Reise nach Rûngnár. Hans Nordländer

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Название Reise nach Rûngnár
Автор произведения Hans Nordländer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847656753



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neue Welt eingetaucht. Ein schwaches Rauschen und Gluckern umgab sie.

      Keiner von beiden brauchte Schwimmbewegungen machen. Nur gelegentlich mussten sie sich vom Ufer abstoßen. Die Strömung trug sie mit gemächlicher Geschwindigkeit dahin. Das sparte Atemluft und möglicherweise wäre sie Nils sonst auch bald ausgegangen.

      Seit sie den überbauten Teil des Flusslaufes verlassen hatten, war der Untergrund sandig. Das steinerne Flussbett unter der Burg war künstlich angelegt worden. Zweimal trieben sie durch kleine Beete von Wasserpflanzen und einmal glaubte Nils den dunklen Schatten eines Fisches neben sich zu erkennen. Er bewegte sich nicht und Nils glitt an ihm vorbei, ohne dass er die Flucht ergriff.

      Schließlich spürte Nils den zunehmenden Mangel an Atemluft und kurz bevor er ihn zum Auftauchen zwang, wurde es schwarz um ihn. Vor Schreck vergaß er für kurze Zeit die Atemnot, bis er gegen Narvidur stieß, der mitten im Flussbett stand. Der hatte schon damit gerechnet und sich so hingestellt, dass Nils ihn nicht umwerfen konnte. Narvidur packte Nils am Kragen und zog ihn aus dem Wasser. Nils prustete und schnappte nach Luft.

      „Leise!“, fuhr der Rûngori ihn flüsternd an. „Wir sind immer noch in Hörweite zum Lager.“

      Nils versuchte, etwas leiser zu schnaufen.

      „War es so schlimm?“, fragte Narvidur. „Immerhin, du hast die Sache gut gemacht. Wenn sie uns jetzt nicht hören, sind wir in Sicherheit. Sehen können sie uns hier nicht mehr.“

      „Wirklich?“, fragte Nils außer Atem.

      „Wenn ich es dir sage.“

      „Ich glaube, das war das aufregendste Abenteuer, das ich je erlebt habe.“

      „Das bisschen Tauchen?“, wunderte sich Narvidur.

      „Quatsch. Die Burg und das alles.“

      „Wir sind noch nicht am Ziel.“

      „Was heißt das denn?“, fragte Nils, und er hörte sich nicht mehr ganz so erleichtert an. „Wohin geht es denn jetzt noch?“

      „Deine Frage erstaunt mich. Willst du bis an dein Lebensende hier im Wasser stehenbleiben?“

      „Ach so, nein, natürlich nicht. Ich dachte, du wolltest mich wieder in Todesgefahr bringen. Aber hier bleiben, nein, das will ich auch nicht. Eigentlich möchte ich ganz gern wieder nach Hause.“

      „Alles zu seiner Zeit. Lebensfreude – Todesangst, Fremde – Heimat, Unbekanntes – Bekanntes, Freunde – Feinde, Freude – Trauer, Zorn – Liebe, trockene Kleidung – nasse Kleidung. Alles zu seiner Zeit.“

      „Was soll das denn schon wieder?“, fragte Nils. Falls es tiefgründig gemeint war, fand er es ziemlich misslungen.

      „Es ist, mit wenigen Worten, der Kern unseres Daseins, vielleicht ein wenig Durcheinander und wohl auch ziemlich vereinfacht. Eine kleine philosophische Abhandlung auf die Schnelle. Das kannst du vielleicht einmal aufschreiben. Du schreibst doch, nicht wahr?“

      Nils sah Narvidur verständnislos an.

      „Ich? Weiß ich doch nicht. Vielleicht, ja, aber wie kommst du jetzt darauf?“

      „Na ja, das ist jetzt auch gleichgültig. Jedenfalls hast du mir Unrecht getan. Du tust gerade so, als hätte ich dich in Gefahr gebracht. Ohne mich säßest du, wenn du weniger Glück gehabt hättest, immer noch in dem Kerkerraum und würdest auf deine Hinrichtung warten, die vielleicht niemals kommen würde. Nun lass uns weitergehen. Mir wird kalt.“

      Das empfand Nils schon eine ganze Weile und er war froh, dass sie jetzt endlich das Wasser verlassen konnten.

      Es stimmte wohl, dass Narvidur keine Schuld daran hatte, dass er in dem Kerker gelandet war, aber ohne ihn wäre Nils auch nicht in die Auseinandersetzungen geraten. Wahrscheinlich hätten ihn die Bergkrieger trotzdem aus dem Kerker befreit, schließlich wussten sie ja nicht, wer da drinnen saß. Andererseits, das musste Nils einräumen, war alles andere als klar, was sie dann mit ihm gemacht hätten.

