Paaf!. Rich Schwab

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Название Paaf!
Автор произведения Rich Schwab
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783862871902



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gehörschädigenden Kleiderschränken mit ausreichend Strom versorgen könnte, um auch dem letzten Waldschrat in der letzten Reihe der Mehrzweckhalle Habbelrath die frohe Botschaft vom Zeitalter des Wassermanns, der freien Liebe, des jedermann zugänglichen Haschgifts und des Freibiers für alle zu verkünden und sechsstimmig in die weich gekiffte Birne zu prügeln. Falls Sie ihr Instrument zufällig mal wieder ordentlich gestimmt haben sollten.«

      »Apropos freie Liebe«, sagte Bruni. »Das sind nicht mehr meine Füße, die du da massierst.«

      »Oh«, sagte ich.

      »He«, sagte Noh.

      »Ach«, sagte Oblong.

      »Ich glaub’, ich bau’ mal einen«, sagte Emerson.

      »He, Emmer – wolltest du nicht was besprechen?«, fragte Noh nach ein paar Kilometern in allgemeinem Schweigen. Bruni hatte mir ihre Füße entzogen, sich auf dem Sitz neben ihm zusammengerollt, den Kopf in seinem Schoß, und schlief. Ihr kurzes geblümtes Kleidchen hatte sich bis über ihr Hinterteil geschoben, und sie lag da wie der fleischgewordene Traum jedes Playboy-Lesers. Wie einer meiner fleischgewordenen Träume, um ehrlich zu sein. Noh bemerkte meinen versonnenen Blick, schüttelte missbilligend den Kopf und zog das Stöffchen zurecht.

      »Spielverderber«, sagte ich.

      »Selber«, sagte er.

      »Ich?!«

      »Ich kann mich grad’ nicht bewegen«, sagte er mit einem Kopfnicken auf die schlafende Prinzessin hin. »Aber mein Bier is’ alle.« Ich stand auf, holte zwei frische aus der Kühlbox und spendierte ihm eins davon. Als hätte ich etwas wieder gut zu machen.

      »Was war denn jetzt, Em’?«

      »Ihr könnt mich mal«, brummte Emerson.

      »He, he«, sagte Oblong und wackelte lüstern grinsend mit den Augenbrauen wie Groucho Marx.

      »Fühl dich diskriminiert«, sagte Emerson und produzierte eine Rauchwolke, mit der man eine ganze Schulklasse hätte antörnen können.

      »Kann ich jetzt das Radio wieder anmachen?«, fragte Little Joe.

       3 – Heinz

       Stuttgart, Samstag, 19. Juli 1986

      »Herein, wenn’s kein Schneider ist!«, schrie Heinz Gehrmann und kicherte in sich hinein, weil er wusste, wer geklopft beziehungsweise leise wie immer viermal kurz, zweimal lang an die Tür gepocht hatte. Aber Willy Schneidereit hatte sie schon aufgedrückt, langsam, fast schüchtern, wie es seine Art war, gerade so weit wie nötig, und schob sich durch den Spalt ins Zimmer. Dann wurde die Tür grob sperrangelweit aufgestoßen und der dicke Klemens stampfte hinterher. Dick und Doof, dachte Heinz, und sein Kichern artete in unkontrollierbares Gegacker aus.

      »Schön, dass Sie ihren Spaß haben, Herr Gehrmann«, versuchte Schneidereit die Musik zu übertönen. »Ah – Charlie Parker, oder? Ornithology?«

      »Nicht schlecht!«, giggelte Heinz. »Aber nur fast – es ist Night in Tunisia.« Er saß im Schneidersitz auf seinem ungemachten Bett, den aufgeklappten grauen Saxophonkoffer links neben sich, und polierte das halb auseinander gebaute Instrument in seinem Schoß. Rechts von ihm qualmte ein Joint im Deckel eines Marmeladenglases. Heinz trug eine grüne Turnhose und ein schwarzes T-Shirt, auf dem Frank Zappa mit heruntergelassenen Hosen auf einem Klosett saß. Das Zimmer um das Bett herum sah aus, als hätte sein Bewohner ein paar Flohmarktstände ausgeraubt und die Säcke mit der Beute zur Begutachtung einfach ausgekippt – Kleidungsstücke aller Art, Stoffpuppen, Tonbänder, Platten und Plattencover, ein halbes Fahrrad, Kerzenständer aus Messing und Holz, ein gelbes Umleitungsschild, zwei verschrammte Lederkoffer, aus denen weitere Klamotten quollen, randvolle Aschenbecher, Geschirr mit längst versteinerten oder womöglich schon wieder lebenden Essensresten, eine Wasserpfeife, Zeitschriften, Taschenbücher und Berge von Notenblättern in wildem Durcheinander.

