Leopold von Ranke: Historiografische Werke. Leopold von Ranke

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Название Leopold von Ranke: Historiografische Werke
Автор произведения Leopold von Ranke
Жанр Документальная литература
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Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9788027206056



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seine. Dazu kam eine wachsende Verstimmung des Königs über das Verhalten des Frankfurter Parlaments in der dänischen Angelegenheit, das dem besondern preußischen Staatsinteresse entgegenlaufe. Aber die Hauptsache war doch der Widerspruch, in welchem sich Friedrich Wilhelm mit den liberalen und radikalen Tendenzen der Versammlung befand. Seine ganze Gesinnung widerstrebte der Annahme der Krone, die ihm geboten wurde, denn dies Anerbieten trat ihm aus der Mitte der revolutionären Bewegung entgegen. Es hätte ihn sogar zur Teilnahme an derselben und zur Verteidigung der in Frankfurt auf Grundlagen, die er verabscheute, aufgebauten Beschlüsse verpflichtet. Überdies, er war viel zu sehr ein geborner Fürst und von dem ausschließenden Rechte des deutschen Fürstentums, über das Kaisertum, d. h. die höchste Würde auf Erden, zu verfügen, durchdrungen, als daß er nicht den Versuch der Versammlung, aus eigenmächtiger Erhebung diese Würde zu übertragen, als eine Usurpation und gleichsam als Standesbeleidigung betrachtet hätte.

      In Friedrich Wilhelm lebte der Begriff der legitimen Gewalt, in Verbindung jedoch mit der freien Entwicklung, die sie gestattete. Der König ging nicht so weit, die Nationalversammlung von Frankfurt schlechthin zu verdammen; als Volkshaus oder als zweite Kammer hätte er sie anerkannt, aber er bestritt ihr die Machtvollkommenheit und konnte eine Krone nicht annehmen, in deren Übertragung der Begriff der Nationalsouveränität zur Erscheinung kam. Wir erwägen hier nicht die Berechtigung der entgegengesetzten politischen Systeme, aber vielleicht ist es dem Könige zuzuschreiben, wenn die Idee der Nationalsouveränität in Deutschland niemals festen Grund und Boden gefunden hat. Darauf beruht noch heute der Unterschied zwischen Frankreich und Deutschland. Noch ein andres Moment bestärkte den König in seiner Haltung; er sah die radikalen Elemente vor sich, welche er von ganzer Seele haßte und verabscheute. In ihrem Treiben sah er gleichsam ein satanisches Beginnen gegen Religion und Staat, dem er nicht Raum zu geben, sondern selbst mit dem Schwerte Gideons zu widerstehen die heilige Pflicht habe.

      Am 27. März wurde in Frankfurt die Kaiserwahl definitiv und feierlich vollzogen. Bunsen, der die Nachricht davon am 31. erhielt, hat noch an demselben Tage dem König ausführlich darüber geschrieben, um ihm die Annahme der Wahl aufs dringendste anzuraten. Und nicht ohne Gewicht sind die Argumente, die er dafür anführt. Die Ablehnung würde, so sagt er, für die Person und das Haus des Königs, für die preußische Monarchie und die Zukunft von Deutschland gefährlich werden. Die Manifestation von Österreich, nach der dieses bei seinem Eintritt mit gesamter Macht in den deutschen Bund 38 Stimmen für sich habe, wahrend den Deutschen nur 32 zufallen sollten, mache jedes weitere Wort überflüssig. »Deutschland kann in Zukunft nur bestehen als freies Bundesreich neben dem österreichischen Gesamtstaate, dazu nur in Form eines Reiches mit einem erblichen Oberhaupte. Preußen hat zwischen dieser Stellung und einer kümmerlichen Abhängigkeit von Österreich und Rußland zu wählen. Ew. Majestät können das, was geschehen muß, vielleicht auf Ihre Lebenszeit verhindern. Geschehen wird es aber, denn das Gefühl Deutschlands, eine Nation zu sein und als solche dem Auslande gegenüberzustehen in Krieg und Frieden, ist unvertilgbar.« Damit biete sich jetzt die friedliche Überleitung der revolutionären Bewegung in ein parlamentarisch-monarchisches Gleise. Der König würde, wenn er ablehne, zugleich mit seiner Vergangenheit und seiner Zukunft brechen. Er drückt sich hierüber so stark wie möglich aus: der König, ein konstitutioneller Fürst, werde dieser Notwendigkeit nicht entgehen ohne eine Gegenrevolution oder Abdankung. Die Einwendungen, die man von dem Wahlgesetz oder dem nur suspensiven Veto hernimmt, schlägt er nur gering an, denn das erste sei ja das preußische System, das zweite habe in einem Bundesstaate nicht so viel zu bedeuten wie in einem Einzelstaate. Für eine unbedingte Annahme war Bunsen selber nicht. Das Verhältnis zu Österreich sollte doch auf Grund der Bundesakte aufrechterhalten, die Abänderung der Reichsverfassung durch einfache Majorität vorbehalten werden. Nur die Ablehnung bestritt er mit all seiner dringenden Lebhaftigkeit. Gewiß war es ihm Ernst mit der Verwandlung der demokratischen Bewegung in eine konstitutionelle. Das aber war es eben, wovon der König niemals zu überzeugen war. Er glaubte nicht anders, als daß die demokratische Bewegung sich seiner Macht bedienen wolle, um die revolutionären Ideen in Deutschland zur Geltung zu bringen.

