Название | Leopold von Ranke: Historiografische Werke |
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Автор произведения | Leopold von Ranke |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788027206056 |
32. Ludwigs XIV. Ausgang; Rückblick auf seine Staatsverwaltung
Französische Geschichte IV, Werke Bd. 11 S. 303 ff.
Wenn man das Glück eines zu Ende gehenden Lebens in das Bewußtsein setzen darf, die großen vorgesteckten Ziele erreicht zu haben, so kann davon bei Ludwig XIV. nicht eigentlich die Rede sein. Die vornehmsten Pläne des königlichen Ehrgeizes waren nicht durchgeführt, weder der politische, der auf ein allgemeines Übergewicht in Europa, noch der religiöse, der auf eine vollkommene kirchliche Uniformität gerichtet war. Vielmehr waren aus denselben, wie es nicht anders sein konnte, widerwärtige und unglückliche Rückwirkungen ohne Zahl hervorgegangen. Es scheint jedoch nicht, als habe ein Gefühl hiervon den König betrübt oder gekränkt. Er sah doch seinen Enkel auf dem spanischen Thron, sein eigenes Reich erweitert und nach außen mächtig. Den innern Übelständen hoffte er noch beizukommen, die Erbfolge meinte er soeben sichergestellt zu haben. In der gewohnten Weise lebte Ludwig XIV. seinen Geschäften und Erheiterungen.
Der Hof war sogar zuweilen noch recht glänzend, z. B. im Herbst 1714, als der Kurfürst von Bayern, der sich den französischen Sitten mit Vorliebe anschloß, anwesend war und vor seiner Rückkehr nach Hause257 von allen, die es vermochten, mit Festlichkeiten geehrt wurde. Die Männer waren nach dem Frieden zahlreich zurückgekehrt, viele mit ihren Damen; in Fontainebleau sah man diese in großen und kleinen Kaleschen, jene zu Pferde, den Kanal umschwärmen, wo der Kurfürst auf einer Barke mit festlicher Musik eine andre Gruppe bildete; der König fehlte nicht. Meistens jedoch war man einsam. Die Prinzessinnen hatten sich zurückgezogen, um nur bevorzugte Freunde zu sehen; der Geschmack an Landhäusern war aufgekommen, jede Familie hatte das ihre. Zu allgemeinen Reunionen kam es nur dann, wenn etwa Frau von Maintenon258 in ihren Gemächern ein Konzert veranstaltete. Nur Musik und die Fortsetzung seiner Bauten schienen dem König noch Vergnügen zu machen. Einige Verschönerungen in Fontainebleau sind das Werk seiner letzten Jahre; er richtete sich selbst noch ein Zimmer ein, das die Bewunderung derer, die es sahen, erweckte. Und dabei entzog er sich doch keinen Augenblick der Arbeit. Seine Minister haben ihm einmal den Vorschlag gemacht, die Geschäfte in einem Komitee für sich vorzubereiten und ihm dann erst, wenn sie sich geeinigt hätten, vorzulegen, um nicht mit abweichenden Meinungen vor ihm zu erscheinen. »Wie?« rief er aus, »bin ich zu alt, um zu regieren?« Niemand hätte ihm mit einem solchen Vorschlag wieder kommen dürfen. Es wäre als eine Beleidigung erschienen, wenn man ihn hätte schonen wollen.
Nachdem er eines Tages im August 1715 dem Konseil beigewohnt und in gewohnter Art mit dem Kanzler gearbeitet hatte, ward er bei seinem Abendessen von einer Betäubung ergriffen, in der man die Vorboten des Todes erkannte. Er bereitete sich zu seinem Hinscheiden, denn er meinte ein wohlbestelltes Haus zurückzulassen, mit ungestörter Seelenruhe vor; er traf alle seine Anordnungen mit vollkommener Unbenommenheit des Gemütes, nicht anders als gälte es etwa nur eine Reise anzutreten.
