Название | Leopold von Ranke: Historiografische Werke |
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Автор произведения | Leopold von Ranke |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788027206056 |
Hardenberg war keineswegs korrekt in seinem Privatleben; an Stein hätte niemand auch nur den geringsten Tadel in dieser Beziehung entdecken können. Er lebte in dem von seinen Altvordern überkommnen sittlichen und religiösen Begriff. Er mochte nicht alles das besitzen, was man zur Bildung des Jahrhunderts rechnete; er war eben ein eigentümlicher Geist, aus tiefen Wurzeln hervorgewachsen, und das altväterische Deutsch, das er schreibt, wie wird es unter seiner Feder so markig, edel und großartig! Seiner Geschäfte war er vollkommen Meister und wollte es sein. Ich möchte nicht wiederholen, daß er seine Gedanken niemals verändert habe, aber wie er sie in jedem Augenblicke faßte, so sprach er sie nachdrücklich und fortreißend aus. In der Diskussion erschien er unwiderstehlich, durchgreifend, schlagend und witzig. Durch und durch praktisch, zeigte er sich zugleich immer von Idealen erfüllt. Auch Hardenberg verlor nie die germanische Gesamtheit aus den Augen; in Stein schlug noch mehr ein deutsches Herz. Die sittliche Macht des deutschen Gedankens wohnte in seiner Seele.
Wenn nun die Zivilverwaltung in die Hände eines Manns von dieser Sinnesweise gelangte, so war es von doppeltem Werte, daß auch in der Militärverwaltung ein Mann von sittlichem Adel und unendlichem Talent einen entscheidenden Einfluß gewann; es ist Scharnhorst. Er war nicht ein Schloßgesessener des alten Adels; seine ersten Jahre hat er in einem von seinem Vater gepachteten Vorwerk zugebracht, die Elemente alles Wissens in einer armseligen Dorfschule erlernt; den übrigen Tag hindurch hat er wohl die Schafe seines Vaters gehütet oder sich mit den kleinen Dienstleistungen des Landlebens beschäftigt und dann zur Erholung in einem nahen See geangelt. Unmittelbar von da hinweg war er in die Militärschule des Grafen Wilhelm von Lippe-Bückeburg auf Wilhelmstein versetzt worden, in welcher ernstes Studium der militärischen Wissenschaften mit praktischen Übungen verbunden war. In dem Feldzuge von 1794, den er in der hannoverschen Armee mitmachte, lernte er die neue Kriegsart der Franzosen kennen und durchdrang sich mit der Notwendigkeit einer entsprechenden Reform in dem diesseitigen Heerwesen. Von dem Herzog von Braunschweig, der ihn schätzte und liebte, wurde er in den preußischen Dienst gezogen. Er verband mehr als irgendein andrer Theorie und Praxis. In Berlin erwarb er sich besonders durch militärischen Unterricht nach den neuen Ansichten, die in ihm erwachten, einen nicht geringen Einfluß auf die Ausbildung der Offiziere; er wurde hauptsächlich als gelehrter Militär geschätzt. Denn die Äußerlichkeiten, auf welche man bei dem Soldaten am meisten zu sehen pflegt, stramme Haltung zu Pferde und zu Fuß, in Worten und Gebärden, waren ihm nicht eigen. Sein Gang war indolent, er senkte gern seinen Kopf auf die Brust; sein Ausdruck war mehr nachgiebig als gebieterisch. Aber im Reiche der militärischen Gedanken war er unabhängig, sowohl von dem Hergebrachten als von den alle Tage sich ausbildenden charlatanartigen Theorien. Sein Vortrag litt an einer gewissen Unbehilflichkeit; aber wenn man ihm nur folgte, so gelangte man zu präzisen Vorstellungen, welche überzeugten. Denn nicht zu glänzen war sein Sinn, sondern zu unterrichten. Er vermied selbst den Anschein der Genialität und suchte immer an das Gewohnte und historisch Anerkannte anzuknüpfen. Sein tapferes Verhalten im Felde, mit einsichtsvollen Ratschlägen gepaart, denen Blücher die guten Erfolge zuschrieb, die er noch im Jahre 1806 errang, verschaffte ihm Kredit als Soldat. Es verdroß ihn, daß er es in der Armee doch nicht zu einer von fremdem Befehl unabhängigen Stellung brachte, nicht einen Tag lang, wie er klagte, zu einem anerkannten Kommando gelangte. Dagegen ward ihm das Glück zuteil, zum engsten Einverständnis mit dem König zu gelangen. Das bescheidne und gediegne Wesen Scharnhorsts, seine mit Vorsicht gepaarte Entschlossenheit erwarben ihm dessen volles Vertrauen; zwischen dem sonst einsilbigen König und dem wissenschaftlichen Offizier, der offne Augen hatte, bildete sich ein das ganze Militärwesen umfassendes Einverständnis. Er wurde zum Vorsitzenden einer zur Reorganisation der Armee niedergesetzten Kommission ernannt.437
