Im düstern Wald werden unsre Leiber hängen. Ava Farmehri

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Название Im düstern Wald werden unsre Leiber hängen
Автор произведения Ava Farmehri
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783960542353



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eine Peitsche, eine Pfote erhoben, als wollte sie ihrem Gegenüber das Gesicht zerkratzen oder einfach nur hallo sagen, ein Auge arglistig zusammengekniffen, die Zunge spöttisch rausgestreckt. Ihr geöffnetes Auge folgte mir gelb und hypnotisch durchs Zimmer. Meine Mutter knallte die Katze vor mich auf den Küchentisch. Ich war gerade damit beschäftigt, Erdbeermarmelade auf ein knuspriges Stück taftun zu schmieren. Ich sah lächelnd von meinem Frühstück auf, weil ich dachte, meine Mutter wollte sich bei mir bedanken. Falsch gedacht.

      »Wann hast du die Katze an dich genommen? Wie hast du das angestellt?«, brüllte sie. »Wir saßen doch die ganze Zeit neben dir!«

      Ich machte ein langes Gesicht. Leckte den Teelöffel ab, tauchte ihn erneut ins Glas, träufelte weiter Marmelade auf mein Brot.

      »Meine Tochter ist eine Diebin! Was hast du noch gestohlen?« Meine Mutter riss mich vom Stuhl, ging vor mir auf die Knie und schüttelte mich. »Was hast du noch mitgenommen? Antworte!«

      »Nichts. Nur die Katze.« Meine Mutter sah mich mit irren Augen an. Mir wurde klar, dass ich etwas sehr Schlimmes angestellt hatte, auch wenn ich nicht genau wusste, was daran so verwerflich war. »Ich wollte sie dir zum Muttertag schenken. Papa …«

      Sie gab mir eine Ohrfeige, die nicht besonders wehtat. Vor Schreck begann ich zu weinen. Sofort zog sie mich in ihre Arme und rief atemlos: »Tut mir leid, Schätzchen, tut mir leid.« Ihr Haar geriet mir in die Augen und in den Mund, und ich musste husten. Es war ein trockener Husten, der mir im Hals wehtat und den ich mit Absicht übertrieb. Meine Mutter nannte mich ein dummes Mädchen und zog mich ins Badezimmer. Ich hielt immer noch den Löffel in der Hand und stolperte schluchzend hinter ihr her, während die Marmelade auf den Boden tropfte. Im Badezimmer hielt sie meinen Kopf über das Waschbecken und seifte mir Gesicht und Hände mit einer bitter schmeckenden grünen Seife ein. Die ganze Zeit über ließ ich den Löffel nicht los. Ich spuckte einen rötlichen Schaum voller kleiner schwarzer Samen ins Waschbecken. Dann hob ich den Blick. Das war die schlimmste Strafe: Meine Mutter zwang mich, im Spiegel mitanzusehen, wie ihr Tränen über das Gesicht liefen. Sie wollte mir zeigen, was ich ihr angetan hatte. Damals wusste ich nicht, ob es die Seife oder die Tränen meiner Mutter waren, die mich von meinen Sünden reinwuschen.

      Jetzt weiß ich es.

      »Wirst du es Papa sagen?«, fragte ich, während sie mir eine Jeans anzog und sie über meinem Bauchnabel zuknöpfte.

      »Nein«, antwortete sie ohne jede weitere Erklärung.

      Dr. Fereydun sagte, ich dürfe die Katze behalten. Er habe nicht einmal gemerkt, dass sie weg sei. Meine Mutter entschuldigte sich immer wieder und zerquetschte mir die Hand, damit ich dasselbe tat, damit ich wiederholte, was wir im Taxi einstudiert hatten: »Es tut mir leid, dass ich die Katze genommen habe, ohne Sie um Erlaubnis zu bitten. Ich verspreche, dass ich beim nächsten Mal vorher frage und dass ich nie wieder etwas stehlen werde.« Der Doktor sagte lächelnd, ich solle die Katze als Geschenk dafür betrachten, dass ich so ein mutiges Mädchen sei und meinen Fehler zugegeben hätte. Mit hochrotem Gesicht eilte meine Mutter mit mir aus dem Sprechzimmer.

      Zu Hause angekommen, sagte sie, sie sei böse auf mich und wolle mich für den Rest des Tages nicht sehen. »Geh mir aus den Augen oder ich erzähle es doch noch deinem Vater.«

      Ich verschwand in meinem Zimmer und knallte die Tür hinter mir zu. Die Katze nahm ich mit. Mein Magen knurrte, ich hätte gern eine Tasse heißer Milch mit einem Löffel Zucker getrunken. Ich zwang mich zu weinen, und es gelang mir auch, ein paar Tränen zu verdrücken. Ich leckte sie mir vom Gesicht und lag dann zufrieden auf meinem Bett, während der silbrige Nachmittag zu einem mitternachtsblauen Abend wurde. Irgendwann weinte ich noch etwas mehr, weil ich müde war und nicht schlafen konnte. Später muss ich dann doch eingeschlafen sein, wenn auch nur lang genug, um ins Bett zu machen. Ich wachte erst auf, als meine Blase den letzten Tropfen aus meinem Körper gepresst hatte. Ich fühlte mich erleichtert und schob eine Hand unter die Decke, um zu prüfen, wie groß der Schaden an der Matratze war. Als ich die Hand wieder hervorzog, war sie warm und klebrig. Mit den Beinen schob ich meinen Teddy unter der Decke hervor, um ihn vom Tatort zu entfernen, und als er in Sicherheit war, ließ ich von ihm ab. Er hing über der Bettkante, und zwischen seinen Beinen prangte ein Loch, genauso groß wie das Loch, das ich und die Welt eines Tages im Herzen meiner Mutter hinterlassen würden. Mein Teddy gebar einen Wattebausch.

