient. »Weshalb die weitere Erforschung schwer kontrollierbarer und vermarktbarer natürlicher Energiequellen wie Sonne, Wind und Wasser von diesen Dumpfbacken auch massiv blockiert wird. Aber um auf Ihre Frage zurückzukommen, Herr 400-Watt-Marshall – über kurz