Gommer Winter. Kaspar Wolfensberger

Читать онлайн.
Название Gommer Winter
Автор произведения Kaspar Wolfensberger
Жанр Языкознание
Серия Ein Fall für Kauz
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783311702184



Скачать книгу

Stuhl hoch und blickte in die Richtung des alarmierenden Lärms. Er sah den Jungen, keine fünfzig Meter entfernt, in der Biegung des Feldwegs stehen. Ein stämmiger Mann hatte Hund Max am Halsband gepackt und schlug auf ihn ein. Ein zweiter Hund, ein Rottweiler, umkreiste kläffend den Fremden, den Jungen und Max. Mutig fiel Damian dem Mann in den Arm, damit er den Hund losließ. Es gelang. Dafür erhob der Fremde jetzt die Hand gegen den Jungen. Der Rottweiler fletschte die Zähne.

      Kauz rannte über die Straße, auf die kleine Gruppe zu.

      »Was ist da los?!«, rief er.

      »Verdammter Bengel!«, schrie der Mann jetzt den Jungen an, ohne von Kauz Notiz zu nehmen. »Das ist mein Hund!«

      »Nein! Meiner!«, schrie Damian zurück. Er versuchte tapfer, sich dem Erwachsenen gegenüber zu behaupten, war aber den Tränen nah.

      »Was fällt Ihnen ein?!« Kauz packte den Rüpel am Arm. Der Mann war stämmiger, aber nicht größer als Kauz.

      »Was geht Euch das an?!«, schrie der Fremde mit hochrotem Kopf und riss sich los. »Der Bengel da hat meinen Hund gestohlen!«

      »Der hat gar nichts! Das ist mein Hund!«

      Verflixt. Der Fremde musste Max’ ursprünglicher Besitzer sein. Der Collie-Mischling war Kauz im Sommer zugelaufen. Er hatte länger nach seinem Besitzer gesucht, doch umsonst. Schließlich hatte er den Hund zum Tierarzt gebracht. Der hatte festgestellt, dass das Tier nicht gechippt und somit herrenlos war. Er implantierte ihm einen Chip, und Max war von Kauz adoptiert.

      »Was ist eigentlich passiert?«, fragte Kauz den Jungen, um ihn aus seinem Schock zu holen. Damian war noch ganz außer sich.

      »Der ist mir mit seinem Rottweiler auf dem Feldweg entgegengekommen«, erzählte er atemlos. Er schaute dabei nur Kauz an, nicht den Fremden, und musste beim Reden ein Schluchzen unterdrücken. »Max ist auf dem Feld herumgetollt. Der da hat ihn gesehen und gleich zu schreien angefangen. Max hat sich geduckt und ist langsam mit eingezogenem Schwanz zu dem Mann gegangen.«

      »Eben!«, schaltete sich der Mann ein. Seine Sprache konnte Kauz nicht einordnen. Ein Gommer war er auf jeden Fall nicht. »Ist doch klar! Der Köter hat ein schlechtes Gewissen. Das soll er auch! Er ist mir auf einer Bergwanderung abgehauen!«

      »Er hat Max am Halsband gepackt und auf ihn eingeschlagen!«, berichtete Damian empört.

      »Ach, halt die Klappe!«, schnappte der Mann. »Du hast meinen Filou geklaut. Irgendwann im Sommer. Entführt hast du ihn! Aber jetzt habe ich dich erwischt, du Bengel! Meinen Filou nehme ich sofort mit. Und du kannst was erleben! Dich zeige ich an!«

      Damian suchte verdattert Kauz’ Blick. Der Junge war ein gebranntes Kind. Sein Vater, Fritz Pfefferle, genannt dr Güggäl, war ein notorischer Choleriker. Mit ihm hatte Kauz im Sommer so seine Erfahrungen gemacht. Aber mittlerweile hatte er ihn fast schon ins Herz geschlossen. Und seinen Sohn Damian erst recht.

      »Nun mal langsam«, sagte Kauz ruhig und bestimmt. »Wie gesagt, das ist mein Hund …«

      »Nichts da!«, rief der Mann aufgebracht, »der gehört mir!«

      Derweil kläffte der Rottweiler wild und sprang an seinem Herrn und Meister hoch. Der trat ihn nur kurz in den Bauch. Der Rottweiler verdrückte sich winselnd. Kauz und Damian trauten ihren Augen nicht. Aber noch ehe sie etwas zu dem Kerl sagen konnten, fuhr der fort:

      »Soll ich es beweisen?«

      »Bitte schön!«, sagte Kauz, äußerlich gelassen, aber ihm wurde langsam mulmig.

      »Also gut. Sehen Sie selbst!«, sagte der Mann, schon im Voraus triumphierend. Und damit entfernte er sich, seinen Rottweiler bei Fuß nehmend, von den beiden. Nach zwanzig Schritten blieb er stehen und drehte sich um.