      In diesem Moment hörte ich das Glöckchen an der Tür klingeln, die von unserem Garten ins Wohnzimmer führte. Ich strampelte die stinkende Decke weg, sprang aus dem Bett und beobachtete durchs Schlüsselloch, wie mein Vater ein Bein hob, um seine Schnürsenkel zu lösen, wie er sich Halt suchend an die Wand lehnte und nacheinander beide Schuhe auszog. »Aresu«, rief er, während er in seine Pantoffeln schlüpfte, »Aresu dschanam, wo bist du?«

      Meine Mutter tauchte im Blickfeld des Schlüssellochs auf. Während sie auf meinen Vater zuging, wogte ihr Po unter dem langen Kleid. Ich lief zurück zum Bett und schlüpfte hinein, froh, wieder von der warmen Geborgenheit eingehüllt zu werden, die durch das Zusammentreffen eines nassen Nachthemds und einer nassen Matratze entstand. Wegen des stechenden Uringeruchs musste ich die Luft anhalten. Ich versteckte den Kopf unter dem Kissen und begann eine Diskussion mit meinem Teddy.

      »Ich bin keine Diebin, ich bin keine Diebin, ich bin keine Diebin. Er hat gesehen, wie ich die Katze genommen habe, aber er hat kein Wort gesagt.« Diese Sätze sprach ich mir immer wieder vor und schwor mir selbst, dass sie die Wahrheit waren, bis ich irgendwann einschlief. Falls meine Mutter mich bei meinem Vater verpetzte, wollte ich es nicht hören.

      In der Nacht wachte ich auf, als meine Mutter misstrauisch schnuppernd ins Zimmer kam. Sie brachte mir ein Honigbrot auf einem Tablett. »Du hast den ganzen Tag nichts gegessen, und wir haben keine Marmelade mehr«, sagte sie lächelnd und schob mir ein Kissen in den Rücken, während ich mich gähnend aufsetzte.

      Ich wollte ihr eigentlich die Frage stellen, tat es dann aber doch nicht. Es war nicht mehr wichtig, weil ich mit einem Mal sicher war, dass mein Vater mich in Schutz genommen hatte. Jetzt liebte ich ihn wieder. Als ich die Decke wegschob, um mir die Zähne putzen zu gehen, setzte ich den darunter gefangenen Gestank frei. Meine Mutter fiel fast in Ohnmacht. »Ey choda, Sheyda!«, rief sie und hielt sich die Nase zu. Dann zerrte sie mir das Nachthemd über den Kopf, spülte mich in der Badewanne ab und zog mir ein sauberes Nachthemd an, das sich weich und beruhigend anfühlte wie frischer Schnee. Anschließend versuchte ich, ihr beim Umdrehen der Matratze zu helfen, tänzelte um sie herum, zog an dieser oder jener Ecke, war aber im Prinzip völlig nutzlos. Meine Mutter sagte, jetzt sei es zu spät, um noch irgendwas gegen den Gestank zu tun.

      Ich putzte mir die Zähne, und als ich zurück in mein Zimmer kam, sah ich, wie meine Mutter einen Haufen Sachen unter dem Bett hervorzog und die schmutzige Wäsche aussortierte, die ich dort versteckt hatte. Mit spitzen Fingern hielt sie ein Rüschennachthemd und drei Schlüpfer mit gelben Flecken in die Höhe, Beweise, die ich nicht verleugnen konnte. Beschämt schlich ich zu meiner Schultasche und zog weitere Schlüpfer zwischen den Büchern hervor. Sie waren noch feucht. Ich kroch in mein frischbezogenes Bett, und meine Mutter deckte mich zu, rieb mir mit dem Handrücken das gewaschene Gesicht trocken und streichelte über die Stelle, wo sie mich zuvor geschlagen hatte. Mit nach Safran duftenden Fingern zog sie die Konturen meines Gesichts nach und sang mich mit meinem Lieblingslied in den Schlaf:

      La la la la Laleh Du bist meine Himmelsblume La la, du warst mein Schicksal Schlaf, Gefährtin meiner Seele Schlaf, meine Nachtigall mit glockenheller Stimme Schlaf, mein Liebling, der mich glücklich machen wird Eine Nachtigall singt in meinem Herzen Schlaf, meine blühende Blume Schlaf, mein kostbares Juwel Schlaf, mein Augenlicht Dein mondbeschienenes Gesicht ist mein Paradies Mein Herzenslicht Du bist mein süßer Granatapfel.

      Ich lag still da und atmete durch die Nase, das Haar hinter die Ohren gestrichen, die Wimpern von Tränen benetzt. Meine Mutter, die dachte, ich wäre eingeschlafen, schaltete das Licht aus und wandte sich zum Gehen. Ich richtete mich auf und bat sie zu tun, was sie jeden Abend tat. Sie kniete sich im Dunkeln neben mein Bett und sah jetzt aus wie einer ihrer Engel. Dann legte sie ihre vollen Lippen an mein Ohr und machte leise schmatzende Geräusche. Ihr Atem kitzelte mich, und ich kicherte, um die Gänsehaut zu vertreiben. Als die Geräusche