Paaf!. Rich Schwab

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Название Paaf!
Автор произведения Rich Schwab
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783862871902



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zweiten Schluck.

      »Auf Kriegel!«, sülzte Esser-Steinecke und kippte den Rest in sich hinein, dabei den Kopf in den Nacken werfend wie ein alter Thekensteher.

      »Was wird denn hier gefeiert?«, fragte Alexander Zoller, von allen nur Sascha genannt, von der Tür her. Er lehnte bloß am Türrahmen, aber die drei im Zimmer hatten sofort das Gefühl, als fülle er die Mitte des Raumes. Dabei war er nicht einmal besonders groß oder gar dick – ein untersetzt stämmiger Typ in ausgefransten Jeans und hohen schwarzen Boxerstiefeln mit roten Schnürsenkeln, braune Haarwellen wirr über der Stirn und dem hochgeschlagenen Kragen seiner obligaten abgewetzten, schwarzen Lederjacke, die er schon in seiner Zeit als Gießener Taxifahrer Tag und Nacht getragen hatte. Aber auch ohne die hatte seine Ausstrahlung etwas Bestimmendes, fast Bedrohliches – Illenberger hätte, wäre sie ihm nachts begegnet, die Straßenseite gewechselt.

      Sie erzählten ihm, was gefeiert wurde, eifrig, abwechselnd und gleichzeitig, zwischendurch immer wieder die Tasse auffüllend, bis die Flasche leer war und Kolbe sich noch einmal bücken musste, um die zweite aus seinem Geheimfach zu buddeln.

      Na ja, hatten sie sich verdient, eigentlich. Fand sogar Zoller, der ansonsten beim Thema Alkohol im Dienst gerne seine protestantisch-cholerische Ader raushängen ließ. Auch wenn er sich selbst im Pallament, dem Bonner Treffpunkt linker Politik, zweimal die Woche bis zur Besinnungslosigkeit die Kante zu geben pflegte. Gerade deswegen, wahrscheinlich.

      Sie hatten es also geschafft, wenn auch nur dank der Einmischung des alten Walter Kriegel – Außenminister, Doyen und Aushängeschild der Liberalen. Fast zwei Monate lang hatte der CSU-Landrat von Scherdorf ihnen einen Knüppel nach dem anderen zwischen die Beine geworfen und ihnen die Genehmigung für das geplante Anti-Atom-Festival in Pöckensdorf verweigert. Selbst die große Feuerwehrdelegation, mit Helfried Broth, Ming Tant, Frieda Berlin, Rollo Becker und Doppeldoktor Dietmar Dörmann, ein paar Anwälten und ihrem designierten Parteivorsitzenden Sascha Zoller hatte bei einem Treffen in Regensburg auf Granit gebissen.

      Der Reaktorunfall von Tschernobyl war drei Monate her. Martina Esser-Steinecke, Sabine Illenberger und Rainer Kolbe hatten sich in den letzten Wochen im Souterrain des Grünen-Büros am Telex-Ticker die Nächte um die Ohren geschlagen, einen Verteiler über die Grünen-Kreisverbände aufgebaut und, nicht zuletzt dank der fleißigen konspirativen Mithilfe eines Sympathisanten im Forschungszentrum Jülich, quasi stündlich die neuen Becquerel-Werte an aufgeschreckte Basis und empörte Bevölkerung durchgegeben. Und hatten dadurch die Grünen in den Wählerumfragen weit nach vorne katapultiert – während Bayerns Innenminister Zimmermann immer noch beharrlich tönte, das alles sei doch völlig harmlos und ungefährlich und reine Panikmache der neuen Außenseiter-Partei.

      Und jetzt Kriegel, der alte Taktierer. Hatte das ganze Projekt an sich gerissen und Order von ganz oben gegeben. Die Zimmermänner schäumten, waren aber machtlos – im Grunde hatten sie die ganze Republik gegen sich, nicht mehr nur ein paar langhaarige Latzhosenträger, Friedensdemonstranten und Chaoten oder die in ihren Augen linksradikale Presse wie taz, Spiegel und Stern. Das Gelände wurde freigegeben, das Festival genehmigt; zwar mit schärfsten Auflagen, aber: Grünes Licht. Quasi. Mindestens fünfzig-, sechzigtausend Besucher wurden erwartet, und alles, was in der deutschen Rock- und Popszene Rang und Namen hatte (oder sich welchen erwerben wollte) riss sich darum, dort auftreten zu dürfen. Hinter den Kulissen wurde gerangelt und gemauschelt, was das Zeug hielt; das berufslinke Stehaufmännchen Dörmann hatte sich mal wieder geschickt eingeklinkt und bemühte sich heftig, möglichst viele Strippen an sich zu reißen. PA-Firmen boten Material, Manpower und sogar Geld, um die Beschallungs- und Beleuchtungsjobs zu bekommen, ein berüchtigter Münchner Feinkostkrämer tönte in der Abendpost, er werde die biblische Speisung der Vierzigtausend in den Schatten stellen – »zum Selbstkostenpreis, selbstverständlich!«, der Stapel mit Anfragen für Pressekarten wuchs jeden Tag um mehrere Zentimeter, der WDR geriet in Woodstock-Fieber, tat sich mit einem privaten Produzenten zusammen und plante einen Kinofilm zum Ereignis, die Universum kündigte ein Doppel- oder gar Dreifach-Album an, und in etlichen Tonstudios wurde fieberhaft an neuen Platten gearbeitet, die pünktlich zum Festival erscheinen sollten. Sogar der alte Franjo Homburg, Europas größter Konzertveranstalter, hatte seine Abneigung gegen deutsche Rockbands zumindest ruhen lassen und bot Know-how und Logistik an.

