Geschichten aus Nian. Paul M. Belt

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Название Geschichten aus Nian
Автор произведения Paul M. Belt
Жанр Языкознание
Серия Nian Zyklus
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783947086641



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welcher Hinsicht soll das Material geprüft werden?“

      „Oh, natürlich, wie unachtsam von mir!“ Das typische Lächeln umspielte den Mund des unnahbaren Mannes, welcher Zeg immer noch nicht ganz geheuer war. „Wir möchten daraus stabile und belastbare Bögen, Pfeilspitzen und wenn möglich auch Armbrustbeschläge herstellen. Falls dafür Zusatzstoffe erforderlich sein sollten, so müsste ich wissen, welche und in welcher Menge.“

      „Armbrüste?“, entfuhr es Lorn. „Sagten Sie nicht etwas von ‚Frieden‘?“

      Der missbilligende Blick des Ältesten, mit dem dieser Zeg ansah, war nun nicht mehr zu übersehen. Schnell stieß der Brenner seinen Begleiter kräftig in die Rippen und raunte ihm ins Ohr: „Ich habe dir doch gesagt, lass mich reden und richte deine Fragen an mich! Das hier ist keine Betriebsversammlung in Brennstätte C oder so, für sowas kannst du hier richtig Ärger bekommen. Begreifst du?“

      Als Lorn nickte, setzte der Erste der Lindenreiter wieder sein üblich höfliches Lächeln auf. „Danke, Herr Ranolok, dass Sie solche Dinge so unbürokratisch auf Ihre Weise zu regeln verstehen! Bitte beginnen Sie.“

      Nach einer kurzen Zeit der Konzentration öffnete Zeg wieder die Augen und sagte: „Das meiste Material ist geeignet. Einige Stücke bestehen nicht aus Eisen, sondern weicheren oder leichteren Metallen, aber die können wir rasch aussortieren. In jedem Fall benötigen wir einige Raumkurzmaße reinen weißen Sand. Auch Braunstein sollte geliefert werden. Zwei Eimer davon sollten zunächst genügen, wir brauchen ihn nur in geringen Mengen. – Habe ich etwas übersehen, Lorn?“

      „Ich empfehle, vorsichtshalber ein paar Brocken Chromeisenstein mit anliefern zu lassen. Er könnte die Eigenschaften des Zielmaterials günstig beeinflussen.“

      „Gut. Sehr, sehr gut!“, rief der Älteste. „Raul, bitte besorge nach unserer nun folgenden Demonstration das genannte Material und lasse es so rasch wie möglich hierher liefern. Die beiden bekommen noch heute Abend die Zimmer der Lekure.“

      „Gern, Ältester“, erwiderte Raul. Er war gespannt, was nun folgen würde, denn er hatte niemals zuvor etwas Konkretes über die Fähigkeiten von Brennern gehört. Dementsprechend steigerte sich das Ausmaß seines Erstaunens ins Unermessliche, als die ersten Schrottstücke zu glühen und andere Formen anzunehmen begannen. Und auch der Chauffeur starrte durch die Seitenfensterscheiben des Wagens, als ob er gerade von einem Riesen „Alle meine Gänschen“ vorgesungen bekommen hätte.

      Scharmützel

      „Hier können Sie bitte anhalten“, sagte Herk zum Fahrer des Mietwagens.

      „Weiter könnte ich Sie eh nicht bringen, dort vorn stehen bereits die Lotsen“, knurrte der Fahrer, der sich fragte, was wohl zwei Männer und ein Mädchen in dieser entlegenen Gegend wollen könnten. Er hatte ihnen doch von Anfang an gesagt, dass die Straße unpassierbar sei. Nun ja, wenn sie unbedingt für die Besichtigung einer Straßensperre zahlen wollten, warum denn nicht.

      Herk war ausgestiegen und beugte sich durch das Fenster zu Malu herein. „Hast du dein kleines Taschenfernglas immer noch dabei?“

      „Klar“, erwiderte das Mädchen. Sie begann, in ihrem Tragsack zu kramen. „Hier, bitte. Aber was gibt es denn hier zu sehen?“

      „Das will ich gerade herausfinden“, sagte Herk, klappte das Fernglas auseinander und suchte in Richtung Norden den Himmel damit ab, bis er plötzlich stutzte und am kleinen Einstellrädchen drehte. Zum Wagen gewandt, fügte er hinzu: „Steigt aus und seht selbst.“

      Nachdem Lutz und Malu ihrerseits einen Blick durch das optische Instrument geworfen hatten, warfen sie sich einen vielsagenden Blick zu. Dann platzte es aus der Jugendlichen heraus: „Sind die völlig durchgerädert? Das sind doch Ulmenblätter, oder nicht? Und die anderen haben Lindenblätter!“

