Austausch - Programm. Jürgen Ruhr

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Название Austausch - Programm
Автор произведения Jürgen Ruhr
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783750224544



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sind keine Brüder“, protestierte ich noch. Es musste doch jeder sehen, dass wir keine Brüder waren. Ein Schwarzer und ein Weißer! Höchstens vielleicht Stiefbrüder von verschiedenen Vätern. Aber das behielt ich dann doch für mich.

      VII.

      Die Beamten sprachen während der Fahrt kein Wort mit uns und ich gab es bald auf, Erklärungen abzugeben. Maangj lächelte die ganze Zeit über und in der Dunkelheit schien es, als würde sein Gebiss in der Luft schweben.

      Der Wagen hielt auf dem Parkplatz neben der Wache in Rheydt, was mir an sich sehr gut behagte. Hier befand sich das Revier von meinem ‚Freund‘ Albert Pöting, der mittlerweile auch schon Hauptkommissar sein musste. Vielleicht würde man ihn sogar noch heute Nacht informieren, so dass Wolpensky umgehend festgenommen werden konnte.

      Bevor wir aus dem Polizeiwagen steigen durften, fesselten uns die Polizisten die Füße mit Fußfesseln, deren Ketten etwas länger waren, so dass wir im Gänsemarsch in das Gebäude gehen konnten. Maangj schaute dem Ganzen weiter lächelnd zu und beobachtete jeden Handgriff.

      „Ich möchte Kommissar Albert Pöting sprechen“, verlangte ich. „Sofort!“ Doch niemand nahm von meinem Wunsch Notiz. Schließlich sperrten die Beamten uns in eine Zelle. „Morgen wird sich jemand um euch Galgenvögel kümmern, jetzt ist erst einmal Nachtruhe“, beschied uns einer der Männer, bevor die Tür ins Schloss fiel und knirschend ein Schlüssel umgedreht wurde.

      „Schöne Scheiße“, fluchte ich und setzte mich auf eine der beiden Pritschen. Es gab keine Decken, aber zum Glück war es ja nicht kalt. In so einer Zelle hatte ich vor Jahren schon einmal eine Nacht verbracht. An dem Tag damals kam ich aus Frankfurt zurück nach Mönchengladbach und hatte versucht, bei meinen Eltern unterzukommen. Die waren allerdings nicht zu Hause gewesen und beim Versuch in das Haus zu gelangen, erwischte mich die Polizei.

      Maangj lächelte immer noch. „Sie finden das wohl auch noch witzig, Kyle?“, fragte ich ihn missgelaunt. Es war uns gelungen, den Täter zu überführen und jetzt wurden wir hier selbst wie Schwerverbrecher behandelt. Nicht einmal die Fesseln hatte man uns abgenommen und als ich mich jetzt auf der Pritsche ausstreckte, war das mit den Händen auf dem Rücken eine sehr unbequeme Stellung.

      „Die Polizei in Deutschland ist sehr human“, gab der Schwarze von sich. „Gute Polizeiarbeit! Da müssten sie einmal erleben, wie solche Festnahmen in Südafrika ablaufen. Wenn dann noch Waffen im Spiel sind, können sie froh sein, zu überleben.“

      „Na, nun übertreiben sie mal nicht, Kyle“, entgegnete ich, da es kaum vorstellbar war, dass selbst Verbrecher nicht halbwegs menschenwürdig behandelt wurden. Sicherlich, hier in Deutschland herrschte eine gewisse Kuscheljustiz, bis hin zu falsch verstandener Solidarität mit den Verbrechern. Aber unsere Gerichte kamen ja auch kaum noch nach, bei der Fülle von Verfahren und die Gefängnisse waren voll. Kleinere Bagatellverbrechen, wie einfacher Diebstahl zum Beispiel, wurden schon gar nicht mehr verfolgt. Da hatte der Bestohlene eben Pech gehabt. Wer sich dann aber gegen so einen Dieb oder Räuber wehrte, wurde sehr schnell selbst angeklagt. Irgendwie war das gesamte Justizsystem in Deutschland in die Schieflage geraten.

      Irgendwann musste ich eingeschlafen sein, denn beim Klappern der Zellentür schreckte ich desorientiert hoch. Maangj saß auf seiner Pritsche und lächelte. Wie konnte der Mann in solch einer Situation noch lächeln? Mir war eher danach zumute, irgendetwas zu zerschlagen oder irgendjemanden zusammenzuschlagen. Mein ganzer Körper schmerzte und die auf dem Rücken gefesselten Arme wurden schon längst nicht mehr ausreichend durchblutet und kribbelten, als wenn tausende von Ameisen darauf herumwandern würden. Mühsam wechselte ich in die Sitzposition.“

      „Guten Morgen, Jonathan“, grüßte der Schwarze höflich.

