Das Erbe der Ax´lán. Hans Nordländer

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Название Das Erbe der Ax´lán
Автор произведения Hans Nordländer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738034684



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einer im Sinne des Wortes. Auf das, was Meneas und Idomanê nun erlebten, war keiner von ihnen vorbereitet und sie hatten Mühe, ihre Fassung zu wahren.

      Ohne Vorwarnung ging mit Tjerulf eine unheimliche Veränderung vor sich. Er kniete mit nach vorn geneigtem Kopf neben Freno und schien in Gedanken versunken. Plötzlich legte sich ein silberner Schimmer um seine Gestalt. Sein Kopf fuhr ruckartig in den Nacken und seine Augen starrten wie geistesabwesend nach oben. Doch dieser Eindruck war genau das Gegenteil von seinem Zustand. Es war nicht mehr Tjerulfs Kopf, den sie sahen. Vollkommen übergangslos hatte er sich in den Schädel eines alten, kahlköpfigen Mannes verwandelt, dessen Gesicht vor lauter Falten und Furchen beinahe wie grau versteinert wirkte. Langsam senkte sich dieser fremdartige Schädel wieder nach vorn und in dieser Bewegung hoben sich seine Arme bis in Gesichtsmitte empor. Mit keinem Blick aus seinen dunkelbraunen Augen streifte er Meneas und Idomanê. Sie hätten ihm nur mit Mühe standgehalten. Die Lichtkegel der Blendlaternen zitterten deutlich.

      Der Alte, es konnte unmöglich noch Tjerulf sein, blickte starr auf seine Arme und murmelte Worte in einer unbekannten Sprache. Der Geist in Freno wehrte sich immer stärker, denn er wusste, was ihn erwartete. Es war fast unglaublich, dass die Stricke noch hielten, so bäumte er sich gegen sie auf. Meneas und Idomanê befürchteten, dass er sich im nächsten Augenblick Hände oder Füße abreißen würde, doch weder das eine noch das andere geschah.

      Dann begannen sich die Hände des Alten zu verformen. Waren es vorher noch menschliche Hände gewesen, wenn auch steinalt und schrumpelig, so wuchsen an jeder Hand die fünf Finger jetzt zusammen und es bildeten sich drei unförmige, hornbewehrte Krallen, jeweils zwei Finger und ein Daumen. Damit begann der Fremde, die Kleidung über Frenos Bauch hochzuschieben und die nackte Haut freizulegen. Mit einer heftigen Armbewegung durchbrachen die Krallen der rechten Hand die Bauchdecke. Blut quoll hervor und Frenos Körper erbebte vor Qualen, doch er fiel nicht in eine gnädige Bewusstlosigkeit. Der Geist in Freno warf wie wahnsinnig seinen Kopf hin und her und trat mit den Füßen. Schaum bildete sich vor seinem Mund und unirdische, höllische Geräusche drangen durch den Knebel. Beiden, Meneas und Idomanê, wurde übel. Als ihr dann auch noch schwindelig wurde, ahnte sie, dass sie kurz vor einer Ohnmacht stand. Verzweifelt stützte sie sich an der Wand ab.

      Was der Alte in den Eingeweiden Frenos in diesen Augenblicken veranstaltete, konnten sie nicht erkennen und sie waren dankbar dafür. Dafür mussten sie mit ansehen, wie Trywfyn und Durhad zur gleichen Zeit die freigelegten Adern durchtrennten und ihnen das Blut entgegenspritzte. Das war zu viel für Idomanê. Ohnmächtig sank sie zu Boden und polternd fielen die beiden Taschenlampen aus ihren Händen. Gespenstisch leuchteten sie zwei Ecken des Raumes aus. Tjerulf, Durhad und Trywfyn ließen sich jedoch nicht stören. Während der Alte seinen Arm weiter in die Richtung des Herzens vorschob, lehnten sich der Morain und der Ogmari wieder zurück.

      Frenos Wunden hätten unter gewöhnlichen Umständen ausgereicht, ihn zu töten. Nicht so in diesem Fall. Seine Bewegungen waren nicht schwächer geworden. Der fremde Geist klammerte sich mit verzweifelter Wut an seinen Gastkörper und versorgte ihn mit schier grenzenloser Lebenskraft. Der Strom des Blutes, der aus der Wunde trat, verfärbte sich von rot zu grau, wurde dann schwarz und schließlich wieder rot. Es schien zu kochen, denn weißer Schaum mischte sich bei. Jetzt erst erstarben Frenos Bewegungen und schließlich hörte der Blutstrom auf. Mit einem Geräusch, das sich wie ein tiefer, erleichterter Seufzer anhörte, fiel der Körper in sich zusammen und lag bewegungslos da. Im gleichen Augenblick hallten die Wände des Kellerraumes zum zweiten Mal in dieser Nacht von einem unirdischen Kreischen wider. Dann herrschte im Sinne des Wortes Todesstille.

      Meneas stand wie versteinert da. Nur seine Hände zitterten. Er verstand nicht, was vor seinen Augen stattgefunden hatte. Sein Geist weigerte sich einfach, es zu verstehen. Hatte Tjerulf, oder wer immer er jetzt war, Freno letztlich doch umgebracht, entgegen seines Versprechens? Meneas war unfähig zu handeln oder etwas zu sagen.

