Leopold von Ranke: Historiografische Werke. Leopold von Ranke

Читать онлайн.
Название Leopold von Ranke: Historiografische Werke
Автор произведения Leopold von Ranke
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9788027206056



Скачать книгу

seine politischen Gedanken in einer Denkschrift zusammenzustellen, die er im preußischen Hauptquartier überreichen ließ. Er geht davon aus, daß es nicht mehr die legislative Versammlung sei, von bestrittenen, vielleicht usurpatorischen Rechten, die in Frankreich herrsche; sie habe jetzt einer Konvention Platz gemacht, durch welche die souveräne Nation repräsentiert werde. Durch diese sei die königliche Würde abgeschafft; Frankreich sei fortan eine Republik, man müsse sie anerkennen oder bekämpfen. Der König von Preußen, dem man es als leicht vorgestellt habe, die Franzosen zu besiegen, werde jetzt seines Irrtums inne; die Vorteile, die er davongetragen, seien nur von geringer Bedeutung; er finde eine große und mächtige Nation sich gegenüber. Er müsse überzeugt sein, daß die Eroberung von Frankreich unmöglich, daß das Volk und die Armee, die ihm widerstehe, nicht als ein Haufe von Rebellen zu betrachten sei. Rebellen seien vielmehr jene Edelleute, die, nachdem sie die Monarchie selbst erschüttert, jetzt die Waffen gegen ihr Vaterland ergriffen hätten, und diese sehe man doch an der Seite der preußischen Armee einherziehen, verbunden mit den barbarischen Kriegsvölkern von Österreich. Dieser Macht sei seit dem unglücklichen Vertrag von 1756 die üble Lage Frankreichs, das Unglück Ludwigs XVI. selbst zuzuschreiben; ihre ränkevolle Politik habe den Franzosen den Krieg mit einer Macht, welche sie lieben und von der sie geliebt werden, zugezogen; ein so unerträgliches Verhältnis könne nicht bestehen. Wenn der König dagegen gewillt sei mit den Franzosen zu unterhandeln, bei denen nicht mehr der Zufall und persönliche Rücksicht vorherrsche, so werde er an ihnen sichere und zuverlässige Verbündete finden. Eine Fortsetzung des Krieges könne das Schicksal Ludwigs XVI. nur verschlimmern, nicht verbessern.

      Friedrich Wilhelm II. befand sich in der Gesellschaft des Herzogs von Braunschweig, des österreichischen Gesandten und des Marquis Lucchesini, als dieses Schreiben anlangte, erbrochen und gelesen wurde. Fürst Reuß fand es empörend und abscheulich; er versichert, daß auch der Unwille des Königs, des Herzogs und des Marquis bei jedem Worte gestiegen sei. Im Hauptquartier war bereits eine Proklamation vereinbart worden, die man nicht zögerte dem französischen General zuzusenden. Darin wird die Abschaffung des Königtums, also auch die von der Nationalkonvention eingerichtete Regierung, mit der zu unterhandeln man dem Könige von Preußen zumutete, in den stärksten Ausdrücken gemißbilligt; man wiederholt für den Fall, daß Ludwig dem XVI. weitere Beleidigungen zugefügt werden, die Androhung der Rache. Bei alledem ist jedoch eine wesentliche Modifikation wahrzunehmen. Wenn in dem ersten Manifest des Herzogs von Braunschweig im Juli nicht allein die Freiheit und Sicherheit des Königs gefordert war, sondern auch eine solche Stellung desselben, daß er seine legitime Autorität über seine Untertanen zu ihrem Glücke ausüben könne, so blieb man jetzt nur bei seiner Freiheit und Sicherheit stehen, ohne daß man seiner Autorität hätte gedenken mögen. Man forderte die Wiederherstellung seiner Würde, aber nicht seiner Gewalt. So bedeutend diese Modifikation an und für sich ist, so war sie doch nicht dazu angetan, auf die Franzosen Eindruck zu machen.

      Dumouriez sah in der Proklamation eine neue Verwerfung seiner Vorschläge, die er nach alledem, was mit seinem Adjutanten Thouvenot besprochen morden war, nicht eigentlich erwartet hatte. Er hielt sich für verpflichtet alle Unterhandlungen abzubrechen, denn ein freies Volk könne Drohungen wie diese nicht ruhig hinnehmen, nicht sich Gesetze vorschreiben lassen; es könne nur darauf denken, diejenigen, welche ihm seine Freiheit entreißen wollen, zum Rückzug zu nötigen. Man hätte erwarten sollen, daß nun der Kampf sofort wieder ausbrechen würde; in der Tat war noch immer von einem Angriff der Preußen auf die französischen Stellungen die Rede. Noch am 29. September schreibt der Fürst von Reuß, daß die Sache nicht entschieden sei; aber in diesem Augenblicke wurde sie entschieden. Im preußischen Hauptquartier zog man in Betracht, daß es viele Leute kosten werde, wenn man, was doch notwendig, die französische Position forcieren wolle, und selbst wenn dies gelänge, so wäre es damit nicht entschieden, denn von allen Seiten sehe man neue Scharen zur Verteidigung von Paris heranziehen; wenn es aber mißlinge, so werde man verloren sein, zumal da sich ringsum keine Fourage mehr finde und der Brottransport die größte Schwierigkeit habe. Reuß hatte seiner Meldung eine Nachschrift hinzuzufügen, daß der Rückzug den andern Tag angetreten werden solle.

      Es ist immer aufgefallen, daß den Verbündeten der Rückzug nicht mehr erschwert wurde, als wirklich geschah. Aber man muß sich erinnern, daß die Franzosen erst in der Organisation ihrer Armee begriffen waren. Die neueingetretenen Freiwilligen zeigten sich meistens unbotmäßig und in jedem Falle hauptsächlich auf ihre Rettung bedacht. Weg und Wetter waren für alle schlecht; ein Waffengang konnte auch für die Franzosen die empfindlichsten Nachteile herbeiführen. Und über allem schwebte noch die politische Kombination. Die Franzosen hatten die Absicht, Preußen von Österreich zu trennen, keineswegs aufgegeben; sie trugen sich sogar mit dem Gedanken, dem König von Preußen zu gestatten, die polnischen Gebiete, die er in Anspruch nahm, sich anzueignen, um ihn von Rußland zu trennen. Dagegen erfahren wir, daß noch beim Rückzuge die Emigranten, als sie in Vouziers waren, 1. Oktober, Kunde von Instruktionen des Wiener Hofes bekamen, die auf eine Schmälerung des alten französischen Gebiets hinausliefen. Sie wurden auch im preußischen Hauptquartier mitgeteilt; Lucchesini ließ keinen Zweifel darüber, daß das preußische Kabinett weit entfernt war, auf Entwürfe dieser Art einzugehen.

      Eine sehr außerordentliche Gestaltung erhielten in diesem Moment die öffentlichen Angelegenheiten überhaupt. Als die revolutionäre Bewegung, mit den Ideen der Nationalität durchdrungen, in Europa erschien, und zwar bereits kriegsgewaltig, begann die Bundesgenossenschaft, welche zur Wiederherstellung des königlichen Thrones die Waffen ergriffen hatte, ihrerseits sich aufzulösen. Der Rückzug wurde, so gut es unter diesen Umständen ging, vollzogen.