      Ehe dieser Brief Bunsens eintraf, hatte der König den entgegengesetzten Entschluß nicht etwa gefaßt, denn das war längst geschehen, aber feierlich ausgesprochen. Der Deputation, die ihm meldete, »daß ihn das Vaterland als den Schirm und Schutz seiner Einheit, Freiheit und Macht zum Oberhaupte des Reiches erkoren habe«, antwortete er: »In ihrer Botschaft erkenne er die Stimme der Vertreter des deutschen Volkes; sein Blick werde dadurch auf den König der Könige gelenkt und auf die Pflicht, die ihm als König von Preußen und als einem der mächtigsten deutschen Fürsten obliege; er danke für das Vertrauen das man ihm beweise, aber er würde heilige Rechte verletzen und mit sich selbst in Widerspruch geraten, wenn er ohne das freie Einverständnis der gekrönten Häupter, der Fürsten und freien Städte Deutschlands einen für alle, Fürsten und Stämme, entscheidenden Entschluß fassen wolle; von jenen müsse erst geprüft werden, ob die Verfassung den einzelnen und dem Ganzen fromme, ob er durch die ihm zugedachten Rechte instand gesetzt sein würde, die Geschicke des großen deutschen Vaterlands mit starker Hand zu leiten.« Eine Ablehnung für immer liegt darin nicht; aber dem Sinne gemäß, in dem er sich schon immer erklärt hat, fordert der König eine vorläufige Übereinkunft der Regierungen und der Versammlung, wie in bezug auf das Anerbieten selbst, so auch auf den Umfang der ihm zu übertragenden Gewalt. Zugleich spricht er seine Hingebung für die Sache und das Wohl Deutschlands auf das nachdrücklichste aus: in allen Gauen möge man verkündigen, daß Preußen in innern und äußern Gefahren der Schirm und Schild Deutschlands sein werde.

      Indem aber der König die Krone, wie sie ihm von der Deputation angeboten wurde nicht annahm, hielt er doch an dem durch die Zirkularnote vom 20. Januar 1849 ergriffnen Standpunkt fest. In einem besonderen Erlaß erklärte er sich bereit, wenn es ihm von den deutschen Regierungen angetragen werde, unter Zustimmung der Nationalversammlung die provisorische Leitung der deutschen Angelegenheiten zu übernehmen und an die Spitze eines Bundesstaats zu treten, der aus den Staaten sich bilde, welche sich demselben freiwillig anschließen würden.

      Nicht die Machtlosigkeit, sondern die Rekonstruktion von Österreich als europäischer Gesamtstaat verhinderte dessen gleichmäßige Teilnahme an den eigentlich deutschen Angelegenheiten. Ohne mit sich in Widerspruch zu geraten konnte der König daran denken, in der Reorganisation Deutschlands die leitende Rolle zu übernehmen. Wenn er den engern Bund zustande brachte, so gründete er um sich her ohne mit Österreich zu brechen, doch gleichsam eine neue Macht. Diesen Gedanken ergriff er, als er die Krone ablehnte, entschieden und bewußt als einzige Rettung der Idee der deutschen Selbständigkeit und Einheit gegen die Übermacht und auf den andern als deutschen Gesichtspunkten beruhenden Einfluß Österreichs. Diese Absicht sprach er aufs neue in einer Zirkularnote vom 28. April und in einem Manifest vom 15. Mai 1849 aus; alle seine politischen Handlungen in den Jahren 1849 und 1850 beruhen darauf.

      Und schon kennen wir die europäische Tragweite dieses Vorhabens. Eine innre Konsolidation Deutschlands unter der Führung Preußens war besonders den englischen Ministern in hohem Grade genehm. Sie sahen darin eine Befestigung des durch die alten Verträge begründeten Gleichgewichts der Mächte, denn den kleineren Staaten würde es unmöglich sein, sich inmitten des demokratischen Garens und Wühlens in einer Stellung zu behaupten, in der sie die Übermacht von Frankreich abwehren könnten. Es war zugleich eine konservative und antifranzösische Tendenz, was die englischen Minister bewog sich zugunsten eines engern Bundes der deutschen Staaten unter der Hegemonie von Preußen zu erklären. Sie wünschten ein mächtiges Deutschland in der Mitte zwischen Frankreich und Rußland, das auf eignen Füßen stehend eine unabhängige Politik ergreifen und befolgen könne. Wieviel aber gehörte dazu, diesen Plan auszuführen! Die vornehmste Schwierigkeit entsprang aus der Vermischung zweier doch in der Tat weit auseinanderliegenden Gedanken. Der eine war die Erneuerung der alten deutschen Kaiserwürde mit einer sehr nach der Demokratie hinneigenden Verfassung, der andre das Zustandebringen des engern Bunds. Man könnte meinen, für die Nationalversammlung wäre der richtige Weg gewesen, sich auf das letzte zu beschränken und all ihr Ansehen auf dessen Durchführung zu verwenden. Das mag kaum möglich gewesen sein; wir streiten nicht darüber. Aber die Übertragung eines erblichen Kaisertums an die Krone Preußen, unschätzbar als Manifestation, hatte als politische Handlung von vornherein die schwersten Bedenken gegen sich. Denn in der Tat mußte man doch