Splitter einer vergangenen Zukunft. Eckhard Bausch

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Название Splitter einer vergangenen Zukunft
Автор произведения Eckhard Bausch
Жанр Языкознание
Серия Die Dunstein-Chroniken
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783947721214



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Waffe erhalten. Dafür müssen Sie jedoch einen erneuerten Treueschwur leisten. Und dieses Mal wird es nicht so einfach werden wie das Bewachen einer Gruft und einer goldenen Pforte. Sie werden gegen mächtige Gegner kämpfen müssen. Wie entscheiden Sie sich? Kampf oder Tod?“

      Die gelben Augen des Bewachers erschienen völlig ausdruckslos, als er erwiderte: „Worin liegt da der Unterschied?“ Brinngulf Sterndek konnte ihm diese Frage nicht beantworten. Das hatte Xaranth auch nicht erwartet. „Gehen wir!“, sagte er nur.

      *

      Baradia war beeindruckt von der gewaltigen Menschenansammlung, die überwiegend aus Shondo bestand. Sie hatten am Rand des Regenwalds eine Fläche gerodet, doppelt so groß wie die Besitztümer des Monasteriums.

      „Eine beeindruckende Streitmacht“, meinte die Rektorin anerkennend.

      „Das ist keine Armee. Das sind Minenarbeiter“, widersprach der große, schwarzhäutige Mann mit den langen, schwarzen Haaren.

      „Alle Shondo sind Krieger“, entgegnete Baradia. „Auch wenn sie zwischenzeitlich in Bergwerken gearbeitet haben.“

      Der erste Teil ihres Planes war aufgegangen.

      Das neu eingerichtete Collegium, die Übergangsregierung von Surdyrien, hatte Baradias Ansprüche auf das Erbe Senesia Sidas nicht anerkannt. Nach dem Tod des sindrischen Hochkönigs Gylbax, der den gesamten Besitz der Halbschwester Baradias annektiert hatte, schloss Baron Schaddoch einen denkwürdigen Handel mit dem Nachfolger des Hochkönigs ab. Er erkannte die Ansprüche des neuen Hochkönigs Yxistradojn I. an. Danach übereignete der neue Hochkönig das gesamte Erbe Senesia Sidas einschließlich der Bergwerke dem surdyrischen Volk.

      Baradia und ihr Verbündeter Uggx, der Schnorst von Oot, gaben sich damit aber noch nicht geschlagen. Als Oberhaupt der Shondo übte Uggx seinen Einfluss auf die Minenarbeiter aus, die mehrheitlich aus den Urwäldern von Oot stammten. Zuerst überredete er sie zu Arbeitsniederlegungen. Als dies nicht das gewünschte Ergebnis zeitigte, forderte er sie auf, Surdyrien zu verlassen und nach Oot heimzukehren. Die meisten waren seinem Ruf gefolgt und lagerten nun in der Nähe von Baradias Monasterium, das den Namen „Paradies der Küste“ trug. Der Besitzer einer in Lumbur-Seyth beheimateten Handelsflotte hatte die Shondo nach Oot gebracht. Baradia nutzte die Gunst der Stunde und überredete den Flottenbesitzer, in einer Bucht zehn Meilen nördlich des Monasteriums eine kleine Ansiedlung mit einem Hafen zu gründen. Für die Ausführung der erforderlichen Arbeiten stellte Uggx einen Teil der aus Surdyrien überführten Shondo zur Verfügung. Der Rest bekam die Aufgabe, die zur Versorgung der Menschen erforderlichen Plantagen und Viehweiden anzulegen.

      Vor rund einhundertundsechzig Jahren hatte Baradia gemeinsam mit ihrem Vater, Berion, einen Weg gefunden, die Alterung des menschlichen Körpers zu besiegen. Um den „Odem des Lebens“ herstellen zu können, wurden der Extrakt einer Orchideenart und Ilumit benötigt. Genau darin bestand jedoch der Schönheitsfehler des zweiten Teils von Baradias Plan.

      „Wir sind im Begriff, den Ast abzusägen, auf dem wir sitzen“, bemerkte Uggx. Durch den Abzug der Shondo aus Surdyrien war der dortige Ilumit-Abbau weitgehend zum Erliegen gekommen. „Nein“, widersprach Baradia. „Wir lösen zwei Probleme gleichzeitig. Du wirst die Shondo aus Surdyrien gegen die Rebellen in Sna-Snoot führen. Danach verkaufen wir die besiegten Rebellen als Arbeitskräfte nach Surdyrien. Genauer gesagt: Wir tauschen sie gegen Ilumit ein.“

      Nach seiner Rückkehr aus Lumbur-Seyth und Surdyrien, wo Uggx die Interessen Baradias im Zusammenhang mit dem Erbe Senesia Sidas vertreten hatte, erhoben sich die Shondo in seinem eigenen Land gegen ihn. Sie fanden sich nicht länger bereit, einen Schnorst von Oot anzuerkennen, der aus ihrer Sicht ein bloßer Handlanger der „Gütigen Frau“ war. Sie verwehrten ihm sogar den Zutritt zu der heiligen Stätte Sna-Snoot. Um seine Unsterblichkeit zu erhalten, blieb Uggx nichts anderes übrig, als mit Baradia zusammenzuarbeiten.

