Paaf!. Rich Schwab

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Название Paaf!
Автор произведения Rich Schwab
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783862871902



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Wäre es Zucker gewesen, hätte es für eine ganze Kanne Kaffee gereicht.

      Es war kein Zucker.

      Heinz richtete sich auf, seine Augen begannen zu glänzen, in seinem Gesicht bildeten sich rote Flecken. Bittend streckte er die Hand nach dem Pulver aus. Schneidereit entzog es ihm, wedelte damit herum und lächelte sein bekümmertes Lächeln.

      »Wird er nicht«, sagte er. »Nicht, wenn du das hier haben willst. Und mehr. Viel mehr.« Er bückte sich, hob eine klebrige Ravioli-Dose auf, die neben dem Bett lag, riss mit einem sorgfältig manikürten Fingernagel ein Loch in das Beutelchen und ließ das Pulver langsam in die Soßenreste in der Dose rieseln.

      »Nein …!«, jammerte Heinz. »Aber ich kann den doch nicht hindern …«

      »Doch«, sagte Schneidereit. »Kannst du. Wirst du. Wird Zeit, dass du dir dein Stöffchen mal ernsthaft verdienst.«

      »Ja, wie denn?«

      »Das werden wir dir noch rechtzeitig mitteilen, Junge.« Schneidereit drehte das Beutelchen um, faltete es einmal zusammen. Das Rieseln hörte auf, er machte Anstalten, das Päckchen wieder in seine Tasche zu stecken.

      »Nein!«, machte Heinz. »Was soll ich tun?« Schneidereit stand auf und wischte seinen Mantel ab, als habe er auf einer nassen Bank gesessen.

      »Er wird nicht auftreten«, sagte er. »Dort nicht. Und nirgendwo mehr.« Heinz stöhnte. »Und du wirst unser verlängerter Arm sein. Und deinem Land ausnahmsweise mal nicht auf der Tasche liegen, sondern ihm einen großen, patriotischen Dienst erweisen.« Schneidereit ließ das Beutelchen auf das Bett fallen. »Und du wirst keine weitere Chance bekommen, merk dir das.« Er ging zur Tür und öffnete sie. Erst da fragte sich Heinz, wie sie denn überhaupt in die Wohnung gekommen waren – seine beiden Wohngenossen waren gar nicht da, und ein Klingeln hatte er auch nicht gehört.

      Der dicke Klemens machte drei Schritte, bis seine Knie an das Fußende des Betts stießen, holte eine Dose Cola aus seiner Manteltasche, öffnete sie und trank einen langen Schluck.

      »Aaah!«, machte er und rülpste. »Merk dir das gut!« Dann trank er noch einen Schluck. »Schönes Instrument«, sagte er noch und kippte grinsend den Rest der Cola über das Saxophon.

      »Oh, nein!«, jaulte Heinz auf. »Meine Klappen! Du Scheißer!«

      »Dz, dz!«, machte Klemens, warf die leere Dose in eine Ecke und ging an Schneidereit vorbei hinaus.

      »Mann! Wisst ihr, was das für eine Scheiß-Arbeit ist, die Klappen jetzt wieder sauber zu kriegen?! Ich muss …« Jedes einzelne Klappenpolster vorsichtig mit warmer Seifenlauge reinigen, dachte er weinerlich. Und selbst das garantierte nicht, dass anschließend jeder Ton so aus dem Instrument heraus kam, wie er ihn beim Hineinblasen gemeint hatte. Besser und sicherer wäre, alle Polster gegen neue auszutauschen – aber das war ein teurer Spaß und würde beim einzigen Spezialisten der Stadt wahrscheinlich wieder Wochen dauern. »Das darf nich’ wahr sein!«, jammerte er. »Scheiße, verdammte!«

      Schneidereit kam noch einmal zurück und warf Heinz ein weiteres Plastikbeutelchen in den nassen Schoß.

      »Hier«, sagte er väterlich, »verscherbel das und kauf dir einen neuen Plattenspieler.« Dann ging auch er. Die Tür blieb offen.

      Als draußen die Wohnungstür zuknallte, sprang Heinz auf, warf seine Zimmertür zu und schnappte sich die beiden Beutel.

      »Wow!«, sagte er. »Das sind ja mindestens …« Er feuchtete seinen Zeigefinger an, tupfte in das offene Päckchen hinein, leckte das weiße Pulver vom Finger und verdrehte die Augen. »Hey! Vom Allerfeinsten! Richtig gutes Stöffchen!« Er warf sich wieder auf das Bett und kramte eine verschrammte Alt-Blockflöte aus dem Saxophonkoffer. Schraubte sie auf und entnahm ihr eine Einwegspritze. »‚Dienst am Vaterland’!«, brummte er. »Arschlöcher!« Unter dem Kopfkissen fand er einen schwarz angelaufenen Esslöffel. Er zündete eine Kerze neben dem Bett an, spuckte in den Löffel und träufelte ein wenig von dem Heroin in die Spucke. Dann hielt er das Ganze über die Kerzenflamme, bis Dampf aufstieg und das Pulver sich zischend verflüssigte. Mit einem verträumten Lächeln zog er die Flüssigkeit auf die Spritze auf, ließ sie eine Minute abkühlen und suchte dann, das Thema von Night In Tunisia pfeifend, an seinem Fußknöchel eine heile Stelle. »Dienst am Vaterland!«, kicherte er. »Auf den verfickten Verfassungsschutz!«, rief er, als er die Nadel in eine Vene jagte. »Auf dieses unser Land!«

