Darcian. Julia Lindenmair

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Название Darcian
Автор произведения Julia Lindenmair
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Издательство
Год выпуска 0
isbn 9783946843887



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närrischen Interesse mal abgesehen. Als sie auch noch anfangen, Whites Arme zu heben und ihr unter den Rock zu spicken, räuspert sich zum Glück Madame Dania.

      »Das reicht. Lasst das arme Mädchen in Ruhe.« Anmutig gleitet die Sylphe über den Boden, als würde sie über Wasser schweben. Ihr grünes Haar, das sich in wogender Lockenpracht um ihr zartes Gesicht ergießt, weht dabei, als befände sie sich mitten in einem Sturm. Das bernsteinfarbene Kleid, das sich hauteng an ihre Kurven schmiegt, passt sich geschmeidig ihren Bewegungen an. Diese graziöse Art ist den Naturgeistern zu eigen – , ich bin jedenfalls froh, dass sie das kuriose Zurschaustellen gestoppt hat.

      Ich habe angenommen, Madame Dania würde zuerst mit White reden wollen, aber sie hält vor mir an. »Darcian. Erzähl mir bitte, was genau passiert ist.«

      »Sie ist ein Mensch und kann uns sehen, genau das ist passiert«, platzt es aus mir raus.

      »Du solltest dich Madame Dania gegenüber schon sehr viel genauer ausdrücken!« Mox fuchtelt herum und schnappt nach Luft, doch verstummt schlagartig, als ihn die Sylphe durch eine deutliche Handbewegung zum Schweigen bringt. »Und warum ist sie hier, in eindeutiger Menschgestalt?«, hakt sie nach.

      Ich schlucke hart. »Weil ich sie durch das Portal ins Jenseits mitgenommen habe.«

      »Das ist unmöglich.« Jetzt ist White den stummen Blicken aller ausgeliefert. »Es ist nicht möglich, dass eine Seele in einem menschlichen Körper die Pforten überschreitet«, wiederholt Madame Dania im Flüsterton.

      »Wie ihr sehen könnt, ist es doch möglich«, erwidert White zu meiner Überraschung und zum Missfallen aller Ratsvorsitzenden. Ihr Ton ist schnippischer, als es meiner je sein könnte – ich muss grinsen.

      Madame Danias verwundertes Gesicht verwandelt sich schnell in ein freundliches. »Wie ist dein Name, mein liebes Kind?«

      »May White.«

      »Und dein Alter?«

      Ich trete einen großen Schritt nach vorn. »Das wisst ihr doch alles schon«, bemerke ich aufgebracht. Mir kommt es vor, als würden wir die Zeit hier mit unsinnigen Fragen totschlagen.

      »Wir möchten es aber noch einmal von ihr hören«, keift Mox. Ich entgegne nichts mehr, weil es nicht mein Verhör ist. Trotzdem brodelt die Ungeduld in mir wie ein Vulkan, der kurz vor dem Ausbruch steht.

      Mox dreht sich wieder White zu, seine Miene hellt sich auf. »Also, fahre fort, meine Liebe.«

      White schluckt und wirkt plötzlich erstaunlich niedergeschlagen. Ich versuche mich in sie hineinzufühlen, um zu verstehen, was sie gerade durchmacht. Obwohl ich einsehe, dass sie ihre Zeit braucht, wünsche ich, ich könnte verstehen, was in ihr vorgeht. Was das alles für sie bedeutet – innerhalb eines Moments alles zu verlieren und gleichzeitig eine unbegreifliche Gabe zu erhalten. Keine frische Seele vor ihr hat es geschafft, derartige Gedanken in mir auszulösen. Vielleicht liegt es auch daran, dass sie keine Seele ist, sondern ein menschliches Mysterium, das es zu ergründen gilt? Ich weiß es nicht.

      »Nora und ich wollten diese Nacht meinen achtzehnten Geburtstag feiern.« Whites Stimme bricht, ihr Gesicht wirkt noch farbloser als bisher.

      Madame Dania kneift ihre purpurroten Augen zusammen. »Hat dein trauriges Gesicht möglicherweise etwas mit dem Autounfall zu tun, bei dem deine Schwester verstorben ist?« Whites Augen weiten sich erstaunt und sie nickt stumm.

      »White? Was ist passiert?«, frage ich vorsichtig. Ich weiß nicht warum, aber Whites bekümmertes Gesicht geht mir an die Nieren. Auch Lady spitzt die Ohren und Lucien rückt näher an uns heran.

      White schließt für einen Augenblick ihre Augen. »Wir waren auf dem Weg zu meiner Party, die Freunde für mich organisiert hatten. Ich wollte gegen den Willen von Nora unbedingt, dass sie mitkommt. Als sie sich gesträubt hat, habe ich sie überredet, mich hinzufahren … und dann … dann …« White schluchzt und ihre grünen Augen beginnen unter Tränen zu flackern.

