Wie isses nur tödlich. Günther Seiler

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Название Wie isses nur tödlich
Автор произведения Günther Seiler
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783745046359



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sich der Karawane in den Weg und sagte in ruhigem Ton: „Bitte Jungs, mit eurem Wagen macht ihr mir das Parkett kaputt. Ich habe es erst vor zwei Wochen von einer Tischlerei für viel Geld abziehen lassen. Bitte lasst das.“ Der Jugendliche in dem Bollerwagen stand umständlich auf und blieb schwankend vor dem Wirt stehen: „Hör mal, du Grünkohlpanscher. Mir schmeckte dein Grünkohl nicht, Rindelt! Und die Pinkelwurst war auch nicht mehr das, was sie mal früher war. Du hast dein Parkett abziehen lassen, na und? Wir lassen doch auch genug Geld hier. Das einzige was gleich hier abgezogen wird, ist dein Fell über die Ohren, du Schnapspanscher! Hast du auch heute wieder deinen Köm ordentlich mit Wasser verdünnt, ja?“ Der Wirt blieb ruhig, er kannte seine Pappenheimer: „Martin Mewes, wenn du keinen Alkohol verträgst, lass es bleiben und werde hier nicht frech. Du bekommst von uns keinen Alkohol mehr ausgeschenkt. Bitte zieh dich an und verlasse mein Lokal! Ich rufe dir ein Taxi.“ Der angesprochene Martin wurde puterrot im Gesicht und drohte sich auf den Wirt zu stürzen.

      Inzwischen hatte der zweite Vorsitzende den verantwortlichen Jugendwart Uffe Helms in dem Gewusel ausfindig gemacht und auch Akke gesucht. Sie gingen gemeinsam zu Martin und versuchten ihn zu beruhigen. Als Martin den ersten Vorsitzenden Akke sah, wurde er noch lauter: „Ach, da ist ja auch unser Richter. Na, hast du heute schon wieder einige Leute in die Klapsmühle geschickt, so wie meinen Onkel vor einem Jahr? Deine Frau ist doch Ärztin im Landeskrankenhaus und du schickst ihr bestimmt immer die Patienten, damit ihr ordentlich Geld scheffeln könnt. Du bist ein Menschenwegfänger von der ganz üblen Sorte. Alle, die dir nicht passen, lässt du in deine Anstalt für immer sperren. Ich habe sie gesehen, als ich meinen Onkel im Landeskrankenhaus besucht habe. Ich werde es dir eines Tages heimzahlen, du Menschenschinder von einem Richter.“

      Akke wurde blass, er hatte tatsächlich den Onkel von Martin Mewes wegen akuter Schizophrenie einweisen lassen, doch es hatte keinen Sinn, mit Martin in diesem Zustand darüber zu reden. Und so sagte Akke ruhig zu ihm: „Martin, lass es gut sein. Uffe sorgt für ein Taxi und ich rede nächste Woche mit dir über deinen Onkel. Komme doch einfach zu mir nach Hause.“ Martin hatte vor Wut weiße Spucke an der Lippe kleben, sein Blick war flackernd und er war ziemlich wütend. „Ja, ich komme zu dir nach Hause. Aber nicht zum Reden, sondern um dir den Schädel einzuschlagen! Akke, pass jetzt immer schön auf, wo es doch so früh dunkel ist. Wenn du dein teures Haus verlässt, sieh dich immer um. Ich könnte hinter einer Tanne stehen und dir mit einer Boßelkugel einen über deinen dämlichen Richterschädel ziehen.“

      Uffe zerrte an ihm und sagte: „Martin, es reicht, komm jetzt hier raus.“ Martin drehte sich zu Uffe um, der von dessen Blick wie erstarrt war: „Uffe, fass mich nicht an. Denk an den Richter, was ich ihm angedroht habe!“ Mit einem Ruck drehte sich Martin um, nahm seine Jacke vom Garderobehaken und verließ ohne ein weiteres Wort das Lokal.

      Heddine sah Akkes entsetztem Blick und nahm seine Hand: „Akke, nimm es nicht wörtlich. Der Martin hat große Sorgen, er hat vor einigen Tagen seine Leerstelle verloren und zu allem Unglück ist ihm noch seine Freundin weggelaufen. Der meint die Drohung bestimmt nicht ernst. Morgen, wenn er mit einem Kater aufwacht, weiß er bestimmt nicht mehr, was er gesagt hat. Wir sollten aber bei der nächsten Versammlung das Thema ‚Alkohol‘ anschneiden und für den nächsten Wettbewerb nicht wie die Regierung eine Schuldenbremse einbauen, sondern eine Alkoholbremse.“ Heddine wollte auf ihre nette und vermittelnde Art das Schreckliche aus der Drohung von Martin an Akke nehmen, ohne es in die Lächerlichkeit zu ziehen. Das gelang ihr auch ein wenig, aber sie sah auch den besorgten Blick des 2.Vorsitzenden Fokken Albers.

      Den weiteren Abend über fehlte bei Akke die ungezwungene Fröhlichkeit. Er sah oft nachdenklich in sein Wasserglas. Die anderen versuchten ihn aufzumuntern und auch die Kapelle aus Leer unternahm alles, um den Vorfall mit fröhlicher Musik der besonders lauten Art in den Hintergrund zu drängen.

