Название | Leopold von Ranke: Historiografische Werke |
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Автор произведения | Leopold von Ranke |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788027206056 |
Der Papst faßte – es ist nicht zu beschreiben, unter wieviel Pein, mit welchem Geheimnis – den Brief an Napoleon ab, in welchem er, wie er sagt, von seiner Pflicht genötigt und mit freimütiger Aufrichtigkeit dem Kaiser anzeigte, daß seit jenem 25. Januar seine Seele von bittern Gewissensbissen, von der tiefsten Reue zerfleischt sei und weder Ruhe noch Frieden finde. Die Zugeständnisse des Konkordats von Fontainebleau widerrief er. Den nämlichen Tag, am 24. März, tat er dies den Kardinälen kund. Er hat gesagt, und wir können es ihm glauben, daß er in diesem Augenblick des vollzognen Entschlusses sich wie von einer schweren Last befreit fühlte. Mit einem Male war der Schmerz verschwunden, den man bisher in seinem Gesichte las; er klagte nicht mehr, daß er keinen Appetit habe oder keinen Schlaf, er lebte wieder auf. Von Moment zu Moment erweiterten sich seine Hoffnungen. Bei dem Kongreß von Prag wagte er schon seine Rechte dem Kaiser von Österreich in Erinnerung zu bringen; er forderte ihn auf, als Friedensvermittler die Rechte des Kirchenstaats in Betracht zu ziehen. Auf neue Eröffnungen der französischen Regierung durfte er entgegnen, daß er Freiheit und Rückkehr in sein Land zur ersten Bedingung der Unterhandlung mache; er sprach bereits die Überzeugung aus, wenn ja ihm, so werde es doch seinem Nachfolger nicht fehlen, dahin zurückzukehren.
Wie weit aber übertrafen die Erfolge alles, was man jemals hätte erwarten können! Die Schlacht von Leipzig entschied auch über das Papsttum. Bald nach seiner Rückkunft auf französischen Boden suchte Napoleon Unterhandlungen mit dem Papst anzuknüpfen, aber sie wurden abgelehnt, denn nicht in Paris konnten solche gepflogen werden, sondern nur in Rom. Als die Verbündeten in Frankreich vordrangen, ließ Napoleon, unzufrieden mit den Kardinälen, welche nach Fontainebleau gekommen waren, den Papst nach Savona zurückführen. Aber schon auf dem Wege dorthin wurde derselbe als Souverän und Papst empfangen. Für Napoleon dagegen trat nun der Augenblick ein, wo er es für ein Glück halten mußte, wenn ihm die natürlichen Grenzen von Frankreich wieder zugestanden wurden. Nur unter dieser Bedingung konnte er auf Frieden hoffen; dann aber mußte auch Rom aufgegeben werden. Unmittelbar vor dem Kongreß von Chatillon, auf welchem die Umgrenzung Frankreichs festgesetzt werden sollte, entschloß er sich die Freiheit des Papstes, die Zurückgabe des Kirchenstaats an denselben auszusprechen. »Ew. Heiligkeit sind frei«, sagte ihm der französische Präfekt, »und können morgen abreisen.« Der Papst zog es vor, bei einem religiösen Fest, das auf den folgenden Tag fiel, die Messe in der Kathedrale zu zelebrieren.
Wie so ganz und gar wurde die Lage Pius VII. in einem Augenblick verändert! Indem ihm die Franzosen seine Freiheit zurückgaben, erklärte der österreichische Oberbefehlshaber, daß in Italien die alten Fürstentümer wiederhergestellt und Rom nochmals nicht mehr die zweite Stadt des französischen Reichs, sondern die Hauptstadt der christlichen Welt sein würde. Und schon wäre der Papst mit Gewalt nicht in Savona zurückzuhalten gewesen. Die Truppen von Neapel, welches noch unter Mürat den Krieg gegen Napoleon erklärt und sich des Kirchenstaats bemächtigt hatte, rückten am rechten Ufer des Po, die Österreicher am linken vor, in Livorno erschien ein englisches Geschwader in der Absicht nach Genua vorzugehn. In der Mitte der Armeen, die noch keineswegs miteinander einverstanden waren, nahm Pius VII. seinen Weg. Am 25. März 1814 traf der Papst bei den österreichischen Vorposten ein, wo ihn der französische Oberst, der ihn von Fontainebleau begleitet hatte, einem österreichischen Obersten vom Regiment Radetzky übergab. Auch von den Neapolitanern wurde er mit religiöser Anhänglichkeit aufgenommen. Nachdem die Katastrophe des französischen Kaisers erfolgt war, kündigte der König von Neapel die Rückkehr des Papstes in aller Form an. Am 24. Mai zog Pius wieder in seine Hauptstadt ein, ihm selber war das Glück beschieden, das er nur für einen andern zu hoffen gewagt hatte. Von dem Volke seiner Hauptstadt, das ihn liebte, sah er sich noch einmal mit Freudengeschrei und Tränen bewillkommnet.