      Herk nickte langsam. „Hast du auch gesehen, was sie da machen?“

      „Sie kämpfen“, stieß Lutz hervor. „Mit Pfeil und Bogen, Keulen, Wurfseilen und allem, was das Arsenal hergibt. – Und hast du auch den Rauch gesehen, der vom Boden aus aufsteigt? Dort unten müssen mehrere Gebäude brennen!“

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      „Natürlich.“ Herks Entsetzen stand ihm ins Gesicht geschrieben. „Deswegen also sind alle Wege gesperrt, weil dort Unruhen ausgebrochen sind. Und den Leuten erzählt man nichts, damit sie sich keine Gedanken machen und weiter ihren Dingen nachgehen.“

      „Leute!“ Malu schrie fast. „Das ist eine Bruderfehde! Wollt ihr tatenlos zusehen, wie sie sich von den Blättern reißen und sich gegenseitig ihr Land in Brand setzen?“

      „Malu, bitte!“ Lutz’ tiefe Stimme beendete den Ausbruch des Mädchens. „Sollen wir vielleicht dorthin federn und uns ins Getümmel stürzen? Oder laut schreiend an alle appellieren, sie mögen doch bitte wieder freundlich zueinander sein? Da sind fünfzig, sechzig Reiter in der Luft und man weiß nicht, wie viele Kämpfer am Boden aktiv sind. Es hat seinen Grund, dass alles gesperrt ist.“

      „Warum machen diese … diese ‚Ordnungskräfte‘ nicht ausnahmsweise mal was Vernünftiges?“ Die Federin war nicht zu beruhigen. „Stellen sich doof auf die Straße und stoppen Reisende! Dorthin sollten sie gehen und den Irrsinn beenden!“ Tränen schossen ihr in die Augen.

      Herk nahm sie in den Arm. „Du hast recht. Du hast vollkommen recht. Aber du weißt auch genauso gut, dass Reiterklans das Vorrecht haben, all ihre Angelegenheiten unter sich zu regeln. Solange kein öffentliches oder anderes klanfremdes Eigentum zu Schaden kommt, können sie machen, was sie wollen.“

      „Aber sie halten Züge und Autos auf! Bestimmt wird doch auch die Straße beschädigt!“, schrie Malu in Herks Jacke hinein.

      „Malu.“ Nun war es Lutz, der zu sprechen begann. „Diese Straße führt durch unwegsames Gelände zu einem Ort, den Mederland fast aufgegeben hat. Wesenburg gehört für die Arealverwaltung gedanklich schon zur Westlichen Ebene. Und du weißt ja, dass nichts, was dort geschieht, die Verwaltungen auch nur einen feuchten Kehricht kümmert.“

      Malus tränenüberströmtes Gesicht wurde wieder sichtbar. Schluchzend kam es aus ihrem Mund: „Das heißt … wir … niemand … kann etwas tun? Warum … machen die das da überhaupt?“

      „Schau mal“, sagte Herk, „wir wissen durch unser Klantreffen ja schon seit einiger Zeit von den Unstimmigkeiten zwischen manchen Reiterklans, und die Warnung des Merkantusbaums war ja auch recht eindeutig. Die Ulme ist im Mittelland zwar weit verbreitet, ihr Hauptwuchsgebiet aber ist der Westen. Nimm jetzt mal an, die Ulmenreiter hätten sich dazu entschlossen, den Streit zu einem richtigen Kampf eskalieren zu lassen, und die Lindenreiter würden daraufhin das machen, was sie nur allzu gern tun, nämlich sich als Schirmherren des einzig echten, ehrbaren Reitertums aufführen – was würde dann deiner Meinung nach passieren?“

      Malu schaute Herk nun mit aufgerissenen Augen ins Gesicht. „Genau das, was dort gerade geschieht!“

      Ein bitteres Lächeln war die Antwort. Lutz ergriff nach einer Weile das Wort und fragte leise: „Und wie soll es jetzt weitergehen? Der Fahrer will sicherlich für das Warten bezahlt werden. Ich fürchte, wir müssen von hier aus irgendwohin federn oder bald zurückfahren.“

      „Das werden wir auch“, stimmte Herk grimmig zu. „Aber bestimmt nicht, um die Reise abzublasen. Wenn wir hier wegen der Unruhen nicht weiterkommen, können wir einen anderen Weg wählen.“

      „So?“, fragte Lutz überrascht. „Wie willst du denn auf die Ebene gelangen, wenn nicht über die Wesenburger Landenge?“

      Herk nahm die beiden anderen Federer ein wenig beiseite. „Wir gehen über den Kerstlinger Pass.“

      Lutz runzelte nur die Stirn. Er war ja nicht aus der Gegend und begriff nicht, was Herk da soeben für einen Vorschlag gemacht hatte. Malus Reaktion dagegen fiel vollkommen anders aus. „Bist du total durchgeknallt??