Red House. Andreas Bahlmann

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Название Red House
Автор произведения Andreas Bahlmann
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783862870752



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Liedchen lassen sich mühelos im Blues einbetten und bekommen dadurch eine musikalische Qualität, die einem regelrecht das Grinsen ins Gesicht, ins Herz und in die Seele zwingen.

      Sogar die oft schräg erscheinende oder klingende Zirkusmusik hat eine unüberhörbare Nähe zum Blues. Polka- und Shuffle-Rhythmen sind musikalisch seelenverwandt, sie werden unterschiedlich phrasiert, transportieren aber klaglos jede noch so schräge Musik oder Melodie und geben ihr Leichtigkeit und Grinsen.

      Klar, es gibt und gab immer supergute, oft geniale Musik und Songs aller Stilrichtungen, die mich beglückt haben und auch noch beglücken und die ich nicht missen möchte, aber dennoch kommt irgendwie nichts an den Blues ran. …Warum das so ist? … fragt den Teufel, wenn Ihr ihm bei Neumond an einer einsamen Kreuzung begegnet!

Kapitellogo

      Während diese Treffen ja eher geheimnisvoll, still, manchmal auch unheimlich anmuten können, wurde gegen Ende der Sechziger das laute Schreien in der modernen Musik gesanglich »gesellschaftsfähig«.

      Schreien waren wir Kinder und Jugendlichen ja schon gewohnt durch Eltern, Trainer, Lehrer und Priester unserer Kirchengemeinde oder durch schimpfende ältere Leute, wenn sie uns maßregelten. Das Schreien besaß in unserer Welt also schon eine gewisse gesellschaftliche Akzeptanz und souverän gemeisterte Alltags-Routine …, nur eben noch nicht in der Musik.

      Joe Cockers legendärer Schrei in seiner genialen Version des Beatles-Songs »with a little help from my friends«, bei seinem Auftritt in Woodstock, zählte noch nicht – denn das waren in den Augen und Ohren der Erwachsenen die Musik der Hippies und Gammler. Wir älteren Kinder und Jugendlichen liebten diesen musikalischen Urschrei und die Jugendlichen und Hippies und Gammler liebten seit diesem Schrei Joe Cocker.

      Bei Bühnenshows von Coverbands durfte dieser »Joe Cocker-Urschrei« natürlich nicht fehlen, was aber auch oft für akustische Irritationen unter den Zuschauern und Zuhörern sorgte (»… was …, was war das denn …?) oder aber für Riesenbeifall, wenn ein Sänger diesen Schrei »konnte«.

      Little Richard zählte auch nicht zur gesellschaftlich geduldeten Schrei-Fraktion in den biederen, konservativ-bürgerlichen Kreisen, denn der war dort entweder nicht wirklich bekannt oder einfach zu schrill, wild und exzentrisch. Ebenso James Brown, der auf der Bühne mit seinem ekstatischen Tanzen und Schrei-Gesang und Hoch-Geschwindigkeits-Blues-Funk alles gab.

      Elvis war einfach zu brav zum Schreien und Könige schreien sowieso nicht, das überlassen sie lieber anderen …

      Es war eine Frau, die die Vorlage zur gesellschaftlichen, bürgerlichen Akzeptanz des Schreiens in der Musik gab. Sie hieß »Eloise«.

      »Eloise«, komponiert von Paul Ryan, gesungen von seinem Bruder Barry Ryan machte Ende der Sechziger das musikalische Schreien gesellschaftsfähig.

      Barry Ryan hatte zwar lange Haare, wirkte aber äußerlich sehr gepflegt und gut situiert … von ihm ging also keine »Gefahr des Verderbens« aus, außerdem war es ja eine Art »Familien-Musikstück«, beinahe Hausmusik zweier Brüder.

      »Eloise« ist eine orchestral geradezu überbordende Klassik-Pop-Rock Nummer mit pompösem Arrangement, an deren Ende die bombastische Schlussdynamik einfach eine gesangliche Steigerung ins Schreien verlangt, was Barry Ryan dann auch tat und er machte das auch richtig gut, deshalb erlangte er sogar bei uns Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen eine recht hohe Akzeptanz.

      Eine Schallplatte von ihm habe ich mir jedoch nie gekauft und ins Regal gestellt, aber Barry Ryan's »Eloise« war eines der wenigen Pop-Stücke, das wir Kinder und Jugendlichen gemeinsam mit den Erwachsenen anhören konnten, und zwar ziemlich konfliktfrei.

Kapitellogo

      Das Ende der Sechziger und der Eintritt in die Siebziger waren aber nicht nur durch das Schreien, sondern auch geprägt durch den Tod vieler wichtiger Musiker wie Jimi Hendrix, Brian Jones, Janis Joplin und – durch meinen Schulwechsel aufs Gymnasium.