      „Guten Morgen, Kyle“, erwiderte ich und fügte hinzu, als ein Polizist den Raum betrat: „Guten Morgen, Herr Gesetzeshüter.“

      Der zeigte sich allerdings weniger freundlich, grüßte erst gar nicht, sondern stellte das mitgebrachte Tablett auf einen kleinen Tisch an der Wand. „Frühstück“, knurrte er. Und mit einem Seitenblick auf Maangj fügte er hinzu: „Das Lachen wird ihnen schon noch vergehen. In einer Stunde geht’s zum Verhör. Sie werden sich noch wundern! Unsere Kriminalhauptkommissare verstehen keinen Spaß, da können sie Gift drauf nehmen. Und jetzt essen sie, so lange sie noch können.“ Er war im Begriff sich umzudrehen und die Zelle zu verlassen, als ich sagte: „Moment. Wie sollen wir mit den Händen auf dem Rücken essen? Würden sie uns bitte losmachen oder wenigstens vorne fesseln?“

      Der Beamte blickte mich unsicher an. Dann überlegte er eine ganze Weile und nickte schließlich. „Gut, ich fessle ihre Hände auf dem Bauch. Dann können sie essen. Aber wehe, sie versuchen mich auszutricksen. Ich kann nämlich Krav Maga!“

      ‚Aha‘, dachte ich. ‚Vermutlich einer von Bernds Schülern.‘ Das wurde ja immer schöner! Die Beamten, die wir im Kampfsport ausbildeten, steckten uns anschließend in eine Zelle, ohne überhaupt nach dem wirklichen Sachverhalt zu fragen! Ich war schon stinksauer, als sich der Beamte mir näherte.

      „Was für einen Level haben sie denn?“, erkundigte ich mich spaßeshalber. Allerdings entstand in meinem Hinterkopf eine Idee, die mich böse grinsen ließ.

      „Level?“, antwortete er verwirrt. „Keine Ahnung. Ich bin jetzt schon bald ein halbes Jahr dabei und habe verdammt viel gelernt. Mir macht keiner mehr was vor. Und jetzt drehen sie sich um, Gesicht zur Wand und die Beine breit.“

      „Also Practitioner“, murmelte ich und nahm mir vor, den Mann nicht allzu hart anzufassen. Dann drehte ich mich zur Wand und schob die Beine so weit auseinander, wie die Kette es zuließ.

      Sekunden später spürte ich, wie sich eine Seite der Handschellen löste. Jetzt ging alles blitzschnell und meine Bewegungen liefen automatisiert ab. Ich ließ mich leicht in die Hocke sinken, federte auf einem Bein herum und zog dem Beamten mit dem freien Fuß die Beine weg. Bevor der schmerzhaft auf dem Boden aufschlagen konnte, fing ich ihn auf, rollte mit ihm zusammen ein Stück über den Boden und entwand seinen Fingern den Schlüssel für die Handschellen. Keine dreißig Sekunden später lag er an Händen und Füßen gefesselt auf meiner Pritsche und blickte mich aus großen, ungläubigen Augen an. Ich knebelte ihn mit einem Taschentuch und fixierte den Knebel dann mit seinem Gürtel. „Krav Maga“, meinte ich achselzuckend. „Trainieren sie auch bei Bernd Heisters?“

      Als er nickte, zwinkerte ich ihm zu und sagte: „Da sind sie genau an der richtigen Adresse. Sie müssen nur noch ein wenig mehr üben. Ich bin dort übrigens manchmal auch als Ausbilder tätig.“

      Während ich Maangj von seinen Fesseln befreite, meinte der: „Wow, Jonathan. Das hätte ich dir nicht zugetraut. Eine klasse Aktion, aber glaubst du nicht, dass uns so etwas in Schwierigkeiten bringen wird? In Kapstadt würden dich die Polizisten für einen Angriff auf Kollegen irgendwo erschießen oder unauffällig um die Ecke bringen.“

      „So weit sind wir hier noch nicht“, entgegnete ich. Doch ich musste zugeben, dass die ganze Aktion ziemlich dämlich gewesen war. Ich hätte doch lediglich darauf warten müssen, mit Albert Pöting zu sprechen und alles würde sich in Wohlgefallen auflösen. Stattdessen überwältigte ich hier den armen kleinen Polizisten. Vielleicht war es ja mein angegriffener Stolz und die unbequeme Stellung der letzten Nacht, die sich ein Ventil gesucht hatten.

      Ich nahm mir ein lieblos geschmiertes Wurstbrot von dem Teller auf dem Tablett, biss kurz davon ab und meinte kauend zu dem Neger: „Gehen wir, Kyle. Suchen wir Albert Pöting, damit dieser Wolpensky hinter Schloss und Riegel kommt.“ Beim Hinausgehen zog ich die Zellentür zu, schloss aber nicht ab. Nachher würde ich Albert informieren, dass einer seiner Polizisten in der Zelle hier auf Hilfe wartete.

      Wir schlichen unbemerkt die Treppe in den ersten Stock hoch. Irgendwo hier befand sich Albert Pötings Büro, das ich an dem Namensschild an der Tür identifizieren konnte. Ein Blick auf die Uhr sagte mir, dass er in seinem Büro sein musste. Und wenn nicht, dann würden wir dort auf ihn warten. Vielleicht befand sich in dem Raum ja sogar eine Kaffeemaschine.

      Kyle Maangj schlich