      Der Alte zog seinen Arm wieder aus dem Bauch des offensichtlich leblosen Freno. So wie sich die Hände in Krallen umgewandelt hatten, wurden wieder fünffingrige Hände aus ihnen. Der kahle Schädel nahm wieder die Form des Kopfes von Tjerulf an und die silbrige Aura verschwand.

      Nun, damit hatte Meneas gerechnet, aber nicht mit dem, was er dann sah. Die Wunden Frenos begannen sich langsam, aber sichtbar wieder zu verschließen. Die durchtrennten Adern, die sich nach den Schnitten unter die Haut zurückgezogen hatten, verbanden sich unsichtbar unter den verheilenden Wunden und selbst die gewaltige Bauchverletzung war bald nicht mehr zu sehen. Abgesehen von dem Blut, von dem nicht wenig um Freno verteilt war, deutete nichts mehr auf den Eingriff hin. Nach wenigen Minuten war Frenos Körper so unversehrt wie zuvor und von erstaunlich gesunder Farbe.

      Tjerulf drehte Freno auf die Seite und löste ihm die Handfesseln. Durhad durchschnitt die Stricke an den Füßen. Nirgends waren erstaunlicherweise Druckstellen zurückgeblieben. Dann legten sie Freno wieder auf den Rücken und standen auf.

      „Der Geist war stärker als erwartet“, gab Tjerulf zu. „Doch es ist vorüber. Nicht mehr lange, und Freno wird zu sich kommen. Dann wird er sich an nichts mehr erinnern.“

      Tjerulf drehte sich um und wäre beinahe über Idomanê gestolpert, die hinter ihm lag.

      „Oh, was hat sie?“, fragte er scheinheilig.

      Es dauerte einige Zeit, bis Meneas wieder etwas sagen konnte. Er stand so steif an der Wand, dass es wie angewurzelt aussah, und hätte er sich nicht nach hinten anlehnen können, hätte er das Schicksal von Idomanê geteilt, auch ohne ohnmächtig zu sein. Wer ihn genau betrachtete, der konnte feststellen, dass seine Gesichtsfarbe ungesunder aussah als die von Freno.

      Durhad und Trywfyn kümmerten sich um die Frau, die sich bald wieder regte. Tjerulf fühlte sich nach der Geisteraustreibung erschöpft und setzte sich auf eine Holzkiste, die in dem Raum stand.

      „Wir werden einige Zeit warten müssen, bis Freno wieder zu sich kommt“, erklärte er. „Bis dahin sollten wir etwas ausruhen.“

      Tjerulf hatte freiwillig nichts anderes getan als das, wozu Freno in dem Augenblick, als Trywfyn den Entführer tödlich verletzt hatte, von dessen Geist gezwungen worden war. Er hatte seinen Körper einem mächtigen Geist aus einer anderen Welt zur Verfügung gestellt.

      Es war den Geistern, denen sich der Orden von Enkhór-mûl bediente, unter gewöhnlichen Umständen nicht möglich, die Körper ihrer Opfer zu übernehmen, solange diese bei Bewusstsein waren. Freno jedoch hatte es bereits während der Entführung zur Hausruine durch die überwältigende Ausstrahlung der feindlichen Geister verloren. Daher hatte er jegliche Widerstandskraft gegen sie eingebüßt. Nachdem sie ihn dort versteckt hatten, waren zwei der Entführer zu ihren Auftraggebern, den Priestern von Enkhór-mûl, aufgebrochen, während sie einen dritten bei Freno als Wache zurückgelassen hatten. Dass Tjerulf und Meneas nur einen der Entführer vorgefunden hatten, war also kein Zufall gewesen. Sie hatten es für unmöglich gehalten, dass es Frenos Freunden gelingen würde, ihr Schlupfloch ausfindig zu machen. Was mit Freno weiter geschehen sollte, war bis dahin noch nicht entschieden gewesen, aber wären seine Freunde tatsächlich wieder umgekehrt, dann hätte die Möglichkeit bestanden, dass sie ihn wieder laufen gelassen hätten.

      In seinem Schrecken über die unerwartete Entdeckung hatte die Wache versucht, Freno umzubringen. Der Schrei, den die Freunde Frenos gehört hatten, als sie in den Keller vordrangen, war ein Schrei des Hasses und der Verzweiflung des letzten Entführers gewesen, denn diese Geister besaßen keine wesentlichen übermenschlichen Kräfte und er fühlte sich in diesem Augenblick seiner Entdeckung den Eindringlingen gegenüber unterlegen, ja er spürte sogar ein wenig Angst. Die Geister des Enkhór-mûl waren nur bedingt fähig, eigene Entscheidungen zu treffen und der hier hatte nicht recht gewusst, was er tun sollte. Einer der wichtigsten Gründe, warum der Orden sie einsetzte, war der Umstand, dass sie unter gewöhnlichen Umständen nicht getötet werden konnten. Die Geister konnten wohl ihren Körper verlieren, doch dann kehrten sie wieder in ihre Welt zurück und konnten von neuem gerufen werden.

      Als Tjerulf und die anderen das Versteck erreicht hatten und Trywfyn den Körper des Wächters tötete, war dessen Geist in seiner Verwirrung nicht geflohen, sondern in den Körper des bewusstlosen und daher widerstandsunfähigen