Название | Leopold von Ranke: Historiografische Werke |
---|---|
Автор произведения | Leopold von Ranke |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788027206056 |
Friedrich Wilhelm II. befand sich in der Gesellschaft des Herzogs von Braunschweig, des österreichischen Gesandten und des Marquis Lucchesini, als dieses Schreiben anlangte, erbrochen und gelesen wurde. Fürst Reuß fand es empörend und abscheulich; er versichert, daß auch der Unwille des Königs, des Herzogs und des Marquis bei jedem Worte gestiegen sei. Im Hauptquartier war bereits eine Proklamation vereinbart worden, die man nicht zögerte dem französischen General zuzusenden. Darin wird die Abschaffung des Königtums, also auch die von der Nationalkonvention eingerichtete Regierung, mit der zu unterhandeln man dem Könige von Preußen zumutete, in den stärksten Ausdrücken gemißbilligt; man wiederholt für den Fall, daß Ludwig dem XVI. weitere Beleidigungen zugefügt werden, die Androhung der Rache. Bei alledem ist jedoch eine wesentliche Modifikation wahrzunehmen. Wenn in dem ersten Manifest des Herzogs von Braunschweig im Juli nicht allein die Freiheit und Sicherheit des Königs gefordert war, sondern auch eine solche Stellung desselben, daß er seine legitime Autorität über seine Untertanen zu ihrem Glücke ausüben könne, so blieb man jetzt nur bei seiner Freiheit und Sicherheit stehen, ohne daß man seiner Autorität hätte gedenken mögen. Man forderte die Wiederherstellung seiner Würde, aber nicht seiner Gewalt. So bedeutend diese Modifikation an und für sich ist, so war sie doch nicht dazu angetan, auf die Franzosen Eindruck zu machen.
Dumouriez sah in der Proklamation eine neue Verwerfung seiner Vorschläge, die er nach alledem, was mit seinem Adjutanten Thouvenot besprochen morden war, nicht eigentlich erwartet hatte. Er hielt sich für verpflichtet alle Unterhandlungen abzubrechen, denn ein freies Volk könne Drohungen wie diese nicht ruhig hinnehmen, nicht sich Gesetze vorschreiben lassen; es könne nur darauf denken, diejenigen, welche ihm seine Freiheit entreißen wollen, zum Rückzug zu nötigen. Man hätte erwarten sollen, daß nun der Kampf sofort wieder ausbrechen würde; in der Tat war noch immer von einem Angriff der Preußen auf die französischen Stellungen die Rede. Noch am 29. September schreibt der Fürst von Reuß, daß die Sache nicht entschieden sei; aber in diesem Augenblicke wurde sie entschieden. Im preußischen Hauptquartier zog man in Betracht, daß es viele Leute kosten werde, wenn man, was doch notwendig, die französische Position forcieren wolle, und selbst wenn dies gelänge, so wäre es damit nicht entschieden, denn von allen Seiten sehe man neue Scharen zur Verteidigung von Paris heranziehen; wenn es aber mißlinge, so werde man verloren sein, zumal da sich ringsum keine Fourage mehr finde und der Brottransport die größte Schwierigkeit habe. Reuß hatte seiner Meldung eine Nachschrift hinzuzufügen, daß der Rückzug den andern Tag angetreten werden solle.
Es ist immer aufgefallen, daß den Verbündeten der Rückzug nicht mehr erschwert wurde, als wirklich geschah. Aber man muß sich erinnern, daß die Franzosen erst in der Organisation ihrer Armee begriffen waren. Die neueingetretenen Freiwilligen zeigten sich meistens unbotmäßig und in jedem Falle hauptsächlich auf ihre Rettung bedacht. Weg und Wetter waren für alle schlecht; ein Waffengang konnte auch für die Franzosen die empfindlichsten Nachteile herbeiführen. Und über allem schwebte noch die politische Kombination. Die Franzosen hatten die Absicht, Preußen von Österreich zu trennen, keineswegs aufgegeben; sie trugen sich sogar mit dem Gedanken, dem König von Preußen zu gestatten, die polnischen Gebiete, die er in Anspruch nahm, sich anzueignen, um ihn von Rußland zu trennen. Dagegen erfahren wir, daß noch beim Rückzuge die Emigranten, als sie in Vouziers waren, 1. Oktober, Kunde von Instruktionen des Wiener Hofes bekamen, die auf eine Schmälerung des alten französischen Gebiets hinausliefen. Sie wurden auch im preußischen Hauptquartier mitgeteilt; Lucchesini ließ keinen Zweifel darüber, daß das preußische Kabinett weit entfernt war, auf Entwürfe dieser Art einzugehen.
