Название | Leopold von Ranke: Historiografische Werke |
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Автор произведения | Leopold von Ranke |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788027206056 |
Sei es uns gestattet, dieser Reflexion, die freilich bestritten werden kann, noch eine andre von ebenso unmaßgeblichem Charakter über die folgenden Ereignisse hinzuzufügen. Ohne den Rückhalt, welchen die Versammlung für die nationalen Ideen bot, war es unmöglich, den engern Bund in einer dem Bedürfnis entsprechenden Weise zustande zu bringen. Der Dreikönigsbund, die Union, die Erfurter Versammlung bilden bedeutende Momente in diesen Bestrebungen; der König nahm daran persönlich den lebendigsten Anteil; aber Erfolg konnten sie nicht haben. Die Beredsamkeit, das Talent und die Energie von Radowitz, der dem König ebenso nahe stand wie Bunsen und als Vorfechter der Unionspolitik auftrat, vermochten nicht zum Ziele zu führen. In den deutschen Fürsten, die durch die Union einen Teil ihrer Souveränität verloren haben würden, fand diese Politik, die auf ihre freiwillige Beistimmung berechnet war, einen immer wachsenden Widerstand. Der österreichische Gedanke, den alten Bund wiederherzustellen, war notwendigerweise auch der ihre.
Und höchst ungünstig gestalteten sich die europäischen Verhältnisse in allen andern Beziehungen, namentlich auch in der dänisch-deutschen Frage. Friedrich Wilhelm IV. wollte nicht eigentlich Krieg gegen Dänemark, aber die eventuelle Losreißung Schleswig-Holsteins von dem Sundkönig, die Verbindung dieses Landes mit Deutschland. Hierbei aber stieß er auf den Gegensatz der Macht, auf deren Teilnahme und Unterstützung er sonst rechnete. England wollte Dänemark unter allen Umständen als Gesamtstaat erhalten wissen. Besonders verwundete den König, daß Palmerston hierbei auf Österreichs Seite trat, welches durch die Niederwerfung Ungarns und den Bund mit Rußland, der dazu geführt hatte, wieder erstarkt war und seinen alten Einfluß in Deutschland als dem Stützpunkt seiner Macht erneuerte.
Alle diese Umstände brachten den Konflikt hervor, der im Herbst 1850 zu offnem Kriege zu führen drohte. Preußen hatte die drei Mächte, die es als seine Verbündeten betrachtete, gegen sich; sie waren selbst mit Frankreich einverstanden. Man hat oft erzählt, Friedrich Wilhelm IV. habe den Aufforderungen zu schärferm Auftreten entgegnet, er sei kein Friedrich II. Aber dieser hatte bei seiner gefahrvollsten Waffenerhebung doch eine vorteilhaftere Stellung als Friedrich Wilhelm IV.; er hatte wenigstens eine von den großen Mächten auf seiner Seite. Und wie unendlich weit war seine schlagfertige Kriegsmacht im Verhältnis zu seinen Nachbarn dem Heere überlegen, welches Friedrich Wilhelm IV. damals ins Feld stellen konnte! Bei dem ersten Vorbereitungen zu einem Kampfe, bei der Mobilmachung zeigten sich die Mängel des militärischen Systems stärker als man irgend erwartet hatte. Indem man dann den Versuch machte, zu einem haltbaren Austrag zu gelangen, kam der Nachteil der Lage Preußens in der Übereinkunft, die es zu Olmütz eingehen mußte, zutage, noch mehr fast in den Konsequenzen, die aus derselben gezogen wurden. Unleugbar ist, daß diese Wendung der Dinge eine politische Niederlage in sich schloß.
Doch lag darin keineswegs eine definitive Entscheidung der großen Frage. Die Momente, die wir berührten, haben wie mit dem Vorangegangenen so auch mit dem Folgenden einen engen Zusammenhang. Seit diesem Mißerfolg traten die militärischen Interessen des Staats wieder in den Vordergrund, die Bedürfnisse der Armee fanden ausgiebigere Berücksichtigung, der Gedanke der Militärreorganisation konnte mit Entschiedenheit ergriffen werden. Die neuen Differenzen mit Österreich, welche eben in den Bundesangelegenheiten zum empfindlichsten Ausdruck kamen, riefen noch bei Friedrich Wilhelm IV. Entfremdung und Widerwillen gegen die Staatsmänner in Wien hervor und führten zu der Überzeugung, daß es für Preußen unmöglich sei, sich mit der zweiten Rolle in Deutschland zu begnügen. Der Gedanke des engern Bunds trat nach einigen Jahren unter dem Nachfolger Friedrich Wilhelms mit innrer Notwendigkeit wieder hervor und hat die Ereignisse herbeigeführt, welche Deutschland und Europa eine neue Gestalt gegeben haben. Dann konnte auch die Kaiserwürde unter Bedingungen, wie sie Friedrich Wilhelm IV. aufgestellt hatte, angenommen werden, allerdings nicht ohne daß das Machtverhältnis geändert worden wäre. Die Waffentaten, die dazu führten, gehören zu den glorreichsten, welche die Weltgeschichte kennt.