      »Filou!«, rief er barsch.

      Max, der hinter Kauz und Damian in Deckung gegangen war, spitzte die Ohren, blieb aber stocksteif stehen und fixierte furchtsam den Mann.

      »Hier!«, befahl der. Und da Max sich nicht gleich rührte, schrie er: »Ich will dir gleich …! Sitz! Aber sofort!«

      Der Hund gehorchte aufs Wort.

      Kauz konnte es kaum glauben.

      »Platz!«, rief der Mann.

      Max legte sich platt auf den Boden.

      Kauz schnürte es den Hals zusammen.

      »Und jetzt: Bei Fuß!«

      Max stand auf und begann in geduckter Haltung und mit eingezogenem Schwanz auf den Mann zuzuschleichen, den Bauch fast am Boden. Dem Mann ging das zu langsam. »Wird’s bald?«, schimpfte er. »Fuß hab ich gesagt! Bei Fuß!«, rief er erneut und schlug sich mit der flachen Hand auf den linken Oberschenkel. Max duckte sich tiefer und schlich zögernd auf den Mann zu. Er war jetzt genau in der Mitte zwischen den beiden Männern.

      »Max!«, rief da Kauz.

      Max hielt an und sah sich nach ihm um.

      »Filou!«, brüllte der Mann.

      Mit Max geschah etwas Eigenartiges. Er schien in große Not zu geraten. Eine Weile sah es aus, als zerreiße es ihn. Er drehte sich nach dem jeweiligen Rufer um und setzte dazu an, entweder mit erhobenem Kopf stracks zu Kauz zurückzukehren oder unterwürfig zu dem Mann hinüberzukriechen. Jedes Mal, wenn Kauz rief, richtete er sich auf und setzte zu einem Galopp an. Schrie aber der Mann, so brach er seinen Lauf ab, machte kehrt, duckte sich von Neuem und klemmte den Schwanz noch stärker zwischen die Beine. Er konnte dem alten Reflex nicht widerstehen, dem Mann zu gehorchen und sich ihm zu unterwerfen. Trotz oder wegen seiner Angst vor Schlägen.

      »Max«, sagte Kauz. Laut, aber ruhig. »Komm her!«

      Er ging in die Knie und streckte die Hand aus. Wie bei seiner allerersten Begegnung mit dem damals verdreckten und verschreckten Tier oben am Berg. Max, völlig verunsichert, kam vorsichtig näher. Genau wie damals.

      Kauz’ Widersacher nahm eine drohende Haltung ein.

      »Filou!«, brüllte er, außer sich. Er hob den Arm und holte aus, als werfe er mit einem Stein nach dem Hund. Max hatte sich wieder gedreht, blieb im Kriechen stehen, schaute den Mann an, winselte leise und wich zurück, traute sich aber nicht wegzulaufen.

      »Filou! Fuß! Marsch jetzt! Aber dalli!«

      »Max!«

      Wie von unsichtbaren Fäden gezogen, wandte sich Max mal nach hüben, mal nach drüben, begann zu laufen oder winselnd zu kriechen. Gleich darauf brach er die Bewegung wieder ab. Das ging immer schneller, bis er sich wie verrückt um sich selber drehte. Auf einmal hockte er sich, genau in der Mitte zwischen den zwei Männern auf den Boden und kratzte sich am Kopf. Als habe er eine Entscheidung gefällt, gab er sich plötzlich einen Ruck: Er sprang auf die Beine – und rannte aus voller Kraft auf Kauz zu. Die wütenden Befehle des Mannes kümmerten ihn mit einem Mal nicht mehr. Er sprang an Kauz hoch, dann an Damian. Enthusiastisch versuchte er, jedem der beiden das Gesicht zu lecken, und da die es nicht zuließen, leckte er ihnen die Hände. Dann hockte er sich zwischen die beiden und schaute hechelnd mal zum einen, mal zum anderen hoch. Schließlich drückte er sich mit der Schulter fest an Kauz’ Bein und verharrte, heftig atmend, auf der Stelle.

      Der Grobian konnte befehlen und schreien, soviel er wollte, Max ignorierte ihn ab da, als wäre er ein vollkommen Fremder.

      »Das mit der Anzeige lassen Sie besser bleiben«, sagte Kauz, als der Mann sich an ihnen vorbeidrückte.

      »Ich denke ja nicht dran!«

      »Wie Sie meinen. Aber dann müssen Sie mich anzeigen, nicht den Jungen. Walpen ist mein Name. Ich wohne hier in Münster an der Langen Gasse. Und Ihr Name ist?«, fragte er schroff. Er schlug absichtlich einen autoritären Ton an.

      »Hinz«, antwortete der Mann wie aus der Pistole geschossen. Dann schien er zu merken, dass er Kauz gerade gehorcht hatte. »Walliser Grossrat, falls es Sie interessiert«, schob er nach, um etwas an Statur zurückzugewinnen.