Jetzt spinnen wir um die Wette, Henriette!. Andrea Charlotte Berwing

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Название Jetzt spinnen wir um die Wette, Henriette!
Автор произведения Andrea Charlotte Berwing
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783969530061



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wenn er ihr jetzt nicht weiterhilft. Vielleicht sollte sie sich auch so was wie Kleopatra halten. Hier.

      Vor dem Sofa würde sie dann liegen. Die Deutschen würden durchdrehen. Schwarze Magie. Nee, die hätten ganz andere Mittel parat. Wahrscheinlich tausend Ämter, hunderttausende Untersuchungen, schreckliche Journalisten. In der Bild würde stehen:

      „Wüste bringt Giftschlange mit.“ Mit einem Riesenbild von ihr. Dann könnte sie gleich einpacken. So ein Mist, das mit dem Erbe ist doch verrückt, so war es doch abgesprochen. Dann hätte sie wenigstens in dem ganzen Dilemma Kohle. Money. Auch egal.

      Sie gießt sich noch ein Glas ein. Der Abend ist lau, doch jetzt fröstelt sie etwas. Schnell trinkt sie das Glas aus, um sich eine Zigarette anzuzünden. Lucky Strike, das Glück streikt. Dann noch eine. Und noch ein Glas. Stößt sie den Rauch genüsslich aus ihren Lungen? Sie weiß es nicht. Wird es ihre Letzte sein? Bestimmt nicht. Für Gott ist sie zu schlecht. Das Leid geht weiter. Nie mehr wird irgendetwas gut. Nie mehr.

      Am nächsten Morgen weiß Lea nicht mehr, wie sie die Treppen hochgekommen ist, oder besser gekrochen. Die Kippen tummeln sich um den Aschenbecher und die Flasche ist leer.

      Bevor sie zu ihrer neuen Arbeitsstelle geht, räumt sie nichts mehr weg. Ihr ist so schlecht, dass ihr zu schlecht ist. Zu schlecht, um schlecht zu sein. Zu schlecht, um zu denken. Zu schlecht, zu schlecht, zu schlecht. Nicht zu schlecht, um aufgeregt zu sein. So viel kann ich gar nicht trinken, um zu vergessen. Weil sie jetzt Prostituierte ist oder besser sein wird. Bald. Heute noch. Welch schwarzer Tag! Oder müsste sie nicht denken, welch weißer Tag? Von den Gedanken, schmerzt ihr Kopf wieder. Ihre Nerven liegen blank, viele spitze Pfeile schwirren in ihrem Kopf herum. Und stechen hier und dort. Schwarz war sie ja schon, wenn auch nicht pechschwarz. Und verlassen dazu. Und geprellt. Und allein. Und pleite. Und jetzt auch noch das. Das Tageslicht schießt durch die Augen in ihren Kopf und lässt ihr einen minutenlangen Schmerz. Merde! Merde! Merde! Nichts wird mehr gut. Was soll‘s. Egal. Dann wühlt sie in ihren schwarzen Unterwäscheklamotten herum. Wo waren noch mal die Strapse?

      Henriette steht am Strand. Vor ihr das weite Meer. Ruhig plätschern die Wellen und umspülen schäumend ihre Füße. Plötzlich bäumt sich das Wasser auf und das Meer teilt sich. Henriette läuft zwei, drei Schritte vorwärts, ein Rubin wird ihr gereicht. Aus dem Wasser heraus. Genau vor ihr. Der rote Stein. Henriette erwacht und schließt schnell wieder die Augen. O, Mann, bitte lass mich dortbleiben. Ich will nicht erwachen. Dann dringen Kinderstimmen durch den Flur und eine genervte Männerstimme.

      Sie blinzelt, kleine Sonnenstrahlen fallen durch den roten Vorhang. Ich will noch nicht, lass es wieder Nacht sein. Sie spürt noch mal rein. Das Meer. Der rote Rubin. Und hier alles Scheiße.

      „So, jetzt habe ich eine Reise in die Türkei gebucht!“ Henriette schaut in das verdutzte Gesicht ihres Mannes. Der räuspert sich laut und klappert mit dem Geschirr in der Küche.

      Die Jungs toben im Flur, Inga sitzt leise im Wohnzimmer und schaut gespannt Heidi in den Bergen zu. Die Musik dringt in die Küche. Henriette trinkt einen Schluck, der bittere Geschmack macht sie lebendig. Noch mal Tacheles. Das muss noch geklärt werden.

      „Weder wolltest du mit mir zur Party deiner Kollegin gehen, noch mich mitnehmen und einen Urlaub hast du auch nicht gebucht. Das habe ich neun Jahre lang getan und mir ständig drei Wochen lang Genörgel angehört. Zu teuer, zu billig, zu weit weg, zu nah, zu tief, zu blöd, zu irgendwas. Ob ans Meer oder ins Gebirge, weder die Almhütte noch das Haus am Meer, ständig passt es dir nicht! Aber selber keinen Vorschlag machen! Aber selber!“

      Henriette schnauft. Trotz ihres schlechten Gewissens regt sie sich auf. Ohne ihre Kinder, ein Horror. Und wenn der wüsste. Pah, Türkei.