Von der Gefährtin seiner letzten Lebensjahre nahm er in der Erwartung Abschied, sie in kurzem wiederzusehen; er sagte ihr, glücklich habe er sie nicht gemacht, aber immer geliebt und hoch gehalten. Am schwersten schien er zu empfinden, daß es ihm nicht beschieden gewesen sei, den Kirchenfrieden259 herzustellen; er tröstete sich damit, daß die Sache vielleicht besser in andern Händen liege als in den seinen, weil man ihn im Verdacht habe, voreingenommen zu sein und zu weit zu greifen. Über seinen Urenkel sprach er seinen Segen aus, nicht ohne eine Ermahnung zum Frieden, eine Anklage gegen sich selbst, der den Krieg allzusehr geliebt habe. Er bezeichnete ihn schlechthin als den König; seine Umgebung zeigte sich davon erschüttert; er sagte, ihm errege das kein peinliches Gefühl. Er starb am 10. September 1715, wenige Tage vor Vollendung seines 77. Jahres.
Der monarchische Begriff, den Ludwig XIV. geltend machte, entsprach im Grunde der in dem späteren römischen Reiche herrschenden Verfassung, nach welcher nicht allein die exekutive Gewalt, sondern auch die legislative dem Fürstentum gehörte, nicht durch Usurpation noch Willkür, sondern notwendig und der Natur der Sache gemäß. Von allen Beschränkungen, welche der germanische Staat der legislativen Gewalt zu ziehen versucht hatte, war in Frankreich nur die eine, die in den Parlamenten260 erschien, in ununterbrochener Wirksamkeit geblieben. Übrigens war die Monarchie dadurch noch stärker geworden, daß sie die germanische Erblichkeit mit dem Besitz der höchsten Gewalt verband. So erinnert auch das Verhältnis, in welchem sich die Kirche befand, an die ältesten Zeiten. Man dürfte sagen: noch immer gab der König, wie einst Chlodwig jenes Gefäß, den besten Teil der Beute dem Bischof und strafte diejenigen gewaltsam, die sich dem zu widersetzen wagten. Der katholischen Kirche zu genügen war eine seiner vornehmsten Bestrebungen. Wenn aber schon der Stifter der Monarchie die Ernennung der Bischöfe in seine Hand nahm, wieviel größer war die Autorität über die Geistlichkeit, welche Ludwig XIV. aus diesem Recht entwickelte, umfassender als sie jemals einer seiner Vorfahren besessen hatte.
Und niemand konnte die Elemente des feudalistischen Staates verkennen, die unter ihm noch in großem Umfang bestanden. Wenn man von denselben mit einem Mal eine Anschauung haben will, so braucht man sich nur zu erinnern, wieviel die Revolution davon zu zerstören notwendig fand: die Besonderheiten der Provinzen, festgehalten durch ständische und gerichtliche Institutionen oder selbst durch Verträge gewährleistet; die Vorrechte der großen Städte, des Adels in seinen verschiedenen Klassen, alle die Herrenrechte, gegen welche später politische Theorien und der Haß des Volkes vereint oder abwechselnd ankämpften. Noch in seinem Testament spricht Ludwig XIV. die Überzeugung aus, daß die vornehmste Kraft seines Reiches in dem Adel bestehe. Aber die Großen hatte er von aller Teilnahme an der Gewalt zu entfernen und dem gesetzlosen Treiben der Geringeren Schranken zu ziehen gewußt. Sein Edikt über die Duelle ist fast symbolisch für sein Verhalten gegen den Adel. Diesen letzten Ausdruck der Selbsthilfe und persönlichen Autonomie verfolgte er mit der äußersten Strenge; aber er tat es zugleich, um den Adel, der durch den Mißbrauch des Duells zugrunde zu gehen in Gefahr geriet, zu erhalten.
Das Gewicht der monarchischen Gewalt repräsentierte sich in der Armee und in der Administration. In seinen Kriegen bildete sich Ludwig XIV. eine Armee, derengleichen die Welt noch nicht gesehen hatte. Wie weit war sie von dem freiwilligen und auf eine gemessene Zeit beschränkten Dienste des Adels, mit welchem Heinrich IV. seine Feldzüge hatte führen müssen, und von der zweifelhaften Ergebenheit ausländischer Söldner und ihrer Führer, auf welche Richelieu noch angewiesen war, entfernt. Der sonst mit all seinem Tun und Denken im Unterschied der Geburt befangene, von lokalen Oberhäuptern abhängige Adel unterwarf sich der Rangordnung des königlichen Dienstes. Die Regimenter hörten auf, die Farben ihrer Obersten zu tragen; die Abzeichen und die Tracht des Königs vereinigten die bewaffnete Macht zu einem gleichartigen Körper. Desertion ward als ein Kapitalverbrechen mit dem