Wie isses nur tödlich. Günther Seiler

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Название Wie isses nur tödlich
Автор произведения Günther Seiler
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783745046359



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für eine kurze Zeit im Haus bei Akke gewesen. Hier duzten sich alle, nur wenn Akke im Gericht hinter seinem Richtertisch saß, siezten sie ihn, er war ja dort eine Amtsperson. Insofern war dem Zeitungsboten bekannt, wo sich die Kaffeemaschine in der Küche befand.

      Nelli nahm wie in Trance den Kaffee und langsam kamen nach und nach die Erinnerungen wieder. Sie erzählte, was vorgefallen war und erwähnte den Brief. „Danach wurde mir schwarz vor Augen und ich weiß nichts mehr“, sagte sie und sah sich suchend nach dem Brief um. Der Polizeibeamte bückte sich noch tiefer und sah unter dem Fahrzeug nach. Dort, fast vor dem rechten Vorderreifen, lag der Briefumschlag und etwas weiter der herausgenommene Brief. Der Beamte Herbert-Jörn Büchel nahm den Brief auf und blickte kurz irritiert zu Nelli, als sie aufgrund ihrer wiedergekommenen Erinnerung heftig zu weinen begann. Der Arzt und die Sanitäter blickten ihn gespannt an, als er laut vorlas: „Frau Nelli Döhrink-Veike. Wenn du diese Zeilen bekommst, haben wir in unseren Händen, was dir lieb und für dich auch teuer wird. Wir haben deinen Mann nach dem Boßelfest auf der Landstraße gegen zwei Uhr dreißig kurz vor, wo genau sagen wir aber nicht, denn die Polizei könnte hier unsere DNA Spuren finden, in unsere Gewalt gebracht. Wir haben die Tat schon lange genau geplant, das können wir dir verraten. Auch können wir rund um die Uhr dein Haus mit einer getarnten Internetkamera beobachten. Wir verraten dir das ganz bewusst, weil wir dir zum einen unseren Stand als Profis im Entführen von Menschen demonstrieren wollen, zum anderen wollen wir zeigen, dass wir keine Angst vor der Polizei haben. Wir sind in Europa, Lateinamerika und in Afrika auf das Entführen von Menschen spezialisiert. Es geht uns nicht um irgendwelche politischen oder religiösen Dinge, auch nicht um Rachegefühle gegenüber deinem Mann, weil er als Richter unsäglich viele Menschen schon in deine Klapsmühle brachte und du dir mit deinen gefälschten Gutachten auch für die Krankenkasse an diesen armen Teufeln eine goldene Nase verdienst. Wir sind eine Firma, die sich auf den professionellen Handel mit Menschen zur Erzielung eines hohen Lösegeldes spezialisiert hat und wir werden von hochkarätigen, international tätigen Kunden beauftragt.

      Wir können dir auch noch verraten, dass wir den besten Draht zur Polizei haben, da wir auf unserer Gehaltsliste nicht die normalen Streifenpolizisten stehen haben. Der gehobene Dienst bis zu den Polizeipräsidenten aus einigen auserwählten Polizeiinspektionen arbeitet still und geräuschlos für uns.

      Aber der aktuelle Streit des Einfaltspinsels Martin, der in seinem betrunkenen Kopf vor allen Leuten im Saal des Lokals ‚Windschiefe Kate‘ in Rechtsupweg deinem Mann damit drohte, ihm den Schädel mit einer Boßelkugel einzuschlagen, geht nicht auf unsere Kappe. Martin sah aber ohne unser Zutun ganz richtig, dass er die Einsperrung seines Onkels durch deinen Mann lautstark monierte, um es einmal diplomatisch auszudrücken. Dabei nannte er dich ausdrücklich. Woher Martin wusste, dass du mit deinen Machenschaften im Landeskrankenhaus mit in dem Sumpf steckst, wissen wir nicht, hier sind wir genau so ratlos wie du. Wir könnten es leicht herausbekommen, doch das werden wir nicht, weil wir kein überflüssiges Risiko eingehen möchten. Denn wir können uns denken, dass die Polizei den Martin ab jetzt beschatten wird. Liebe Polizisten, lasst es bitte, wir rühren den Martin nicht an, wir beobachten ihn auch nicht mit elektronischen Mitteln. Hier gilt unser Ganovenehrenwort.

      So, mehr wollen wir den Profilern von der Polizei nicht verraten. Sie werden sich an uns sowieso die Zähne ausbeißen. Sie brauchen sich nur die Entführungsakten der letzten zehn Jahre in Lateinamerika und jüngst in Uruguay anzusehen. Wir haben es dort mit knallharten Gegnern der amerikanischen Bundespolizei zutun. Dort sind Sachen passiert, die so grausam waren, dass es sogar uns erschüttert hat. Und wir haben schon so manches Gemetzel veranstaltet. Wir mögen gar nicht gerne daran erinnert werden, aber wie sagt der Ostfriese: Wat mutt, dat mutt. Ihr seht, wir sind auch hier in dem schönen Ostfriesland bewandert. So, nun zum Geschäft und darum geht es uns ja für unseren Auftraggeber. Das Lösegeld beträgt jetzt zu Anfang, höre genau hin, Nelli, fünfzehn Millionen Euro für die erste Woche. Das Geld muss von heute an in spätestens drei Tagen in einem leuchtend pinkfarbenen Aktenkoffer parat stehen. Wir treten heute in genau drei Tagen um die Mittagszeit mit dir in Kontakt. Dass die Polizei oder ein spezielles Kommando eingeschaltet wird, wissen wir, es interessiert uns aber nicht. Nur so viel, wir haben Leute bei uns in den Reihen hier in Ostfriesland, die auch eine harte Ausbildung hinter sich haben. Falls das Geld nicht bis dahin vorliegt, geben wir dir eine letzte Chance. Du bekommst von uns ein Paket und wir können dir nur raten, hole zur Öffnung des Paketes einen Arzt. Du wirst ihn dringend brauchen. Dein Mann wird dann noch leben, wir sagen ausdrücklich ‚noch‘. Denn der Preis erhöht sich auf nicht mehr nachverhandelbare fünfzig Millionen Euro und dieser Betrag muss nach Ablauf der ersten Frist innerhalb von vierundzwanzig Stunden gezahlt werden. Der erste Übergabeort ist hinfällig und wir werden dir einen zweiten Ort mit einer geänderten Taktik nennen. Danach werden wir kein Geld mehr fordern, sondern unserem Auftraggeber von dem Misserfolg berichten müssen.