      »Deutschlands größtes Rockfestival nimmt Formen an!«, tönte die Bildzeitung und ignorierte mal wieder geflissentlich, dass seit acht Jahren jeden Sommer an die hunderttausend Freaks zu Umsonst & Draußen nach Vlotho pilgerten. Aber selbst Kolbe fühlte sich geschmeichelt, dass seine Wortschöpfung in knallroter 36-Punkt-Schrift darüber prangte – Paaf! – für Pöckensdorfer Anti-Atom-Festival.

      Und im ganzen Land fluchten junge Polizisten, weil ihr Urlaub gestrichen wurde, sich Anti-Demonstrations-Übungen häuften und sich das Gerücht verbreitete, die Zimmermänner planten, auf jeden Festivalbesucher einen Bullen kommen zu lassen.

       2 – Büb

       Hunsrückhöhe, Samstag, 19. Juli 1986

      Wubwrubwawrawub, wubwrubrawrawub machte unsere neue Bussin brav und unerschütterlich, während wir mit Tempo fünfundsechzig in einer Endlosschlange von Lkws stoisch irgendeinen Hunsrücken hoch krabbelten. Vor zwei Jahren war unser alter Opel Blitz endgültig auf dem Autofriedhof gelandet, und wir hatten nach langem Hin- und Herrechnen und ausgiebigen Diskussionen eine neue Penner’s Radio-Ära eingeläutet. Unsere gesamte PA wurde verkauft, ein Geldgrab ohne Ende, ein Fass ohne Boden – in guten Zeiten war der ganze Klumpatsch zu klein für die Stadthallen, in denen wir auftreten durften, und dazwischen, also die meiste Zeit, war er zu groß für die Clubs, in denen wir spielen mussten (natürlich machte es von der ganzen Atmosphäre her mehr Spaß, in den Clubs zu spielen, aber für Ruhm und Reichtum waren die meisten der größeren Hallen dann eben doch nützlicher). Außerdem hatte es sich gezeigt, dass wir bei unseren Etats aber auch immer einem wünschenswerten state of the art der Technik hinterher hechelten – kaum hatten wir wieder irgendwo günstig irgendein Gerät ergattert, das unseren Sound angeblich verbesserte, war etwas Neues auf dem Markt, das wir nach Ansicht unseres mittlerweile vierten Manns am Mischpult unbedingt brauchten, um unser Klangbild richtig nach vorne zu bringen. Und das natürlich doppelt so teuer war.

      »Alles Quatsch!«, hatte Little Joe, unser allererster Mixer, schließlich bei einem soundsovielten Bier anlässlich eines der unregelmäßigen Altherrentreffen gesagt. »Ihr seid Penner’s Radio – was wollt ihr mit dem Scheiß? Ihr spielt wie gesengte Säue, und ihr werdet ewig klingen wie gesengte Säue, selbst wenn euch mal jemand die Pink Floyd-PA zu Weihnachten schenken sollte. Ihr schmeißt einen Haufen Geld für nix und wieder nix aus dem Fenster, um live so zu klingen wie all die anderen Arschgeigen (was ihr eh nie hinkriegen werdet), und wenn ihr dann ins Studio geht, um ’ne neue Platte zu machen, ist euer Budget wieder so knapp, dass ihr die ganze Produktion, wie gehabt, in zwei Wochen über die Bühne bringen müsst! Und dass irgendwelche Dumpfbacken dann dauernd behaupten, Penner’s klänge live besser als auf Platte, fasst ihr Trötennasen dann auch noch als Kompliment auf! Dabei muss man das andersrum sehen: Eure Platten klingen so beschissen, dass ihr auf der Bühne gar nicht schlechter klingen könnt

      »He, he!«, klang es um die Theke herum, und »Starker Tobak, Joe!« Aber in Wahrheit konnte man ihm da wirklich schlecht widersprechen, nicht nur, weil er zur Bekräftigung seiner Predigt eine neue Runde bestellte. »Hast du denn ’nen besseren Vorschlag, Klugscheißer?« Hatte er.

      »Ich hab’ das aus Quatsch mal durchgerechnet«, sagte er. »In den letzten drei Jahren habt ihr für Neukäufe in Sachen PA übern Daumen achtundvierzig Mille ausgegeben.«

      »Na, na! Jetzt übertreibst du aber!«

      »Ja, etwa nich’?« Na ja, wahrscheinlich schon. War so allerdings auch keinem direkt bewusst gewesen. »Aha. In diesen drei Jahren hattet ihr gerade mal hundertdreißig Auftritte – die Benefiz-Konzerte nich’ mitgerechnet. Macht an Kosten für die PA pro Gig dreihundertsiebzig