Paaf!. Rich Schwab

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Название Paaf!
Автор произведения Rich Schwab
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783862871902



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Metern Tiefe sollten das Schlimmste verhindern.

      »Na toll«, warf ich in die stumme Runde. »Von Osten schicken uns die Russen radioaktive Wolken rüber, und von Westen her vergiften uns die Engländer mit verbleiten Rollmöpsen.«

      »Und unser Bier wird auch langsam gesundheitsgefährdend warm«, stöhnte Little Joe und betrachtete angeekelt den Schaum, der aus einer frisch geöffneten Dose quoll und von seinem Schnurrbart tropfte.

      »Gutes Stichwort, Alter«, rief Emerson von vorne. »Kannst übernehmen, wenn du wach bist. Wir sollten uns sowieso mal zusammensetzen und ’n paar Takte über den Gig reden. Können ja an der nächsten Raste raus fahren und frische Plörre bunkern.« Das mit dem Rausfahren und dem Frischbier fand allgemeine Zustimmung, der Applaus für eine Bandbesprechung hielt sich in Grenzen. Aber wir waren ja nicht nur zum Vergnügen unterwegs.

      An der Raststätte erlebten wir drei angenehme Überraschungen: Die am Eingang aushängende Bild-Zeitung sagte ausnahmsweise mal die Wahrheit – die Spritpreise waren tatsächlich weiter gesunken, und ein Liter Normalbenzin kostete 86,9 Pfennig (»Volltanken, bis zum Rand!«, knurrte Little Joe); es gab, dreihundert Kilometer von zu Hause, Früh-Kölsch in Dosen, wieso auch immer (wir verkniffen uns einen Blick aufs Verfallsdatum); und an einem Tisch am Fenster saßen die Jungs und Mädels vom Bielefelder Kurorchester, nette Kollegen, mit denen wir in den letzten Jahren schon öfter die eine Garderobe, Bühne oder die andere nächtliche Theke geteilt hatten. Meist mit viel Spaß, obwohl sie eine sehr merkwürdige Musik machten – Kunstmusik, Jazzrock mit klassischen Elementen und klassizistisch gedichteten Texten über die Einsamkeit von Schmetterlingen, die Launen von Pfeifenrauch oder die Träume von Lockenwicklern. Damit nicht genug, konnten sie ihre Auftritte mit akrobatischen Einlagen von mehr oder weniger freiwilliger Komik krönen – Chef Kurti brachte einen Handstand auf seinem Cello zustande, Kerstin, die Trommlerin, konnte im Spagat auf dem Harmonium Feuer spucken, und Saxophonist Oleg glänzte mit Big-Band-Bläsersätzen, synchron auf drei Gießkannen gespielt. Weshalb sie auf Festivals gern gesehene Spätnachmittagsanheizer waren.

      Sie rochen kräftig nach Frühling in Tüten, was Emerson für ein willkommenes Weilchen die Bandbesprechung vergessen ließ, und tranken Kaffee mit eingeschmuggeltem Osborne.

      Da ich keinen Kaffee trinke, probierte ich höflichkeitshalber bloß mal an der Osborne-Flasche, hielt mich an das gut gekühlte Heimische und fachsimpelte mit Kerstin über Sinn und Nutzen elektronischer Schlagzeuge – sie hatte sich dank einer vom Goethe-Institut gesponserten Südamerikatour nicht nur ordentlich mit exotischen Perkussionsinstrumenten eingedeckt, sondern sich auch ein brandneues Set Simmons-Drums für über vier Mille geleistet. Ergebnis waren ein sehr, ähem, eigenwilliger neuer Kurorchester-Sound und ständig schmerzende Handgelenke – Sehnenscheidenentzündungen, weil die Keramikschlagflächen dieser Trommeln längst nicht das nachgiebige Schwingungsverhalten der guten alten Kalbfelle hatten; auf den Simmons zu spielen war, als würde man auf Badezimmerkacheln trommeln.

      Ein knappes Stündchen später erinnerte uns ein lautstark die Raststätte enternder Trupp Bundeswehrsoldaten daran, dass auch wir noch Marschpläne hatten – das Kurorchester hatte abends einen Gig in Würzburg, und wir waren ja immer noch auf dem Weg nach Erbelheim. Da wir uns am Wochenende in Pöckensdorf schon wiedersehen würden, fielen die Abschiedsumarmungen relativ undramatisch aus, leider sogar die zwischen Drummer und Drummerin – sie war neuerdings mit Piddy zusammen, der auf dem Festival einer der Lichtleute sein würde. Zum Trost schenkte sie mir auf dem Parkplatz einen wie immer nach Spiritus schmeckenden Kuss und ein Paar brasilianischer Maracas, mit echter Maiskornfüllung, und ich revanchierte mich mit einem halben Tiegel Beinwellsalbe, für ihre geschundenen Handgelenke. Had my head stuffed in / But I’m still on my feet /And I’m still / Willin’ *

      Little Joe übernahm das Steuer, Bruni rollte sich auf der Rückbank in eine Decke ein, die Penner’s rückten auf den Sitzen hinterm Fahrer zusammen. Motor an, Bier auf, Radio an: Sie hören Nachrichten.

