Wie isses nur tödlich. Günther Seiler

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Название Wie isses nur tödlich
Автор произведения Günther Seiler
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783745046359



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Mit dem Haftrichter habe ich schon gesprochen. Sie bleiben für drei Tage hier zur Vernehmung in Haft. Um den Richter nicht zu gefährden, müssen wir es riskieren ihnen vorerst einen Anwalt zu verweigern. Es könnte von der anwaltlichen Seite über ihn oder über sein Büro etwas an die Presse gelangen und dann Prost Mahlzeit.“ Frauke stand auf und sagte lachend: „Mahlzeit, ich gehe in die Kantine.“

      Es war spät in der Nacht und der gestrige Tag verging mit intensiver Arbeit. Die Soko ‚Fisch‘ arbeitete auf Hochtouren, aber leider war die Ehefrau des Richters immer noch nicht vernehmungsfähig. In dem Haus waren Spezialisten anwesend, falls sich die Entführer am Telefon oder sonst auf einem anderen Weg melden würden. Alles blieb ruhig. Der Gasthof in Rechtsupweg wurde von einer getarnten Ermittlungsgruppe so diskret wie möglich beobachtet und das Telefon überwacht. Der Gasthof war aufgrund eines ‚Trauerfalles‘ geschlossen, ein entsprechendes Schild war an der Tür angebracht worden.

      In dieser letzten Nacht vor dem entscheidenden Tag der Übergabe des pinkfarbenen Koffers, an der vermutlichen Stelle im Hoddelker Moor in der Nähe von Tannhausen, saß Frauke nachdenklich rauchend in ihrem Büro und hatte schon vom vielen Hinsehen auf den Bildschirm ihres Computers gerötete Augen. Sie studierte die verschiedensten Tageszeitungen der regionalen und überregionalen Presse, soweit diese im Internet vorhanden waren.

      Plötzlich stutzte Frauke und vergaß, ihre Zigarettenasche in den Aschenbecher abzustreifen. Als sie die Hitze der Glut an ihrem Finger bemerkte, drückte sie die Zigarette schnell aus. Sie wurde bei der Nachricht in der Zeitung, die schon drei Jahre zurück lag, starr vor Schreck. Dann aber schlug sie laut triumphierend auf ihre Schreibtischplatte. Frauke sah zur Uhr. Es war kurz vor drei Uhr in der Nacht, als sie zum Telefonhörer griff und ihre Vorgesetzte Elseke Oltmanns aus tiefen Schlaf holte.

      Der entscheidende Tag brach an. In der Lagebesprechung kam das Team der Polizei überein, nicht das Hoddelker Moor zu beobachten, da sie dort keinerlei Aufsehen erregen wollten. Frauke berichtete von ihrem nächtlichen Computerfund. Sie kamen überein, Frauke und Heidelinde von der Aktion der Lösegeldübergabe freizustellen. In dem Haus der Döhring-Feyke waren zusätzliche Beamte anwesend, die gebannt auf das Telefon starrten. Frau Nelli Döhring-Feyke saß wie abwesend in dem Zimmer, sie hatte von ihrem Hausarzt starke Beruhigungstabletten bekommen. Ihre Anwesenheit war aber aus ermittlungstaktischen Gründen notwendig, denn sie musste sich ja am Telefon melden, falls die Entführer anriefen.

      Die Warterei war grauenvoll und man konnte die Nervenanspannung in dem Raum fast mit Händen greifen. Da klingelte es an der Tür und alle schreckten hoch. Elseke hatte vergessen, einen Beamten vor die Tür zu stellen und so ging sie selber zur Wohnungstür. Dort stand der Schuster von nebenan mit seiner Schürze und sah unsicher Elseke an, die zu ihm sagte: „Ich bin eine Freundin von Nelli.“ Der Schuster antwortete: „Ich hatte gerade einen merkwürdigen Anruf. Da sagte eine männliche Stimme, Nelli möchte bitte an den pinkfarbenen Koffer heute um vierzehn Uhr denken. Der Koffer soll auf der freien Fläche Hoddelker Moor in der Nähe von Tannhausen stehen. Er wiederholte die Uhrzeit und ich sollte es hier ausrichten, da der Anrufer angeblich Nelli nicht erreichen konnte. Das wollte ich nur sagen. Wenn ich als Nachbar helfen kann, soll Nelli es mich wissen lassen.“ Elseke bedankte sich freundlich und schloss die Tür. Sie gab das Startzeichen.

      Die Polizeipräsidentin hatte ihren eigenen Führungsstil, sie wollte nicht nur in ihrem Zimmer auf Ergebnisse warten, sondern war bei einigen Einsätzen selber präsent. Das fand nicht immer die Zustimmung der Beamten, sie konnten aber sicher sein, dass sie immer über die Sorgen und Nöte ihrer Mitarbeiter informiert war und so detailliert Vorschläge zur Verbesserung der Polizeiarbeit in den höchsten Polizeikreisen und in der Politik unterbreiten konnte.