      Gegen zwei Uhr in der Früh gingen auch die letzten Gäste. Vom Vorstand waren nur noch Akke und sein Vertreter Fokken anwesend. Sie prüften die Abrechnung des Wirtes Buhrfeind und Akke unterschrieb. Rindelt Buhrfeind verabschiedete die beiden noch vor der Tür und blickte in den Himmel, ob es in der Nacht noch Regen geben würde. Fokken Albers hatte nicht viel getrunken und hatte schon am Vortag seinen PKW auf dem Parkplatz des Lokals abgestellt. Er wohnte in der entgegengesetzten Richtung und bot trotzdem an, Akke eben nach Hause zu fahren. Der aber schüttelte den Kopf und meinte traurig: „Mich hat der Wutausbruch von Martin richtig mitgenommen, ich fühle mich, als hätte mir ein Boxer einen Schlag versetzt. Dabei bin ich als Richter doch einiges gewohnt. Aber dieser wütende Gesichtsausdruck des Jugendlichen macht mir Angst. Ich werde noch bis zum nächsten Ort marschieren, mal sehen, wie lange ich gehen möchte. Wenn ich Lust habe, laufe ich bis zu meinem Haus, ansonsten rufe ich ein Taxi. Danke, Fokken, für deine Hilfe. Schlaf gut und grüße deine Frau von mir.“ Akke gab ihm die Hand und Fokken sah ihn sorgenvoll an. Dann stieg er in sein Auto, winkte noch kurz aus dem geöffneten Fahrerfenster und war in der Dunkelheit verschwunden. Akke schlug den Mantelkragen hoch und lief in Richtung Marienhafe.

      Gegen vier Uhr in der Früh wachte seine Frau Nelli auf und schreckte mit einem Mal in ihrem Bett hoch. Sie tastete auf das andere Ehebett und merkte, dass ihr Mann noch nicht im Bett war. Sie schaltete die Nachttischlampe an und kniff die müden Augen zusammen, um die Uhrzeit auf dem schwach grünlich leuchtenden Wecker zu sehen und rief: „Akke, bist du im Arbeitszimmer?“ Sie hatte sich vorgenommen, bis zur Ankunft ihres Mannes trotz einer starken Erkältung wach zu bleiben, war aber während des Lesens eines Buches immer wieder eingeschlafen. Die Erkältung war auch der Grund, warum Nelli nicht mit der Frauenmannschaft geboßelt hatte, obwohl auch sie Mitglied in dem Verein ihres Mannes war. Akke hatte ihr angeboten, in das Gasthaus nach Rechtsupweg nachzukommen, wenn sie sich gut genug fühlte. Ansonsten sollte sie sich im Bett schonen und ihren Schnupfen auskurieren. Nelli stieg aus dem Bett, legte das Buch auf den Nachttisch und suchte einen Hausschuh, der sich wie immer unter dem Bettkasten versteckte. Sie schaltete im Schlafzimmer das Deckenlicht an, zog sich den Morgenmantel über und verließ den Raum. Im Flur rief sie nochmals laut den Namen ihres Mannes, doch es kam keine Antwort. Sie ging die Treppe nach unten und schaltete auch hier überall das Licht an. Von ihrem Mann war im Haus keine Spur zu sehen. In der Garderobe sah sie nach, ob sein Mantel dort hing. Auch hier Fehlanzeige, auch seine Schuhe standen nicht wie sonst üblich im Schuhregal. Ihr Mann war immer sehr ordentlich mit seinen Sachen. Er hatte auch versprochen kurz durchzurufen, falls es später werden würde oder wenn sie noch zu einem Vereinsmitglied auf einen ‚Absacker‘ gehen würden. Akke hielt sich beim Trinken von alkoholischen Getränken immer zurück, man konnte aber nie wissen, wie ein derartiger Abend ausklingen würde.

      Nelli sah in der Garage nach, ob das Auto hier noch stehen würde. Sie wusste nicht, warum sie da nachschaute. Das Garagentor war wie immer zugezogen, sie verschlossen es erst, wenn sie für einige Tage abwesend waren. Als Nelli schon wieder gehen wollte, fiel ihr Blick auf den Scheibenwischer. Dort war ein Brief eingeklemmt worden. Sie wunderte sich und dachte erst an ein Strafmandat und nahm den Umschlag ab, öffnete ihn und als sie die ersten Zeilen las, fiel sie in Ohnmacht. Sie schlug mit ihrem Kopf hart auf die Motorhaube auf und rutschte an dem Fahrzeug hinunter.

      Eine halbe Stunde später kam der Zeitungsbote, der hier neben der Sonntagszeitung auch die Brötchen brachte. Er sah das offene Tor, sah die Beine hinter dem Auto herausragen. Er ging in die Garage und rief: „Hallo, Frau Döhring-Feyke? Was ist los?“ Er stellte seinen Zeitungskarren ab, beugte sich über Nelli und kam erschrocken wieder hoch. Sie hatte am Kopf eine Platzwunde, an der das Blut schon geronnen war. Über sein Handy rief der Zeitungsbote die Feuerwehr an und stellte sich in die Einfahrt, um den Rettungswagen einzuweisen. Nach zehn Minuten war der Rettungswagen mit dem Arzt vor Ort und sie leisteten erste Hilfe.

      Nelli kam wieder zu sich und blickte sich verwirrt um. Es war schon ein gespenstischer Anblick. Das Blaulicht des Rettungswagens zuckte von dem Haus reflektierend zurück und einige Menschen wuselten um sie herum. Von weitem hörte man das Martinshorn und kurz danach kamen zwei Streifenwagen der Polizei um die Ecke. Der Streifenführer sprach kurz mit dem Arzt. Ein Sanitäter hatte ihr einen alten Läufer, den er in der Garage gefunden hatte, als Sitzkissen untergeschoben und sie hatte bereits eine warme Decke umgelegt bekommen. Der Arzt und der Streifenführer gingen neben ihr in die Hocke und der Polizist sprach sie behutsam und leise an: „Frau Döhring-Feyke, was ist passiert?“ Sie sah