Gommer Winter. Kaspar Wolfensberger

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Название Gommer Winter
Автор произведения Kaspar Wolfensberger
Жанр Языкознание
Серия Ein Fall für Kauz
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783311702184



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Kurs des Winters teilzunehmen. Im Grünen Langlaufen zu gehen, hatte Kauz nicht gereizt. Die Frau, die die Administration der Langlaufschule besorgte, hatte ihn zwei Tage zuvor ganz unkompliziert umgebucht.

      »Kein Problem, Herr Walpen«, hatte sie gesagt. »Sie haben das Kursgeld ja schon bezahlt. Kurs ist Kurs, das Datum können Sie frei wählen. Kursteilnehmer und Belegschaft sagen sich übrigens Du. Einverstanden?«

      »Klar.«

      »Zara«, sagte sie. Mit ernstem Gesicht streckte sie die Hand aus.

      »Kauz.«

      »Kauz?«

      So ging es immer. Er hatte sich längst daran gewöhnt.

      »Ja.«

      »Witziger Name«, sagte sie, hob den Blick und musterte ihn. Sie musste sich ein Lächeln verbeißen. »Dein Spitzname?«

      Kauz nickte.

      Zara war eine brünette, sportliche Frau mit einem aparten, etwas kantigen Gesicht. Sie mochte knapp vierzig sein. Ihr Mund war voll und breit, doch sie zog die Mundwinkel, wenn sie auf den Bildschirm blickte, nach unten. Das verlieh ihr einen seltsam beleidigten Ausdruck. Ihre braunen Augen mit den kräftigen Brauen standen eher nah beisammen. Zara schielte ein ganz klein wenig; Kauz fand das irgendwie reizvoll.

      »Machst du nur die Administration oder …?«

      »Was heißt da nur?«, unterbrach sie ihn. Sie sah vom Bildschirm auf und strich sich eine Haarsträhne aus der Stirn. »Nein, ich arbeite auch im Laden. Verkauf, Vermietungen, Bestellungen und so. Aber du liegst nicht falsch, mein Hauptjob, das sind die Kurse. Da ist recht viel los, glaub mir. An jedem Kurs nehmen fünfzig, sechzig Schwänze teil, in der Hochsaison hundert und mehr.«

      Kauz staunte. Und fragte sich, ob er richtig gehört habe. Hatte sie wirklich Schwänze gesagt?

      »Wieso fragst du?«, fragte sie.

      »Ich wollte bloß wissen, ob du auch Langlaufunterricht gibst«, erklärte er und versuchte charmant zu lächeln. Er hätte sie sich gut als Sportlehrerin vorstellen können.

      »Schön wär’s«, sagte sie und warf ihm, über einen Papierausdruck neben dem Computer gebeugt, von unten herauf einen Blick zu. »Würde ich gern«, meinte sie und zuckte mit den Schultern. »Aber leider nein.«

      »Schade«, sagte er augenzwinkernd.

      Für Kauz’ Verhältnisse war das schon fast eine Anmache. Die Frau hatte etwas sonderbar Verführerisches an sich. War es ihr herber und melancholischer Gesichtsausdruck, der ihn an eine französische Filmschauspielerin erinnerte? Wie hatte die schon wieder geheißen?

      Na, egal!, stellte er sogleich fest und schob allfälligen inneren Regungen einen Riegel vor: Ein Kapitel Zara würde es in seinem Leben nie geben. Auch wenn sie ihm einen Blick zugeworfen hatte, auch wenn er zurückgezwinkert hatte. Nach seiner Scheidung hatte er den Frauen, und damit auch jeder Art von Liebelei, abgeschworen. Sein Leben als Mönch, wie er es manchmal nannte, war denn auch entschieden einfacher, als es das mit Chantal gewesen war. Und mit all den anderen davor. Mit seinen siebenundfünfzig Jahren konnte er das Kapitel Frauen getrost seinem Sohn überlassen. Wenn ihn nicht alles täuschte, hatte Xaver seit Herbst eine Freundin. Die gönnte er ihm von Herzen. Und zwar neidlos.

      Nun ja, Frauenfreundschaften wollte er nicht ausschließen. Das war etwas anderes. Ria Ritz, die Chefin des Polizeiposten Goms in Fiesch, war ja auch eine Freundin geworden.

      Der Papierkram war rasch erledigt gewesen. Zum Schluss sagte Zara: »Verpass den Apéro nicht! Der findet am Vorabend des Kurses im Hotel Galenblick statt. Dort hörst du alles, was du wissen musst.«

      *

      Zara war immer noch etwas außer Atem. Als im Laden und im Schulbüro Flaute herrschte, war sie an die frische Luft gegangen und hatte sich ausgetobt. Sie hatte gedacht, sie würde sich danach besser fühlen. Es war ein langer, ein nervenaufreibender Tag gewesen. Der zweite Kurs des Winters war am Mittag zu Ende gegangen, morgen würde der dritte beginnen. In einer Stunde musste sie beim Apéro für die Neuen assistieren. Ihr Arbeitstag war noch nicht zu Ende.