      „Sna-Snoot ist praktisch uneinnehmbar“, entgegnete der Schnorst von Oot resigniert. „Ich kann die heilige Stadt nicht erobern, und schon gar nicht mit Minenarbeitern.“

      „Lass das meine Sorge sein“, beruhigte ihn Baradia. „Ich werde jetzt in das Paradies der Küste zurückkehren und hoffe, dass mich Stilpin dort schon erwartet. Auch ihm werden wir die Unsterblichkeit anbieten müssen. Aber das ist er für uns wert.“

      Bei ihrer Rückkehr fand Baradia tatsächlich bereits den Priester aus Modonos vor. Er trug die rote Robe, die den Mitgliedern des Leitungsgremiums der Akademie vorbehalten war. In der Hierarchie des Ordens standen sie zwischen dem Inneren Zirkel und den einfachen Priestern. Stilpin mochte um die vierzig Jahre alt sein, hatte scharf geschnittene Gesichtszüge mit ausgeprägten Wangenknochen und kurzes, braunes Haar. Mit seinen leicht federnden, geschmeidigen Bewegungen und seiner dunklen Stimme erregte er Baradias Aufmerksamkeit weit mehr als sie dies erwartet hätte. Obwohl sie in gewissen Zeitabständen die Akademie von Modonos immer mal wieder besuchte, hatte sie ihn dort noch nie gesehen. Stilpin war ihr von einem ihrer Kontaktmänner in der Akademie empfohlen worden. Baradia begegnete ihm zunächst mit Skepsis, weil es sich bei dem Mann aus dem Leitungsgremium bekanntermaßen um einen Vertrauten Atarcos handelte. Dadurch verfügte er aber gleichzeitig auch über ausgezeichnete Informationsquellen. Deshalb hatte sie ihm schließlich doch die Aufgabe zugeteilt, die ihr von ungeheurer Wichtigkeit erschien. Sie bestand in der Überwachung des Höchsten Priesters.

      „Ulban wurde entführt“, eröffnete ihr der Priester aus Modonos nach einer kurzen Begrüßung und wechselseitigen Vorstellung. Damit hatte die „Gütige Frau“ nicht gerechnet. Die Ausführung ihres kühnen Planes war dadurch plötzlich in Gefahr geraten. Die Worte des Priesters lasteten wie dichter Nebel auf der zuvor strahlenden Atmosphäre des kleinen, verschwenderisch ausgestatteten Raumes.

      „Wer hat das getan?“, wollte Baradia wissen.

      „Das konnte ich noch nicht in Erfahrung bringen“, erwiderte Stilpin. „Aber ich weiß, wohin man ihn gebracht hat.“

      „Wohin?“, fragte Baradia sofort.

      Stilpin lehnte sich in seinem Stuhl zurück und stellte eine Gegenfrage: „Wäre es nicht an der Zeit, über meine Entlohnung zu sprechen?“

      Er lächelte die Frau mit den üppigen, weiblichen Formen unter dem blassgelben Gewand herausfordernd an. Baradia beugte sich vor und schenkte Tee nach. Zuerst bestaunte der Priester des Wissens die prächtige Orchidee in ihrem Haar. Dann wanderten seine Augen weiter nach unten. Der freizügige Ausschnitt in Baradias Kleid gestattete tiefe Einblicke. Stilpin konnte erkennen, dass sie unter diesem Kleid nichts trug. Ruckartig hob sie ihren Kopf und sah ihm tief in die Augen.

      „Vielleicht denke ich auch über die Art der Entlohnung nach, die Ihnen anscheinend jetzt gerade vorschwebt“, sagte sie mit verführerischer Stimme. „Aber sicherlich haben Sie auch schon davon gehört, dass ich über den „Odem des Lebens“ verfüge, ein Elixier, das die Sterblichkeit besiegt. Also nocheinmal: Wo befindet sich Ulban?“

      „Auf der Insel Borgoi“, antwortete Stilpin, der nun einen beträchtlichen Teil seiner Selbstsicherheit verloren hatte. „Auf dem Landsitz des Freibeuterkapitäns Jalbik Gisildawain.“

      *

      Ohne zu wissen, was sie eigentlich suchten, durchforschten Roxolay, Rakoving sowie Schaddoch und seine Männer seit Tagen die alte Arena von Derfat Timbris. Sie bestand aus einem großen, teilweise mit Steinplatten belegten Oval, einundzwanzig umlaufenden Zuschauerrängen und zwei Gebäuden hinter den Längsseiten, die die Zuschauerränge geringfügig überragten. Zum überwiegenden Teil wies die Anlage einen einsturzgefährdeten Zustand auf. In der Frühzeit Obesiens hatte die Bevölkerung von Modonos die alte Tempelstadt aus Ehrfurcht vor der Vergangenheit noch in ihrem ursprünglichen Zustand zu erhalten versucht. Ihre Nachkommen hatten irgendwann das Interesse an Derfat Timbris verloren. So entstand aus dem einstmaligen Zentrum einer blühenden Kultur eine verlassene, dem Verfall preisgegebene Ruinenstadt.

      „Ich bezweifle, dass wir überhaupt am richtigen Ort suchen“, maulte Iplokh.

      „Wir haben noch nicht einmal ein Drittel der Arena gründlich abgesucht“, erinnerte