      Ach ja, der Martin brachte uns mit der Boßelkugel auf eine gute Idee. Er drohte deinem Mann, wie schon gesagt, vor allen Boßelfreunden und dem Wirtsehepaar damit, ihm mit einer Boßelkugel den Schädel einzuschlagen. Sehr originell für einen ersten Vorsitzenden eines Boßelvereins, meinst du nicht auch? Wir sind fair und wir können gut verstehen, dass man ja gerne erfahren will, wo der Liebste still und stumm für immer als Leiche liegt. Es ist für uns ein Leichtes, seine Leiche auf ewig verschwinden zu lassen und dir für deine Vitrine mit der brennenden Kerze ein schönes Farbfoto, zugegeben, mit einem etwas veränderten Gesichtsausdruck deines Manns, zu schicken. Dann wüsstest du immerhin, er richtet jetzt auf einer höheren Schiene und wir können nur hoffen, er richtet dort weniger korrupt. Aber wir versprechen dir, dass wir dir zwanzig Jahren nach seinem Hinscheiden von dieser schönen Welt den Ort verraten werden, wo er in Frieden in allen Einzelteilen ruht. Der Ort seiner Ruhe wird sehr umfangreich in Ostfriesland sein, glaube uns.

      So, Nelli, jetzt lamentiere nicht mehr, lass dich auf keinen Rat der heimischen Polizisten oder der Kripoleute vom Bundeskriminalamt ein, die haben schon zu viel mit uns völlig versemmelt, sondern nimm unseren Rat an und richte deine ganze Aufmerksamkeit auf das Beschaffen des Lösegeldes. Wir wissen über eure Konten Bescheid und den Rest muss eben Vater Staat für euch Staatsbedienstete aufbringen, das gehört doch zu den Fürsorgepflichten eines Landes einfach dazu.

      Wenn wir das Geld geprüft haben, und wir haben unsere Methoden mit unseren Bankern, kommt dein Mann frei. Frag nicht, wann und wo, lass dich einfach überraschen. Wir sind ab jetzt über alle deine Schritte genau informiert. Es wird allerdings keiner von uns im hochgeschlagenen Mantelkragen hinter dir herlaufen oder sich mit einer Sonnenbrille mit der Zeitung vor dem Gesicht wegdrehen, wenn du ihn oder sie bemerken solltest. Du wirst uns niemals sehen, auch wenn du dich noch so oft auf der Straße umdrehst. Wir aber werden dich immer im Blick haben und zwar sehr dicht und unmittelbar. Schalte die Polizei und von uns aus auch Privatdetektive ein, wir freuen uns endlich einmal auf Leute der Gegenseite in fast einer Augenhöhe. Bloß werden sie bald mit starrem Blick irgendwann in der Nordsee angeschwemmt werden.

      Deine unsichtbaren Freunde. "

      Der Polizeibeamte von der Polizeistation Norden, Herbert Jörn Büchel, ließ erschöpft den Brief sinken. Er war blass geworden und seine Hände zitterten stark, was man deutlich an dem Brief sehen konnte. Nelli saß zusammengekauert, mit hochgezogenen Knien auf dem Garagenboden und hatte ihren Kopf mit den verweinten Augen auf die Knie gelegt und mehrfach während des Vorlesens des Briefes laut aufgestöhnt. Der Beamte Büchel sagte: „Alles scheinen die aber nicht zu wissen, denn der Familienname wurde hier falsch geschrieben.“ Der Notarzt sah sie sorgenvoll an. Herr Büchel drehte sich um und sagte laut: „Damit das klar ist, von dem Gehörten wird von euch kein Gebrauch gemacht, das ist absolut geheim! Bitte erzählt keinem Menschen etwas. Das gilt auch für dich, Zeitungsbote!“ Alle nickten und der Sanitäter brachte Nelli ins Haus. Der Zeitungsbote nahm mit zitternden Knien seine Runde wieder auf, während die Polizei ohne Erfolg mit den Stablampen das Haus und den Garten von außen absuchte. Langsam wurde es hell.

      Im zuständigen Polizeipräsidium in Aurich, An der Goslarer Straße 24, in der Nähe der Fußgängerzone, saß die Polizeipräsidentin Frau Hinrika Bruns-Werheim in dem Büro der leitenden KOK, Kriminaloberkommissarin Elseke Oltmanns, zusammen mit der Kommissarin Frauke Nissen und der Profilerin der Polizei, Frau Heidelinde Gambrino–Spezzano