      Sie stand am Waschtisch im Badezimmer ihrer kleinen Wohnung und wusch sich gründlich die Hände. Dann strich sie eine Haarsträhne aus der Stirn und musterte im Spiegel ihr Gesicht. Glücklich machte sie der Anblick nicht.

      Manconi hatte recht, dachte sie: Ich sehe verbittert aus! Ist ja wohl kein Wunder. Aber sie entdeckte nichts, was hätte in Ordnung gebracht oder kaschiert werden müssen. Schminke und solches Zeug hatte sie sowieso nicht. Sie richtete Zahnbürste, Kamm und alle anderen Toilettenutensilien peinlich genau aus, sodass jedes Stück senkrecht zur Waschtischkante und zum Spiegel lag oder stand, strich das Handtuch über der Stange glatt und wusch sich ein weiteres Mal gründlich die Hände.

      In Gegenwart von andern konnte sie sich recht gut zusammennehmen. Aber wenn sie allein war, nahm ihr Tick, der ihr seit ein paar Wochen zu schaffen machte, überhand. Heute war er noch stärker als sonst. Eine ausgewachsene Zwangsstörung sei es nicht, hatte Manconi gesagt, aber es könnte sich eine daraus entwickeln, wenn sie nicht lerne, den Impulsen zu widerstehen.

      Sie trocknete sich die Hände und zog dann resolut ihre Trainingskleidung aus. Sie schob alles, was sie getragen hatte, in die kleine Waschtrommel neben der Badewanne und ließ die Maschine laufen. Dann stellte sie sich unter die Dusche und seifte sich energisch von Kopf bis Fuß ein. Bald fühlte sie sich wie neu geboren.

      Jaja, die Gommer Luft, dachte sie. Vielleicht war sie wirklich so heilsam, wie viele sagten. Deswegen war sie ja ins Goms gekommen: um Geist und Seele zu kurieren, um ein neues Leben anzufangen. Frei von dieser Seelenmarter. Wenn es nur schon so weit wäre!, dachte sie. Aber erst muss ich da durch.

      Seit Antonio nicht mehr lebte, war ihr Leben nicht mehr, was es einmal war. »Sein Tod war ein Trauma«, hatte Manconi gesagt. Trotz der schwierigen Beziehung, die sie geführt hatten. Allerdings! Es war wie ein Erdbeben gewesen, kein Stein war auf dem andern geblieben. Sie hatte ihre Stelle bei der Staatsanwaltschaft schon im Jahr davor gekündigt – nicht ganz freiwillig zwar – und arbeitete zuerst bei einem Bewachungsdienst, dann als Sportlehrerin, an einer Privatschule, die nicht auf dem Lehramtsdiplom bestand. Nach einem halben Jahr hatte sie die Nase voll. Sie hatte daran gedacht, einen Winter lang als Tauchlehrerin am Roten Meer zu jobben. Doch dann sah sie im vorletzten Herbst auf dem Portal für Touristikjobs diese Ausschreibung: »Lust auf Gommer Winter?«

      Lust nicht gerade, hatte sie gedacht. Sie kannte das Goms ja kaum. Aber sie nahm die Anzeige als einen Wink des Schicksals und bewarb sich. Carlo Steffen stellte sie sofort ein, aber nicht als Langlauflehrerin – obschon sie das Zeug dazu bestimmt hätte! –, sondern als Mitarbeiterin in der Administration und im Verkauf. Als seine rechte Hand, hatte er gesagt, und damit hatte er sie natürlich um den Finger gewickelt.

      Ob der komische Kauz heute Abend wohl wirklich kommt?, fragte sie sich, als sie sich die Haare trockenrieb. Versprochen hat er es ja. Ausnahmsweise benützte sie noch den Fön, denn sie wollte nicht mit feuchtem Haar in die Kälte hinaus.

      Vor zwei Tagen hatte dieser Walpen an der Theke des Kursbüros gestanden und doch tatsächlich mit ihr geflirtet! Ziemlich unbeholfen zwar, er war nicht gerade ein Don Juan. Trotzdem, so etwas war schon lange nicht mehr vorgekommen.

      Sie warf einen weiteren prüfenden Blick in den Spiegel.

      »Zara, Zara!«, sagte sie laut und schlug sich mit der flachen Hand auf die Stirn, als ob sie sich wachrütteln müsse.

      Wieso nistete sich ausgerechnet dieser Mensch in ihrem Kopf ein? Weil er, auch wenn er kein Don Juan war, Selbstsicherheit ausstrahlte? Zugegeben, sie hatte eine Schwäche für selbstsichere Männer. Für solche, die wussten, was sie wollten. Nicht immer war das gut ausgegangen.

      Was soll das?, dachte sie und schlug sich nochmals auf die Stirn, vergiss es! Sie beschloss, den Kauz, wenn er überhaupt kam, während des Apéros nicht zu beachten. In ihrem verwundeten Herzen war sowieso kein Platz für einen anderen Mann.

      Seit sie ihren Entschluss gefasst hatte und wieder