      »Du bist bestimmt nicht schuld am Tod deiner Schwester«, versichere ich ihr das Gegenteil von dem, was unausgesprochen in der Luft hängt.

      »Doch, das bin ich! Hätte ich sie nicht überredet, hätte es keinen Grund für diesen furchtbaren Streit gegeben und sie hätte sich besser auf den Verkehr konzentrieren können …« In meinem Magen beginnt es stürmisch zu wüten, als sie mir einen feurigen Blick zuwirft.

      »Das ist doch alles Schwachsinn«, unterbreche ich sie. »Ein alkoholisierter Raser im Gegenverkehr hat euch geschnitten.«

      »Darcian«, ermahnt mich Madame Dania mit erhobenem Zeigefinger. Eigentlich steht es mir nicht zu, White Details über die Akte ihrer verstorbenen Schwester preiszugeben. Aber diesen Fall sehe ich ganz klar als Ausnahme an.

      Während White ihre Tränen wegwischt, senkt Madame Dania den Kopf und schwebt völlig in sich gekehrt im Zimmer auf und ab. Ihre roten Augen flackern dabei, als würden Flammen darin tanzen.

      »Könnte dieser Zustand durch eine Nahtoderfahrung ausgelöst worden sein?«, fragt Sir Pelkum nach einigen Minuten in die schweigende Runde.

      »Ich denke nicht, dass ich so etwas wie eine Nahtoderfahrung hatte«, verneint White, eine Nuance gefasster.

      »Eine Nahtoderfahrung können wir vollständig ausschließen. Wie wir wissen, erleben viele Menschen eine und keiner von ihnen war jemals dazu im Stande, Himmelsbewohner zu sehen, geschweige denn ins Jenseits einzutreten«, erklärt Madame Dania flüsternd, ohne auf Whites Worte einzugehen.

      Aus den Augenwinkeln heraus erkenne ich, dass sich White sichtlich unwohl fühlt. Sie wird vorgeführt und muss für etwas geradestehen, wofür es keine Erklärung gibt.

      »Könnt ihr mir jetzt bitte sagen, warum ich hier bin?« Niemand geht auf Whites Frage ein und scheinbar macht das nicht nur mich rasend. Ich beobachte, wie das Zittern ihrer Hände auf ihren Körper übergeht, ihn einnimmt und erbeben lässt. Offensichtlich scheint White eine beeindruckend starke Persönlichkeit zu sein, allerdings bin ich mir nicht sicher, ob sie alldem hier gewachsen ist. Allein. Das alles hier ist ihr gegenüber nicht fair.

      Ich balle die Hände zu Fäusten. »Könnt ihr nicht eure ohnehin gescheiterten Versuche, schlau aus den Geschehnissen zu werden, vorübergehend einstellen? Ich finde, ihr solltet diesem Erdenmädchen, das mit den Tatsachen sicherlich überforderter ist als jeder andere hier in diesem Raum, endlich die Beachtung schenken, die es verdient hat!« Meine Stimme klingt, als hätte ich sie tagelang aufgeladen und gerade zum Explodieren gebracht. Sofort wird es still im Raum, alle Blicke sind auf mich gerichtet. Madame Dania hat ihre Augen weit aufgerissen, während Mox die Kinnlade weit nach unten geklappt ist. Aber niemand sagt ein Wort, oder traut sich, mir zu widersprechen. Zumindest scheine ich den Rat mit meinem Übermut endlich zum Nachdenken gebracht zu haben.

      Vorsichtig schiele ich zu White, die ein schwaches Lächeln formt und sich flüsternd kurz bei mir bedankt.

      »Was sagt denn die Akte über White? Habt ihr irgendetwas Sonderbares herausgefunden?«, fragt Lucien in die Runde, womöglich, um von meinem Wutausbruch abzulenken.

      Mox räuspert sich, als hätte es ihm seine piepsige Stimme verschlagen, doch Madame Dania ergreift sogleich das Wort: »White war ein normales Erdenmädchen, das vor 18 Jahren mit weißen Haaren in Bloomfield, einem Vorort von Detroit, geboren wurde und auch dort aufgewachsen ist. Knapp zwei Jahre später hat ihre Schwester, Nora May, das Licht der Welt erblickt. Die vierköpfige Familie war somit komplett. Wir sind ihre Akte mehrmals durchgegangen, aber etwas Sonderbares ist uns nicht aufgefallen.«

      Lucien und ich sehen uns eindringlich an. Im Moment denkt er wohl dasselbe wie ich: White muss hierbleiben, bis es eine Erklärung für ihre Gabe gibt.

      »Hast du vor diesem Unfall schon einmal Dinge oder Wesen gesehen, die du nicht für irdisch gehalten hast?«, erkundigt sich Madame Dania einfühlsam.

      »Ich glaube nicht«, flüstert White kaum hörbar.

      »Nun gut, mein liebes Kind. Ich würde vorschlagen, du bleibst zu deiner eigenen Sicherheit hier im Elysium, bis wir den