      Er lehnte sich zurück, schloss die Augen, lauschte mit weit offenem Mund der Musik in seinem Kopf und dem rauschenden Weg der Wunderdroge durch seine Blutbahn.

      »Aaah«, seufzte er. »Was ’n Stöffchen! Dafür räum’ ich euch die ganze verkackte Rasta-Bande aus dem Weg …! Verfasster Verfickungsschutz!«

      Kichernd schlief er ein, die Nadel noch im Fuß. Ein schmaler Blutfaden rann aus der Einstichstelle und gerann an seiner Ferse.

       4 – Büb

       Erbelheim, Samstag, 19. Juli 1986

      Das Erbelheimer JuKuZ entpuppte sich als ein Jugend- und Kulturzentrum, in dem wir schon zum vierten oder fünften Mal waren in unserer tollen Karriere. Beim ersten Mal hatten wir uns für siebzehn Zahlende den Arsch abgespielt, beim zweiten Mal waren’s deswegen neunzig gewesen, und seitdem platzte der Laden jedes Mal aus allen Nähten. Mag sich gut anhören, aber mehr als hundertfünfzig passten gar nicht rein.

      Ja, warum spielt ihr denn nicht in ’ner größeren Halle? werden wir deswegen öfters gefragt. Hat einerseits was für sich, tun ja alle, aber andererseits macht’s nicht wirklich Spaß, in der genuin deutschen Mehrzweckhalle zu spielen, wo es noch nach der letzten Viehauktion oder Dackelausstellung riecht und nach dem Schweiß von Freizeitringern, Fingerhaklern und Skatmeistern, wo die Bühnendeko noch vom letzten Krippenspiel oder Feuerwehrball oder einer Aufführung von Grüß Gott, Frau Wirtin! stammt. Und wo die heimischen Amateurkonzertveranstalter den Hausmeister mit einer Flasche Asbach bestechen müssen, damit er gnädig die Turnmatten in den Geräteraum schaffen lässt und erlaubt, dass für die Bühnenbeleuchtung der zweite Sicherungskasten geöffnet wird. Abgesehen von den wichtig tuenden Jungs von der Freiwilligen Feuerwehr, deren Anwesenheit dort Pflicht ist, und die einem am liebsten für jede Zigarette, die sie hinter der Bühne genehmigen, fünf Mark Schutzgebühr abknöpfen würden. Und abgesehen von der gewöhnungsbedürftigen Akustik. Und von Vertragsgastronomen, die nicht verstehen können oder wollen, dass nicht jeder Musiker es generös findet, auf die Frage »Wie viele seid’s ihr denn?« und die Antwort »Sieben« gnädig sieben Bierbons in die Hand gedrückt zu bekommen.

      Und schließlich – ist es nicht genau das, was die Wirtschaft dieses Landes, der ganzen Welt, über kurz oder lang zugrunde richten wird, dieses Immer mehr, immer größer, immer noch mehr? Dieses ewige Füttern der unersättlichen Götter Umsatz, Profit und Wachstum, Wachstum, Wachstum?

      »Ich hab’ zehn bis fuffzig Gäste am Abend«, pflegte Ferdi, unser Kölner Stammwirt, auf entsprechende Angebote zu sagen, »da kann ich prima von leben. Einmal alle drei Jahre fahr’ ich sogar in Urlaub. Warum soll ich mir da eine zweite Kneipe ans Bein binden? ’nen Haufen Angestellte kontrollieren müssen? Nur noch die Hälfte meiner Gäste mit Namen kennen? Womit ich dann schon weit vorne wäre, denn von denen kennt mich auch nur höchstens die Hälfte. Vergesst es, Kollegen!«

      Recht hat er. Und wir sind Penner’s Radio, wir scheißen auf Umsatz- und Profitmaximierung. Spielen wir eben alle zwei Jahre in den JuKuZ dieser Welt, und ein treues Publikum dankt es uns, die Hütte ist immer voll und die Stimmung, wie sie sein soll. Und unser Spritgeld und unser Bier können wir auch bezahlen. Das können wir auch die nächsten zwanzig Jahre noch machen, wenn’s von manchen gerade in die Stadthallendimension aufgestiegenen Kollegen längst heißt »Trio, Trio … Wer war das noch mal?«

      Weswegen wir auch heute einen netten Abend hatten. Es mussten zwar dreimal die Bullen kommen und die Fenster