      Außenminister Kriegel war auf dem Weg von Washington nach Moskau, um sich mit Gorbatschow zu treffen. Gorbi rückte die BRD auf Platz eins in Europa, was immer er damit meinen mochte – der Nachrichtensprecher erläuterte das nicht näher.

      Graf Koks, eh, pardon, Lambsdorff hatte nach wochenlangen Gerichtsverhandlungen wohl einen Freispruch vom Vorwurf der Bestechlichkeit zu erwarten. Surprise, surprise.

      Als letztes europäisches Land hatte Großbritannien die Prügelstrafe abgeschafft. Denkbar knappe Entscheidung des Unterhauses – mit 231 zu 230 Stimmen. Wir hielten das für einen verspäteten Aprilscherz, aber Oblong, der mal ein Jahr als Austauschschüler in England verbracht hatte, konnte das bestätigen.

      »Hat also auch keinen Sinn, den Lambsdorff rüber zu schicken«, schlussfolgerte Veedelnoh.

      »Na, genau so hätten doch die Prügel verdient, die ihn jetzt ungestraft laufen lassen«, sagte ich.

      »In dubio pro reo«, dozierte Emerson.

      »Kiffer …«, knurrte ich.

      »Alle in einen Sack und Knüppel drauf!«, schrie Little Joe nach hinten und verlangte nach einer weiteren Büchse Bier.

      »Alkohol am Steuer?«, fragte Noh. Little Joe wies nur stumm auf das Schild über dem Rückspiegel: Während der Fahrt nicht mit dem Fahrer sprechen!

      Thema Musik – in der Mozartstadt kam vor den Salzburger Festspielen keine rechte Freude auf. Terrorangst und Tschernobyl vertrieben US-Touristen, Streit um Pöckensdorf die Bayern. Man fragte sich ängstlich, ob Franz-Josef Strauß seinen Besuch absagen würde. Bei den Festspielen, nicht in Pöckensdorf (von Tschernobyl natürlich ganz zu schweigen).

      In Köln nahm der Konflikt zwischen Türken und Kurden neue Formen an. Vier bewaffnete und maskierte Männer mit kurdischem Akzent hatten letzte Nacht die Unterkunft des türkischen Kulturvereins in der Burgunder Straße überfallen. Fünf späte Gäste und das Bedienungspersonal mussten sich auf den Boden legen, dann wurden ihnen Geld, Uhren und Schmuck abgenommen. Daraufhin wurden sie in einen Keller gesperrt. Zum Schluss leerten die Eindringlinge alle Automaten und ließen einen Videorekorder mitgehen.

      »Komisch«, kommentierte Emerson sarkastisch, »keine Rede von kiloweise Heroin, Opium, Haschisch, die verschwunden sind …?«

      »In einem türkischen Kulturverein?«, fragte Noh scheinheilig. »In Kölle?«

      Aber wo wir schon in Köln waren – Fortuna hatte im eigenen Südstadion keine Chance und verlor 1:6 im Lokalderby gegen den FC. Da würde »der Schäng« in seinem Stammlokal wohl etliche Trostrunden schmeißen müssen.

      »Aber Tschernobyl ist unser Stichwort«, kam Emerson dann doch noch zum ernsteren Teil des Tages. »Pöckensdorf. Zigtausend vor der Bühne, die nicht einfach nur Konzertbesucher sind, sondern auch Demonstranten. Genau, wie das Paaf! nicht einfach nur ein Rockfestival ist, sondern vor allem eine politische Veranstaltung.« Allgemeines Gähnen. Bierdosenzischen. Zigarettenpapierrascheln. »Ja, ja, ich weiß, ihr Banausen. Aber wir werden nicht umhin kommen, uns was zum Thema zu überlegen. Und das nicht erst auf der Bühne. Oder bei irgendeiner Pressekonferenz, Männers.«

      »Vergesst die Talkshow nich’«, kam es schläfrig von der Rückbank.

      »Ach, du Scheiße«, stöhnte Noh, »die Scheiß-Talkshow in München …!«

      »Das soll der kleine dicke Ritter übernehmen«, schlug ich vor und gewann eine Extradose Bier. Unser neuer Bassist redete an schlechten Tagen weniger als Buster Keaton und an guten nicht viel mehr als Marcel Marceau. Manchmal auch umgekehrt.

      »Aber telegen isser ja«, meinte Noh.

      Konnte man so sehen. Oblong trug, wie meistens unterwegs, seinen bequemen Touranzug – einen knallgrünen, selbst seinen hundertdreißig Kilo drei Nummern zu weiten Tankwart-Overall, ölverschmiert, als habe er sein freies Wochenende unter dem Setra verbracht, den rosa Reißverschluss offen bis zum Nabel. Darunter blendete einen in Neon-Orange der Totenkopf eines schwarzen Grateful Dead-T-Shirts, die Beine des Overalls steckten in