Geschichten aus Nian. Paul M. Belt

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Название Geschichten aus Nian
Автор произведения Paul M. Belt
Жанр Языкознание
Серия Nian Zyklus
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783947086641



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und wie man mit dem Ersten der Lindenreiter umzugehen pflegte. In Medriana war der Älteste dann auch tatsächlich zugestiegen, bevor sie gemeinsam zum großen Lager am Stadtrand gefahren waren. Schon seit zwei Tagen pendelten sie nun zwischen ihrem luxuriösen Hotel und dem Lager hin und her und fertigten Formteile für klassische Reiter-Kampfausrüstungen aus Metall an. So richtig wohl war ihnen beiden zuerst nicht dabei gewesen, aber Zeg war inzwischen davon überzeugt, dass diese Tätigkeit im Auftrag seiner Bündnisparter etwas zutiefst Ehrenvolles war. Und dies hatte wohl auch Lorn verstanden.

      Das erneut aufblinkende Licht der roten Lampe riss Zeg aus seinen Gedanken. Er musste herausfinden, was dies zu bedeuten hatte. Also griff er nach dem Sprachmodul an seinem Nachttisch und wartete, bis sich die Rezeption meldete.

      „Empfang?“, erklang eine freundliche Damenstimme aus dem Lautsprecher.

      „Ja, hallo, hier Ranolok, Zimmer 73. Bei mir am Nachttisch blinkt eine rote Lampe. Was hat es damit für eine Bewandnis?“

      „Ah, Herr Ranolok, guten Abend! Dieses Signal bedeutet gewöhnlich, dass eine Nachricht für Sie hinterlegt wurde. Einen Moment bitte … In der Tat, hier liegt ein Umschlag für Sie, mit dem Vermerk ‚Persönlich‘. Soll ich ihn auf Ihr Zimmer bringen lassen?“

      „Das wäre sehr freundlich“, sagte Zeg in etwas überraschtem Ton.

      „Selbstverständlich, ich schicke gleich den Pagen!“, ertönte es aus dem Sprachmodul. Bereits eine Mittelzeit später klopfte es an der Tür. Zeg nahm einen roten Briefumschlag in Empfang und drückte dem jungen Pagen ein paar Kupfermünzen in die Hand, der daraufhin strahlend zum Lift zurückkehrte.

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      Neugierig riss Zeg den Umschlag auf und begann, den darin enthaltenen Zettel zu lesen. Es war eine handschriftliche Notiz, die vom Ersten der Lindenreiter stammte: „Bitte erwarten Sie noch heute Abend Besuch. Mehrere Steinhauer aus dem Hulz werden in der Lobby auf Sie und Herrn Gerland warten. Die Männer werden von einem Rengat begleitet. Bitte empfangen und prüfen Sie sie so schnell wie möglich. Danke, S. Albo.“

      Zeg runzelte die Stirn und rieb sich die Nase. Bergarbeiter aus dem Hulz? Das war doch ein Mittelgebirge, das weiter östlich im Land lag – auf jeden Fall nicht um die Ecke. Hmm … wenn der Älteste plötzlich auf die Idee kam, ihm zu so seltsamer Tageszeit so viele Unbekannte vorzustellen, dann konnte dies vermutlich nur eins bedeuten: Er glaubte wohl, weitere Brenner gefunden zu haben. Das versprach ja, ein aufregender Abend zu werden! Rasch verließ Zeg sein Zimmer und klopfte bei Nr. 72 an, um Lorn zu informieren. Dieser öffnete kurz darauf etwas müde die Zimmertür. „Was gibt’s denn?“

      „Hey Lorn! Du wirst es kaum glauben, wir bekommen heute Abend Besuch von ein paar Hauern aus dem Hulz. Ich soll mir die Brüder mal ansehen.“

      „Was? Jetzt? Ist das wieder so eine Sonderaufgabe vom Ältesten?“

      „Ich vermute, er hat noch ein paar Brenner aufgegabelt. Irgendwie ist das komisch – so wie ich meine Lehrerin Marga verstanden habe, sollte eigentlich ich die Meinen um mich versammeln. Nun nimmt er mir den ganzen Spaß an der Sache.“

      Lorn grinste. „Tu jetzt bloß nicht so, als wärst du auf einmal die geborene Führungskraft! Ich weiß, was du tief in dir drin für ein bescheidener Kerl bist. Die Kollegen zu Hause haben genug erzählt.“

      Auch Zeg zeigte nun ein verschmitztes Grinsen. „Blödsinn! Von mir aus soll er seine Verbindungen zur Brennersuche nutzen. Ich hab bloß ein bisschen Bammel davor, dass hier jetzt nach und nach zig Leute von unserer Sorte eintreffen und ich dann alle einarbeiten soll.“

      Lorn schüttelte den Kopf. „Glaub ich irgendwie nicht, obwohl er das bestimmt gut fände. Mit den Massen an Altmetall, die er dort aufgefahren hat, haben wir zu zweit vermutlich mehrere Wochen zu tun und mit ’nem ganzen Haufen Brenner ginge es natürlich schneller. – Sag mal, glaubst du wirklich, dass er aus dem ganzen Zeug Waffen herstellen will? Ich meine, so viele Klanmitglieder kann es doch gar nicht geben, oder?“