      Als ich am ersten Tag als Schüler-Neuling über den Schulhof meiner neuen Schule ging, waren meine ersten Eindrücke die weit geöffneten Klassenzimmerfenster, aus denen rote Fahnen hingen, einige davon sogar mit Hammer und Sichel versehen und viele der Mädchen trugen sogar Hosen und auch Jeans, was mir richtig gut gefiel. Das kannte ich von meiner bisherigen Volksschule nicht, weil die Mädchen da nur Röcke trugen und auch nur tragen durften.

      Die Schüler der oberen Klassen befanden sich im Schulstreik und auch im Wahlkampf für die bevorstehenden Schulsprecherwahlen.

      Ich fand das alles unglaublich aufregend und spannend, auch wenn ich gar nicht so recht verstand, worum es überhaupt ging. An unserer Volksschule gab es nie Schulsprecher oder streikende Schüler oder Wahlkampf oder überhaupt irgendeine Art von gelebter Demokratie.

      Einer der streikenden, wahlkämpfenden, älteren Schüler stand sogar mitten während des Unterrichts einfach auf und verließ den Klassenraum mit den Worten: »Ich gehe nicht eher wieder zur Schule, bis in Deutschland der Sozialismus eingekehrt ist.« Er blieb dem Unterricht dann tatsächlich zwei Monate fern! Heute ist er selbst Lehrer und als solcher immer noch aktiv im Dienst. Ob er noch dem verpassten Sozialismus-Ultimatum noch nachtrauert, weiß ich nicht.

      Das erste Jahr an der neuen Schule begann jedoch bald darauf mit einer Enttäuschung, da für uns Fünftklässler – »die Kleinen« – einfach nicht genügend Klassenräume zur Verfügung standen. Also wurden wir ausgelagert in einen separaten Trakt einer anderen Grundschule – keine Volksschule. Diese Schule, ein altes rotes Backsteingebäude mit Linoleumboden – Klassenzimmern im Erdgeschoß und im ersten Stock, mochte ich von Anfang an nicht. Sie wirkte düster und bedrohlich auf mich – wie die Kirche neben meiner alten Volksschule. In den Gängen roch es nach Farbe und Bohnerwachs, der Klassenlehrer war streng und ich musste neben einem Jungen in der letzten Reihe sitzen, den ich ziemlich doof fand. Eigentlich wollte ich mit meinem Cousin, dem kleinen Bruder meines älteren Cousins mit der guten Musik, an einem Tisch sitzen, aber wir wurden bereits nach einer Viertelstunde in der ersten Unterrichtsstunde an dieser blöden, stinkenden Schule mit einem gestrengen: »Das geht nicht gut mit Euch!« auseinandergesetzt. Dabei sollte es eigentlich auch während der ganzen Schulzeit bleiben, wir saßen nie lange zusammen und wenn, dann als Belohnung für irgendeine schulische Leistung und das auch immer auf Bewährung, die wir schnell verwirkten.

      Ich fehlte während der ersten Zeit in dieser ungeliebten Auslagerschule einige Wochen, weil ich nicht hingehen mochte und immer Bauchschmerzen oder sonst was hatte.

      Das war bestimmt keine einfache Zeit für meine Eltern, aber sie mussten ja auch nicht dorthin.

      Als es dann endlich soweit war und wir endgültig Anfang der Siebziger in das richtige Schulgebäude einzogen, lag unser Klassenraum gegenüber einer Klasse der »Großen«, eine zehnte oder elfte Klasse. Die Mädchen sahen schon aus wie richtige Frauen und die Jungs grinsten viel, waren frech, manchmal auch unverschämt gegenüber den Lehrern und machten ständig irgendwelche Witze. Die meisten von ihnen trugen lange Haare und Jeans. Einer lief sogar immer in einer braunen Fransen-Lederjacke herum. Ein schlaksiger Typ, mit langen, etwas staksig wirkenden Beinen, leicht fettigen, langen Haaren und einem Dauergrinsen im Gesicht. Er war eigentlich an jedem Mist oder Streich beteiligt. Nach dem Ende des Schuljahres war er aber verschwunden – keine Ahnung, was aus ihm geworden ist. Die erste Schulwoche hier startete jedoch für mich auch wieder rumpelig. Unser neuer Klassenlehrer betrat morgens das Klassenzimmer und nach der Begrüßung im Stehen wollte ich mich auf meinen Stuhl setzen, als mir mein Hintermann einfach so schmerzhaft in den Rücken kniff. Ich drehte mich reflexartig um und boxte ihm auf den Arm. Das – und natürlich nur das (!) – sah der Lehrer und ich musste vor die Tür, wo ich dann wütend im Flur stand.

      Ich fühlte mich unschuldig, hatte mich doch nur gewehrt, es war Notwehr gewesen, Notwehr im Reflex, aber Petzen ging ja gar nicht!

      Die gegenüberliegende Klassenzimmertür öffnete sich und einer der großen Schüler, der mit der Fransenjacke, kam grinsend zu mir. »Na, Kleiner? Bist du rausgeflogen, weil du Mist