      „Nun fahr ich allein, sonst bin ich reif für die Klapsmühle! Und wenn ich wiederkomme, vielleicht hast du ja dann was für uns alle gebucht!“

      Mit diesen Worten dreht sich Henriette um. Über ihr Gesicht laufen Tränen. Der Wut und des Unglücks. Tomas klappert noch lauter mit dem Geschirr. Es riecht nach Kaffee. Mit ihrer Hand sich die Tränen aus dem Gesicht wischend, geht sie zurück und kippt sich Kaffee in ihre Lieblingstasse. Ob sie jetzt auch wieder heimlich in seinen Kaffee pinkeln soll und ihm dann zusieht, wie er ihn trinkt. Damit es ihr besser geht, weil sie heimlich lachen muss? Das hat schon oft geholfen. Der Ärger war wie durch Zauber verflogen. Heute wird es ihr nicht helfen, das weiß sie jetzt schon. Dann geht sie auf die Toilette. Tomas ist immer noch in der Küche, er scheint zu warten.

      „Wann kommst du denn wieder?“

      „Sonntag, den 22. Juli.“

      „Aber ich wäre doch mit dir zur Party gegangen. Wenn ich überhaupt gegangen wäre!“

      „Sag mal, merkst du noch was? Wenn ich gegangen wäre. Wenn ich mitgekommen wäre, wärst du nicht gegangen. Du hältst mich wohl für völlig blöd. Wenn du gegangen wärst. Du wolltest allein gehen, stand doch im Kalender drin. Und was erzählst du mir von deinen Kollegen? Auf einer Dienststelle wurden zwei Kollegen und eine Frau bei einem Dreier erwischt. Toll. Sodom und Gomorrha. Alles klar. Und dann allein zu `ner Party wollen, ach, leck mich, ich fahr jetzt allein in den Urlaub.“

      Dann setzt sie noch mal an.

      „Obwohl ein Babysitter da wäre, meine Mutter nämlich. Die hättest du nur zu fragen brauchen. Komisch, mit mir willst du nirgendwohin gehen. Nicht Fisch noch Fleisch. Nicht mal `nen Kaffee um die Ecke beim Bäcker gehst du mit mir trinken. Für fünf Euro, weil wir kein Geld haben, angeblich. Vielleicht gibst du es ja im Puff aus, ach nee, Kolleginnen gibt’s ja umsonst. Sorry, hab ich vergessen. Und für Sex Geld ausgeben, ist dir zu blöd, angeblich! Für deine Frau auch. Was für ein Geizhals, ist doch voll unsexy, so ein Typ!“

      Ich pinkel doch noch heimlich in seinen Kaffee, denkt Henriette. Als würde jetzt alles wieder hochkommen. Alles! Eine halbe Stunde später kippt sie ihre Pisse in die halbleere Kaffeekanne. Du Arsch, nie redest du ehrlich mit mir. Und wahrscheinlich stehst du auch noch drauf, denkt Henriette, auf meine Pisse. Wenn er es getrunken hatte, wurde er immer nett, so war es ihr aufgefallen, und es war wirklich nicht von der Hand zu weisen. Die Afrikanerinnen haben das auch so gemacht; ist halt ein alter Brauch. Ich schreie wie eine Italo-Braut und pisse wie `ne Afro-Tusse. Ist doch voll easy. Sie mag es nicht, so zu denken. Tomas sitzt schon wieder am Computer. Wahrscheinlich wieder auf der Single-Börse, sich als Single ausgebend, umgeben von Kindern und mit `nem Ring am Finger. Mit diesem Mann werde ich einfach nicht glücklich. Nicht glücklich. Nicht glücklich. Scheiße.

      Sie wartet eine Antwort nicht mehr ab und geht in ihr kleines Zimmer. Sie heult. Tränen laufen ihr über das Gesicht. Zu viel Demütigung. Zu viel Trauer. Warum sind Männer ignorant, solange sie denken, die Frau ist ihnen sicher. War sie immer zu nett? Ja. Muss ja. Maria Callas und der Typ von Onassis. Der hat sie nicht geheiratet und sie war irgendwann am Ende, am Boden. Ihre Karriere hat sie ihm geopfert, freiwillig, nicht weil er es gefordert hat. Nein, Männer sagen das nicht offen, sie nehmen die Frau nur komplett für sich ein, bis sie vertrauen, und dann sind sie wieder weg oder anderweitig verliebt. Ich hab so die Schnauze voll, so sehr. Ich bin nicht mehr nett, zu niemandem, nimmt sie sich vor. Zu niemandem. Nett ist die kleine Schwester von Scheiße. Genau. Die Tränen laufen trotzdem. Dann schluchzt sie. Wenn es nicht der Richtige ist, hilft heiraten auch nicht. Schluchzend sinkt sie in die Kissen.

      Eine Rose, die sie sich selbst gekauft hatte, stand schon auf dem Tisch. Einen anderen, der sie ins Kino einlud, den gab es auch schon. Angeblich. Alles nur fiktiv. Fick und tiv. Wie sie es hasste. In Wirklichkeit läuft sie heulend durch den Kiez. Was denn noch? Und jetzt muss sie allein in den Urlaub. Wofür? Damit er aufwacht? Die Liebe wieder neu entdeckt?

      Am Abend ergreift sie ihr Telefon: „Babett, stell dir vor, ich hab doch gar kein Geld für die Türkei und jetzt hab ich‘s aber einfach gesagt, dass ich wegfahre. Dass ich gebucht habe. Und er glaubt es mir auch noch. Ist das komisch. Jetzt weiß ich nicht wohin und ich muss irgendwohin und ich hab auch gar nicht viel Kohle, jedenfalls nicht so viel.“

      „Was? Ich dachte, bei euch ist alles in Ordnung?“ Babett klingt baff am anderen Ende der