Eine sehr außerordentliche Gestaltung erhielten in diesem Moment die öffentlichen Angelegenheiten überhaupt. Als die revolutionäre Bewegung, mit den Ideen der Nationalität durchdrungen, in Europa erschien, und zwar bereits kriegsgewaltig, begann die Bundesgenossenschaft, welche zur Wiederherstellung des königlichen Thrones die Waffen ergriffen hatte, ihrerseits sich aufzulösen. Der Rückzug wurde, so gut es unter diesen Umständen ging, vollzogen.
Als das preußische Heer nach Verdun gelangte, wurde der alte Gedanke wieder aufgenommen, einen methodischen Krieg zu beginnen. Der König dachte den ihm nachrückenden Franzosen eine Schlacht zu liefern und alsdann die Winterquartiere längs der Maas zu nehmen. Aber man stellte ihm vor, das werde sich selbst in dem Falle, daß man den Sieg erfechte, nicht ausführen lassen, da man dazu Sedans bedürfe, dessen Einnahme jetzt bei dem Mangel an Vorbereitungen unmöglich sei. Dazu kamen allerlei militärische Differenzen mit Österreich. Der Fürst von Hohenlohe-Kirchberg verließ eigenmächtig einen Posten, durch welchen die rechte Flanke der preußischen Armee gedeckt werden sollte, denn er sei gekommen zu schlagen, nicht aber seine Truppen vor Hunger sterben zu lassen. Der König geriet darüber in sehr begründete Besorgnis. Eine Stellung an der Maas zu nehmen oder auch Verdun und Longwy zu behaupten erschien in der Tat untunlich; der Rückzug mußte vielmehr so rasch fortgesetzt werden wie möglich. Es ist dabei mehr als einmal zu Verhandlungen mit den französischen Generalen gekommen. Deren Forderung war allezeit, daß Preußen den Nationalkonvent anerkennen und sich fortan um das Schicksal Ludwigs XVI. und der Emigranten nicht bekümmern solle. Darauf mochte jedoch Friedrich Wilhelm II. nicht eingehen. Man erzählt, er habe, an dem Verhalten Österreichs irre geworden, eines Tages dem alten Vertrauten Bischoffwerder419 Vorwürfe gemacht, daß er das Bündnis mit Österreich eingeleitet und zustande gebracht habe; aber sich von dieser Macht zu trennen war der König doch nicht gemeint. Der kaiserliche Gesandte versichert, Friedrich Wilhelm halte an der Allianz unerschütterlich fest.
In diesen Tagen war Graf Haugwitz420 von Wien angelangt; er fand den König niedergeschlagen und mißvergnügt. Man sah, daß es ihn schmerzte, die großen Intentionen, mit denen er ausgezogen war, so vollkommen verfehlt zu haben. Dem Grafen Haugwitz diente es zur Empfehlung, daß er vor dem Beginn des Kampfes den schlechten Ausgang desselben vorausgesagt hatte. Er war immer ein entschiedener Gegner Schulenburgs421 gewesen, welcher schon, als er abreiste, das Vertrauen des Königs nicht mehr besaß. So erklärt sich, daß Haugwitz unmittelbar als Kabinettsminister eintreten konnte; er fing sogleich an, mit dem Könige zu arbeiten. Auch seine Meinung ging nun dahin, daß Preußen sich so wenig von Österreich als von Rußland trennen dürfe.
Friedrich Wilhelm sprach bereits von einem zweiten Feldzuge, bei dem er dann den Herzog von Braunschweig beiseite lassen und die Armee selbst anführen wolle. Der Fürst von Nassau versetzte, wäre das schon jetzt geschehen, so würde alles besser gegangen