      „Ich weiß es nicht“, seufzte Zeg. „Eventuell sollen wir später andere Sachen fabrizieren, wenn er genug Bögen und Beschläge hat. Vielleicht Fahrzeugteile oder so. Ganz im Ernst, wir sind jetzt eh nur noch zwei Tage hier, dann geht’s erstmal ab nach Hause. Und man kann nicht sagen, dass der Älteste knauserig ist. Für den Stapel Goldmünzen, den wir pro Woche hier kriegen, müssten wir sonst ’nen ganzen Mond lang plockern. Also lass uns einfach mal gucken.“

      „Damit hast du natürlich recht“, stellte Lorn fest. „Gut, wie soll es jetzt weitergehen?“

      „Ich nehme an, der Empfang benachrichtigt mich irgendwann. Ich komme dann und sag dir Bescheid.“

      Eineinhalb Langzeiten später war es draußen längst dunkel geworden. Zeg hatte ein interessantes Gerät entdeckt, welches im Zimmer in einen Schrank eingebaut worden war. Es bestand aus einer abgerundeten, viereckigen und gewölbten Glasscheibe mit ein paar Knöpfen daneben. Als er aus Langeweile daran gedreht hatte, war die Glasscheibe auf einmal hell geworden und hatte begonnen, bewegte Bilder zu zeigen, zu denen passender Ton zu hören war. Zeg kannte zwar Kinematik-Projektionssäle aus seiner Heimatstadt und wusste, dass diese in allen größeren Städten Nians verbreitet waren, aber dieses Gerät schien ohne einen Projektor zu funktionieren. Ganz augenscheinlich musste es eine neue Erfindung sein. Viel Zeit blieb ihm aber nicht, es sich anzusehen, denn das Sprachmodul am Nachttisch signalisierte durch einen lauten Ton, dass ihn jemand zu sprechen wünschte.

      „Zimmer 73, Zeg Ranolok?“, meldete er sich.

      „Guten Abend, bitte entschuldigen Sie die späte Störung, Herr Ranolok. Hier unten an der Rezeption stehen sechs Herren. Ihr Sprecher ist vom Klan der Lindenreiter und behauptet, sie würden von Ihnen erwartet werden.“

      „Das ist richtig so“, erwiderte Zeg. „Ich werde gleich mit meinem Kollegen herunterkommen. Bitte lassen Sie die Herren in der Empfangshalle warten.“

      „Sehr wohl, Herr Ranolok! Auf Wiederhören!“

      Zeg zog sich seine Jacke über und holte den anderen Brenner aus dem Nachbarzimmer. Gemeinsam betraten sie den Lift und fuhren ins Erdgeschoss.

      „Na, da bin ich ja mal gespannt, was das für Vögel sind“, knurrte Lorn.

      „Da ist ein Reiter dabei, keine Ahnung, wer es diesmal ist. Lass mich das wieder machen, ja?“

      „Klar.“

      Die Schiebetüren öffneten sich und die zwei Brenner betraten die weitläufige Empfangshalle. Wie fast immer war in diesem Hotel am Stadtrand sehr wenig los und so fiel es ihnen nicht schwer, die Ankömmlinge auf einer Sitzgruppe auszumachen. Sofort stand Raul Mernek, der Dritte Rengat der Hauptloge, auf und verneigte sich tief vor Zeg. „Erster Brenner, seien Sie im Namen des Klans der Lindenreiter gegrüßt.“

      „Herzliche Grüße zurück.“ Zeg unterdrückte ein Seufzen. Ob er sich jemals an diese penetrante Förmlichkeit hochgestellter Reiter gewöhnen würde? „Sind dies die Gäste, die mir vorgestellt werden sollen?“

      „Dies sind Merl Hegedorn, Hunk Parbrod, Trann Welnek und Wers Kirinak, Steinhauer vom Südhang des Hulzes, sowie Jörk vom Geblüt der Selnor aus dem Areal Pfahlheim des Gebirgslandes, ebenfalls Steinhauer. Sie sind gekommen, um geprüft zu werden“, antwortete der Rengat. Alle fünf Männer verneigten sich vor dem Ersten Brenner.

      Zeg zog die Augenbrauen hoch. Sogar jemand aus dem Gebirgsland war dabei! Der Älteste musste ja seine Fühler weit ausgestreckt haben, um all diese Menschen ausfindig zu machen. Wie auch immer, nun war es an ihm, sich an sie zu wenden. „Gut, liebe Kollegen. Ich nenne Sie so, da auch ich gelernter Steinhauer bin. Gleich zu Beginn etwas zum Thema Verneigen: Dies ist nur nötig, wenn im Rahmen eines offiziellen Empfanges wie diesem hochgestellte Reiter anwesend sind und es ihren Gepflogenheiten zupasskommt.“

      „Wir haben auch nur aus diesem Grund mitgespielt“, brummte einer der Steinhauer. „Normalerweise verneigen wir uns vor niemandem. Selbst unser oberster Boss hat so etwas noch nie