      Der dicke Klemens stiefelte durch das Chaos wie durch Herbstlaub, quer durch das Zimmer, zu dem Plattenspieler, der auf einer dreibeinigen weißen Kommode voller Brandlöcher stand, das fehlende vierte Bein war durch ein paar Karl-May-Bände ersetzt. Er packte mit einer lässigen Bewegung den Tonarm, ließ die Nadel mit einem hässlichen Kreischen über die Rillen schrammen, brach ihn einfach ab und warf ihn in eine Zimmerecke. Heinzens Gekicher verstummte, sein Kinn klappte herab, aus einem Mundwinkel hing ein Speichelfaden. Für ein paar Sekunden war es mucksmäuschenstill im Raum.

      »He!«, schrie er dann. »Seid ihr bekloppt?!« Schneidereit machte eine entschuldigende Geste. Klemens nahm Charlie Parker vom Plattenteller, und schleuderte die Platte wie eine Frisbeescheibe quer durch das Zimmer. Heinz war zu bedröhnt, um schnell genug zu reagieren, die Platte traf ihn an der Stirn und verursachte einen Schnitt, aus dem sofort das Blut hervortrat und ihm die Wange entlang rann. Er wischte sich mit einer Hand darüber, betrachtete ungläubig das Blut daran, schüttelte den Kopf, während sich mit einem Schluchzer sein Mund schloss.

      »Mann, ey …«, flüsterte er. Dann trat Angst in seine Augen.

      Schneidereit fegte eine fleckige Jeans vom Bett und setzte sich auf das Fußende, wiederholte die entschuldigende Geste.

      »Ich glaube, Klemens hat schlecht geschlafen«, sagte er mit seinem üblichen scheuen Lächeln. »Und dann noch diese Ungeduld …«

      »Was wollt ihr denn?«, greinte Heinz. »Ich hab’ doch …« Klemens grunzte, zog eine Coltrane-Platte aus ihrem Cover, wog sie abschätzend in der Hand und fixierte den Schnitt auf Heinzens Stirn, stand da und beherrschte bedrohlich den Raum wie ein eben ausgebrochener Gorilla.

      »Sie haben arg wenig, Herr Gehrmann«, sagte Schneidereit. »Wir haben arg wenig. Weil Sie anscheinend einiges nicht begriffen haben und bedauerlich wenig kooperativ sind. Das war so nicht abgemacht.«

      »Aber …«

      »Ich finde es daher nicht verwunderlich, dass Klemens schlechte Laune hat. Und ungeduldig wird.« Zehn Zentimeter über Heinzens Kopf zerschellte Coltrane an einem Schwarz-weiß-Poster, auf dem Heinz in verrauchter Atmosphäre sein Saxophon blies. The German Heinz stand in Orange darüber, Finest Jazz in Rock darunter. Am unteren Rand war ein weißer Streifen freigelassen worden, auf den mit verschmiertem roten Filzstift live im Schloßkeller gekrakelt war, Ostermontag 21.00 Uhr, Eintritt frei. Keine Jahreszahl, aber Heinzens Haare waren auf dem Foto viel dichter und länger als auf seinem blutenden Kopf darunter, und sein Gesicht um einiges runder.

      »Schönes Poster. Aber Eintritt frei gibt’s bei uns nicht, mein Junge«, sagte Schneidereit, in einem Ton, als würde er das bedauern. »Wenn wir dich weiter so gut versorgen sollen, musst du uns versorgen. Und das nicht mit monatelangen Ankündigungen und leeren Versprechungen.«

      »Aber ich hab’ doch …«, stammelte Heinz und umklammerte das Saxophon in seinem Arm wie einen tröstenden Teddy.

      »Ja, du hast. Dass irgendwas im Busch ist. Irgendwas kann ich dir heute auch geben – aber ich möchte bezweifeln, dass du dir das in deine kaputten Venen spritzen möchtest.« Mit überraschend hartem Griff packte er Heinzens linken Fuß und verdrehte ihn. Unter dem Innenknöchel war alles verschorft und zerstochen. Als Schneidereit seinen Daumen auf die geschwollene Stelle drückte, schrie Heinz auf; Tränen schossen ihm in die Augen.

      »Nicht! Bitte nicht!«, heulte er.

      »Wollen die ihn auftreten lassen?«, fragte Schneidereit, seine Stimme so sanft, dass Heinz sie mit dem quälenden Daumen nicht in Verbindung bringen konnte. »Will er auftreten? Wird er? Und wenn ja, wann?« Heinz wand sich vor Schmerzen und verschluckte den Rotz, der aus seiner Nase troff.

      »Ja!«, stöhnte er. »Ja! Am Samstag! Als Top Act!« Der Druck ließ nach, der Daumen verschwand. Schneidereit fischte ein säuberlich gefaltetes weißes Taschentuch aus der Tasche seines billigen blauen Regenmantels,