Die kräftigsten Anregungen zu einer Volkserhebung gegen Napoleon rühren von Stein her. Hardenberg war ihnen nicht entgegen, aber er suchte sie zu mäßigen, um das für den Staat noch unbedingt erforderliche gute Verhältnis zu Frankreich zu wahren; er wußte zu erreichen, daß Napoleon dem gegen ihn gefaßten Widerwillen entsagte und seinen Wiedereintritt in die ministerielle Tätigkeit (1810) guthieß. Dagegen warf sich Stein in den heftigsten Antagonismus gegen Napoleon und hat in dem großen Kampfe gegen ihn eine entscheidende Wirksamkeit ausgeübt. Wir möchten nicht so viel Wert darauf legen, daß er den russischen Kaiser in dem System des Widerstandes bis aufs äußerste bestärkt hat, denn dazu wurde Alexander durch seinen eingebornen Sinn schon von selber bestimmt; aber unzweifelhaft hat Stein in ihm den Gedanken erweckt, seinen Kampf mit Hilfe der deutschen Nation fortzusetzen. Er hat dann mehr als irgend ein andrer Mensch dazu beigetragen, daß die Deutschen in diesen Bund eintraten; er hat die erste Vereinigung einer deutschen Population mit dem Europa umfassenden Unternehmen Alexanders herbeigeführt, ohne der Selbständigkeit der ersteren Eintrag zu tun. Hauptsächlich von Stein ist die Allianz zwischen Rußland und Preußen zum Zweck einer unmittelbaren Waffenerhebung angebahnt und durchgesetzt worden; daraus entsprang folgerichtig der Entschluß, dem französischen Imperium von Grund aus ein Ende zu machen und Napoleon zu stürzen. Eine großartigere Wirksamkeit läßt sich kaum denken; aber ohne Hardenberg wäre sie doch nicht zum Ziele gelangt.
Die ganze Geschicklichkeit eines geübten Diplomaten gehörte dazu, um dem preußischen Staate für seine Wiedererhebung Raum zu verschaffen und dabei doch die Feindseligkeit des übermächtigen Gegners nicht vorzeitig zu erwecken. Wenn in Kalisch der preußische Gesandte438 und Stein verschiedene Richtungen vertraten, so hat sich der Staatskanzler, durch fortgeschrittne eigne Erwägungen bestimmt, für Stein entschieden; mit eigner Hand hat er dem ursprünglichen Entwurf die von den russischen Bevollmächtigten nachträglich eingebrachten Verbesserungen, die dessen Annahme erst möglich machten, beigeschrieben. Durch sein ebenso umsichtiges wie entschiednes Verhalten wurde es möglich, daß unter den Augen des Feindes die populäre Bewaffnung ins Werk gesetzt wurde, die bereits im Stillen vorbereitet war. Unverhohlen trat er erst hervor, als die Dinge so weit gekommen waren, daß die ganze Nation sich wie ein Mann für das neue System erklärte. Wenn in den Augen der Nachwelt Stein als der größre erscheint, so rührt das daher, daß er sich weniger auf den gewohnten Bahnen bewegte und einen moralischen Schwung besaß, welcher Ehrfurcht erweckte; es war etwas in ihm, was den großen Mann charakterisiert. Von Hardenberg läßt sich das nicht sagen; aber er hatte den Schwung des politischen Gedankens und alle die unbeugsame Zähigkeit und Unverdrossenheit, die dazu gehörten einen solchen zu realisieren.
Von alledem, was ihm gelang, möchte das Vornehmste sein, daß er die Idee einer Koalition gegen die Übermacht Napoleons, mit der er sich von jeher getragen hatte, im rechten Moment wieder aufnahm und durchzuführen wußte. Davon aber hing die Wiederherstellung Preußens ab. Um Preußen, als Staat betrachtet, hat Hardenberg sich ein nicht hoch genug anzuschlagendes Verdienst erworben.
Steins Reformen, Bd. 48 S. 80f.; Hardenbergs Reformen, S. 165-176. Napoleons Zug nach Rußland, S. 228-243.
51. Napoleon I. und Papst Pius VII
Historisch-biographische Studien, Werke Bd. 40 u. 41 S. 42 ff.
Wir nehmen in Napoleon Größe der Gesichtspunkte, Folgerichtigkeit der Ausführung wahr, den Blick und den Flug des Adlers nach seiner Beute; so scharf übersieht er den ganzen Horizont, so geradezu stürzt er auf den entscheidenden Punkt. Allein die Erhabenheit persönlicher Gesinnung, die einer Stellung wie die seine entsprochen hätte, läßt er vermissen, jenen Stolz eines großen Herzens, das sich mit dem Gemeinen nicht befleckt. Ihm ist der Zweck alles. Doch nicht ein jeder läßt sich mit Gewalt erreichen; dann ist ihm kein Mittel zu schlecht, keine Maßregel zu kleinlich, er scheut keine langwierige und gehässige Tyrannei,