      In dem alten grünen Lieferwagen einer Wäschefirma saßen neben der Polizeipräsidentin Hinrika Bruns-Werheim noch Elseke Oltmanns und zwei vermummte Spezialkräfte des Einsatzkommandos aus Hannover. Diese hatten eine ganze Armee ihrer Leute auffahren wollen, jedoch hatte Bruni nach einem Donnerwetter den verständlichen Tatendrang der Spezialisten gebremst. Bruni wollte kein großes Aufsehen erregen und daher hatten sie sich schon vorher einen unauffälligen Weg zum Hoddelker Moor mit Hilfe eines Jägers gesucht. Der Wäschewagen stand nun im Gebüsch, mit seiner grünen Farbe recht gut getarnt. Das Ganze hatte auch etwas Komisches an sich, so wie die beiden Spezialpolizisten, ein Mann und eine Frau, auf der Ladefläche auf einer alten Matratze saßen. Bruni hatte höchstpersönlich das Auto gesteuert und Elseke hatte ihren Feldstecher hochgenommen und sich suchend umgesehen. Alles war normal. Nelli war in einem anderen Auto von ihrer Freundin zu diesem Treffpunkt gefahren worden und stieg nun mit wackeligen Beinen aus. Sie stellte auf das einzige freie Stück hier im Moor den pinkfarbenen Koffer mit dem Lösegeld gut sichtbar hin. Allerdings hatten die Kollegen von der Technik nur die ersten und letzten Scheine in den Stapeln mit echtem Geld versehen, der Rest war wie im Kino gleich groß mit wertlosem Papiergeld aus Zeitungen präpariert.

      Sie warteten. Auf der Ladefläche hörten sie verständlicherweise ein unruhiges Scharren, die Position war auch nicht unbedingt komfortabel. Wenn man sich vorstellte, dass die beiden Spezialkräfte aus dieser verkrampften Haltung heraus aus dem Stand körperlich fit sein sollten! „Wie die das bloß schaffen“, dachte Bruni.

      Es verging eine weitere Stunde und nur das auf stumm gestellte Funkgerät blinkte ab und zu auf und eine Stimme kam leise flüsternd über den digitalen Funk. Ansonsten wollte man eine strikte Funkdisziplin halten. Aus reinem Zeitvertreib sah Elseke den Möwen nach. Plötzlich wurde sie stutzig, sie sah näher hin. Das am Himmel war doch keine Möwe! Jetzt hörte sie ein leises, monotones Motorengeräusch und in ihrem Glas konnte sie ein Fluggerät erkennen, das rasch größer wurde und an Höhe verlor. Jetzt sah sie es und sie sagte aufgeregt: „Sieh einmal, Bruni, da kommt etwas angeflogen. Das sieht wie ein Motorroller mit einem Lenkdrachen oberhalb des Rollers aus. Der Pilot scheint das Fluggerät mit einer Stange des Lenkdrachens zu steuern.“ Die Polizeipräsidentin hatte ebenfalls ihr Glas an den Augen, suchte den Himmel ab und fand das Leichtflugzeug.

      Der Pilot steuerte auf den freien Platz im Hoddelker Moor zu, nahm Gas weg und landete direkt neben dem pinkfarbenen Koffer, griff geschickt mit einer Hand den Koffer und gab Vollgas. Der Motor heulte auf und das Leichtflugzeug brauchte keine nicht lange, um wieder an Höhe zu gewinnen. Der Pilot steuerte in die gleiche Richtung, aus der er gekommen war. Elseke sagte zu Bruni: „Ich möchte jetzt mal unsere dummen Gesichter sehen. Wir haben vor Aufregung nicht einmal Fotos von dem fliegenden Ding gemacht.“ Auf der Ladefläche klopfte es und eine dunkle Stimme, von der Sturmmaske gedämpft, sagte: „Was ist los, können wir zum Einsatz kommen?“ Bruni bekam einen Lachanfall und Elseke lachte laut mit. Sie öffneten die Hecktür, die beiden Spezialkräfte stiegen aus und mussten sich einmal recken. Bruni sagte: „Danke für alles. Ihr könnt eure Masken abnehmen. Unser Vogel ist mit dem Pinkkoffer entflogen.“ Sie zeigte in die Flugrichtung und alle sahen sich ratlos an. Nur Bruni und Elseke hatten einen kurzen Blickkontakt und lächelten.

      Auf dem kleinen Flugplatz in Barßel mit der Kennnummer EDXL zwischen Papenburg und Bad Zwischenahn saßen in einem der acht zivilen Streifenwagen Frauke Nissen und Heidelinde Gambrino-Spezzano mit einer gemischten Truppe von Spezialkräften aus Hannover und Oldenburg, die man an den ebenfalls schwarzen Sturmhauben erkennen konnte, und mit eigenen Kräften aus Emden, Norden und Wilhelmshaven. Diese Kräfte saßen in zwei Mannschaftswagen, da Bruni darauf bestanden hatte, hier kein Risiko einzugehen. Frauke musste sich beugen. Im Innersten ihres Herzens war sie aber ganz froh, hier eine schlagkräftige Mannschaft der Kollegen zur Unterstützung zu haben. Die Fahrzeuge standen alle im kleinen Hangar des Fliegerclubs der Leichtflugzeuge von Barßel, die Beamten waren alle verteilt worden. Nun war Warten angesagt. Bei der Mehrzahl aller Fällen bestand die Polizeiarbeit ohnehin nicht in wilden Aktionen, sondern aus zähem Warten.

      Nach einer Stunde hörten sie Motorengeräusche am Himmel und ein kleines Leichtflugzeug, das wie ein fliegender Roller für zwei Personen aussah, schwebte ein. Der Motor wurde gedrosselt und der Roller landete. Der Pilot lenkte gekonnt und geschickt sein fliegendes Gefährt bis vor den vereinseigenen Hangar, vereinzelt gab er Gas. Der Pilot war alleine in dem Fluggerät, er schnallte sich ab, stellte den pinkfarbenen Koffer auf den Boden und schwang sich heraus. Direkt neben dem Leichtflugzeug stand ein Kerosinfass mit einer Handpumpe, hinter dem sich Frauke und Heidelinde