      Auf dem Ufer blieb Narvidur stehen und sah sich um. Erst jetzt fiel Nils auf, dass die Augen des Rûngori erloschen waren. War die Gegend vielleicht doch nicht so sicher, wie er behauptet hatte, und er wollte nicht auffallen? Dann verstand Nils aber nicht, warum er bereit war, so lange im Wasser zu plaudern. Dafür gab es wahrhaftig angenehmere Orte. Wie dem auch war, Nils hoffte, dass sich wenigstens feindliche Krieger auf diese Weise verraten würden. Und – der Zustand der Augen eines Rûngori erschien Nils ein Zeichen für die Sicherheit seiner Umgebung zu sein, und das war gut zu wissen. Doch jetzt war es noch besser zu wissen, dass sie noch nicht in Sicherheit waren.

      „Hier entlang“, sagte Narvidur und marschierte los.

      Narvidur hatte behauptet, dass sie noch nicht am Ziel waren. Damit hatte er Recht. Während Nils jedoch glaubte, es handelte sich um das Ziel für diesen Tag, meinte der Rûngori es ganz anders. Das Ziel, von dem er gesprochen hatte, lag noch in weiter Ferne, und würde nicht ohne weitere Gefahren zu erreichen sein. Nils hätte es gewusst, wenn er im Vollbesitz seiner Erinnerung gewesen wäre.

      Der Pfad war wirklich nicht sehr breit, also wie man es von einem Fluchtweg erwarten konnte. Immer wieder schlugen Nils Zweige ins Gesicht. Glücklicherweise ging Narvidur nicht sehr schnell. Vielleicht war es aus Vorsicht, vielleicht nahm er auch auf ihn Rücksicht. Auf jeden Fall musste der Rûngori jetzt genauso schlecht sehen können wie Nils, wenn es stimmte, was er in der Kerkerzelle gesagt hatte. Vielleicht sah er aber mit erloschenen Augen immer noch besser als Nils. Das ist doch sinnloses Zeug, dachte er, achte lieber auf den Weg.

      Ein Mond war immer noch nicht aufgegangen und so mussten sie sich mit dem Licht der Sterne begnügen. Ein Blick auf den Pfad war zwecklos. Dort war alles schwarz und kein Unterschied zum Waldboden. Aber Nils behalf sich damit, dem hellgrauen Band zwischen den Baumkronen zu folgen, durch das einige Sterne funkelten. Erstaunlich, dass die Bäume den Weg nicht überdachen, wo er doch so schmal ist, fand Nils.

      Der Pfad verlief überhaupt nicht gerade. Er schlängelte sich in beachtlich vielen Kurven durch den Wald. Nur selten erkannte Nils den Schatten eines Baumes, wenn der Stamm, nur wenig heller als die Umgebung, genau am Wegrand stand. Dafür waren die Wipfel deutlich in Bewegung und leiser Wind rauschte durch sie hindurch. Je mehr seine Kleider dabei trockneten, desto deutlicher empfand er die milde Luft im Wald und desto besser fühlte er sich, obwohl ihm immer noch kalt war.

      Sie waren nicht allein. Gelegentlich hörten sie ein Knacken und Rascheln oder gar ein hastiges Rauschen nahe am Wegrand. Nils konnte sich kaum vorstellen, was für Tiere es waren und hoffte, dass es wirklich nur Tiere waren, Tiere, die auch so aussahen, wie gewöhnliche, richtige Tiere, aber es waren auf jeden Fall mehr als im Reservat.

      Und wieder zog sich ein Weg endlos hin. Das wurde ein Teil seines Schicksals, der Nils begleitete, so lange er in dieser Welt war.

      4. Im Versteck der Verschwörer

      Nachdem sie einige Zeit unterwegs waren – Nils wusste zwar, dass ihn sein Zeitgefühl in dieser Welt schon mehrmals im Stich gelassen hatte, aber er rechnete doch mit einigen Stunden – blieb Narvidur plötzlich vor ihm stehen. Nils blickte an ihm vorbei und erschrak. Nicht weit vor ihnen leuchteten zwei türkisfarbene Augenpaare in der Dunkelheit. Nils ergriff unwillkürlich das Heft seines Schwertes und wollte es schon ziehen, als er die beruhigenden Worte des Rûngori hörte.

      „Lass es stecken. Du zerschneidest dir nur deinen Gürtel. Es sind meine Freunde, die mich hier erwarten. Aber immerhin, deine Reaktion auf eine mögliche Gefahr ist beachtlich. Du hast schnell gelernt. Sehr gut.“

      Nils begriff nicht, dass Narvidurs Äußerung einen tieferen Sinn hatte. Er kam aber nicht mehr dazu, sich darüber Gedanken zu machen, denn Worte in einer fremdartigen Sprache nahmen seine Aufmerksamkeit in Anspruch.

      „Mori tha ino“, sagte Narvidur laut.

      „Tho tehamo en ge ino”, lautete die Antwort.

      „Lo ge Narvidur heim Nils Holm. Kahente em