55. Friedrich Wilhelm IV., König von Preußen
Zur Geschichte Deutschlands und Frankreichs. Werke Bd. 49 u. 50 S. 579 ff. Briefwechsel mit Bunsen, Schlußbetrachtung.
Die politische Gesinnung des Königs wurzelt in dem Kampfe gegen den ersten französischen Imperator, von dessen unterdrückender Obergewalt sich Preußen in Verbindung mit den übrigen europäischen Mächten losgerissen hatte, und der dann der allgemeinen Anstrengung, die in Preußen am stärksten und populärsten auftrat, unterlegen war. In dem Imperator haßte der König nicht sowohl die Person als den Vertreter des revolutionären Prinzips, welches, indem es alle bestehenden, historisch erwachsenen Ordnungen vernichtete, der Usurpation und Gewaltsamkeit Tür und Tor geöffnet habe. Die Legitimität hatte für ihn einen noch außerhalb seines Rechts liegenden Wert, darin, daß sie zu dem Widerstande den Mittelpunkt gebildet und die Völkerkräfte um sich vereinigt hatte. Er hielt für notwendig, an den alten Ordnungen festzuhalten, die bei der Entstehung der abendländischen Staaten begründet sich in den mannigfaltigsten Abwandlungen fortgebildet hatten und noch weitrer Fortbildung fähig schienen. Den vornehmsten Ausdruck derselben sah er in dem Deutschen Reich, dessen Idee er selbst in dem Zerfall der Einheit erkannte und festhielt. Er schloß sich ihr mit Hingebung an; ein Vereinigtes und kampfgerüstetes Deutschland bildete sein Ideal, zumal auch Preußen darin fast die vornehmste Rolle spielen mußte. Wie der Umfang seines Gebiets und des deutschen Bunds überhaupt infolge des großen Kampfes bestimmt worden war, so wollte er ihn behaupten, im Verein mit den verbündeten Mächten, nicht selten wieder im Gegensatz gegen die revolutionären Gewalten.
Denn kaum war der Imperator gefallen, so regten sich die Tendenzen, die er im großen und ganzen teilte, aber im einzelnen niederzuhalten verstand, in freier Bewegung, gereizt durch die Mängel der versuchten Restauration, und erweckten allenthalben die Analogien, die sie durch ihre lange und glückliche Aktion hervorgebracht hatten. Rußland und England wurden davon nicht unmittelbar betroffen; jenes machte den Versuch sich gegen die Bewegung zu verschließen und sie wie einen äußern Feind abzuwehren; England wollte, durch die doppelseitige Natur seiner Verfassung bewogen, sich neutral verhalten. Der neue Kampf vollzog sich in dem kontinentalen, romanisch-germanischen Europa. Da trat in den restaurierten romanischen Ländern eine weitverbreitete revolutionäre Bewegung ein, die durch das Ereignis von 1830 das allgemeine Übergewicht und einen unermeßlichen Einfluß auf Deutschland erlangte.
Österreich und Preußen nahmen dagegen abweichende Stellungen. Das erste, in seinen europäischen Verhältnissen bedroht, hielt sich folgerichtig auf dem Wege des absoluten Widerstands, für den es auch sein altes Ansehen in Deutschland verwendete. Der Zweck der preußischen Regierung dagegen, vor allem Friedrich Wilhelms IV. war, die alten Institutionen in einem den Forderungen der Zeit gemäßen Sinne auszubauen, so daß kein Antrieb übrig bleibe, durch welchen daß Land nach der andern Seite hingetrieben würde. Mit den liberalen Ideen, die ja im preußischen Staate namentlich durch die Städteordnung und die Gesetzgebung über das Landeigentum Eingang gewonnen hatten, würde sich der König in verwandter Form vielleicht verständigt haben; aber in ihrem Gefolge trat noch eine andre Bewegung auf, die ihm allgemeines Verderben zu enthalten schien: die des Radikalismus und Sozialismus, welche der gesamten gesellschaftlichen Ordnung den Boden unter den Füßen zu entreißen drohte, und deren Anhänger alle Offenbarung und selbst den Glauben an den lebendigen Gott von sich warfen. Diesen zu widerstehen hielt er für seine vornehmste Pflicht, als Fürst, als Christ wie als Mensch. Er verwarf das liberale System, weil er keine greifbare Grenze zwischen den Grundbegriffen der Liberalen und Radikalen entdecken konnte; in der Verbindung von beiden sah er die Gefahr der gebildeten Welt.
Indem Friedrich Wilhelm IV. diesen Elementen ein unüberwindliches Bollwerk entgegenzusetzen beschäftigt war, wurde er von ihnen überrascht und mußte ihnen weichen. Seine Regierung wird durch den 18. März in zwei verschiedene Perioden geschieden,