Keine Politik, sondern der große Umschwung der Begebenheiten hatte ihn dahin geführt. Jedermann meinte darin den Willen der Vorsehung zu erkennen. Unter der wieder veränderten Welt traten nun aber, ohne daß die alten Fragen gelöst worden wären, eine Reihe der wichtigsten neuen Probleme hervor. Die ersten Dekrete des wiederhergestellten Papstes atmeten vollkommen den Geist der Restauration. Die bürgerliche und kriminale Rechtsverfassung, welche die Franzosen eingeführt hatten, wurde abgeschafft, die alte Ordnung der Dinge, wie sie unter der geistlichen Regierung bestanden, für wiederhergestellt erklärt, Zivilstandsregister und Stempelpapier aufgehoben, ebenso das auf Einziehung der geistlichen Güter begründete Domänenwesen. Nach einiger Zögerung wurden die Feudalrechte hergestellt; den Gedanken, der sich regte, die religiösen Orden zu reformieren, ließ man fallen. Vielmehr wurde auf den Rat des Kardinal Pacca der Orden der Gesellschaft Jesu, dessen Abschaffung doch keineswegs ein Werk der Revolution gewesen war, wieder ins Leben gerufen (7. August 1814). Napoleon hatte dem Papste zugleich die weltliche Unabhängigkeit und die Selbständigkeit des geistlichen Einflusses entreißen wollen; durch den Wiener Kongreß sah Pius beides sich zurückgegeben. Auch stellten die Beschlüsse von Wien den römischen Stuhl in den Besitz des ganzen Kirchenstaats wieder her, wie Pius VII. selbst ihn nie besessen. Die europäischen Reiche suchten die zerrissenen Fäden der geistlichen Verhältnisse wieder anzuknüpfen. Welch eine Aufgabe war es nun, in beiderlei Hinsicht den Forderungen der Sache und zugleich des Jahrhunderts gerecht zu werden! Durch Napoleon war die Welt überhaupt umgewandelt, infolge seiner Siege zuerst, dann infolge seiner Niederlagen.
52. Napoleon I. und Napoleon III
Zur eignen Lebensgeschichte, Werke Bd. 53 u. 54 S. 630 ff.
Wenn man sich überlegt, was man Großes erlebt hat, vielleicht nur als Zuschauer vor der Bühne, so tritt Napoleon und sein Geschlecht alles andre überragend in den Vordergrund. Ich besinne mich noch auf die Höhe seiner Macht. Auf der Schule im Kloster Donndorf als dreizehnjähriger Knabe las ich seine Bulletins aus dem Feldzuge in Spanien, die den größten Eindruck machten, durch Form und Inhalt. Alles, was wir auch bei uns geschehen sahen, war das Werk seiner Hände. In Schulpforta wurde der Zötus zusammengerufen, um von der Einziehung der großen Kommenden zugunsten des Schulwesens, die er verfügt hatte, unterrichtet zu werden. Sachsen, dem wir angehörten, erfreute sich seiner besonderen Protektion. Wir lasen jetzt seine Bulletins in einer französischen Zeitung, obwohl nicht ohne Schwierigkeit. Wir begleiteten ihn auf seinem Feldzuge nach Rußland; der Mathematikus Schmidt, der ihm eine höhere, gleichsam göttliche Mission zuschrieb, dessen Famulus ich damals war, hielt sich von allem auf das genauste unterrichtet – bis zum Brande von Moskau. Napoleon war der größte Sterbliche, vor dessen Namen sich die Völker in Ehrfurcht beugten. Nach dem Falle von Moskau war der Mathematikus nur schlecht unterrichtet. Auf unsern Schulbänken durchzuckte uns die Nachricht von der Kapitulation Yorks wie ein Blitzstrahl; man raunte sich ins Ohr, daß es anders werden würde. Die Völkerbewegung, die dann folgte, erlebten wir mit vollbewußtem Anteil. Napoleon zog an der Schule vorüber, als er seine Kräfte zur Schlacht bei Lützen sammelte. Wir glaubten ihn mitten in seinem Gefolge zu unterscheiden, doch nahmen mir nicht eben Partei für ihn. Ich studierte eben Tacitus, als wir die Proklamation der Verbündeten zu lesen bekamen; sie machte mir den Eindruck, als wenn es ungefähr dieselben Gedanken wären, wie sie im Agricola der Boadicea in den Mund gelegt werden. Endlich, allzu spät für unsere Erwartung, geschah die Schlacht bei Leipzig. Ich höre noch die Stimme Thielmanns,447 der vor dem Tore der Pforte, wo alles zusammenströmte, hoch zu Roß den Sieg der Verbündeten verkündigte. Bald darauf sahen wir die Überreste der geschlagnen napoleonischen