Reise nach Rûngnár. Hans Nordländer

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Название Reise nach Rûngnár
Автор произведения Hans Nordländer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847656753



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Steppenkriegern im Bunde stehen. Nils ahnte natürlich nichts davon und für Narvidur war es noch nicht an der Zeit, ihn einzuweihen. Deshalb kam ihm Nils´ Zusammenbruch ganz gelegen. Es war unwahrscheinlich, dass Nils sich nach diesem grausamen Erlebnis, wenigstens für ihn, noch über den Ausruf des Kriegers Gedanken machte, wenn er wieder zu sich kam.

      Narvidur hatte auch mit diesem besser gerüsteten Krieger keine Schwierigkeiten gehabt, und so konnte er noch den Ausgang des Kampfes von Nils beobachten. Auch wenn Nils es anders gesehen hätte, so erkannte Narvidur, dass der Junge bemerkenswert viel kämpferisches Können bewiesen hatte, und das schon bei seinem zweiten ernsthaften Gefecht. Jetzt wandelte sich seine anfängliche Enttäuschung in eine verhaltene Zuversicht.

      Narvidur wusste, wo Nils diese Fähigkeiten erworben hatte. Sie mussten nur wiedererweckt werden. Vielleicht war es doch gut, dass Nils´ Weg ihn zuerst und unter diesen Umständen in die Burg geführt hatte. Der Nutzen konnte größer sein, als Narvidur geahnt hatte.

      Nils´ Ohnmacht war nur von kurzer Dauer. Nachdem Narvidur seinen Arm verbunden hatte, begann er sich schon wieder zu regen. Er schlug die Augen auf und blickte ein wenig verwirrt um sich. Narvidur reichte ihm einen Becher mit Wasser. Dann erinnerte sich Nils.

      „Ist es eine schwere Wunde?“, fragte er. „Ich spüre nur wenig Schmerz.“

      „Halb so schlimm“, beruhigte ihn Narvidur. „Wie fühlst du dich? Kannst du gehen? Wir dürfen nicht lange hierbleiben. Ich wundere mich, dass durch unseren Kampf niemand aufmerksam wurde.“

      „Warum haben sie uns überhaupt angegriffen“, wunderte sich Nils. „Ich dachte, als Bergkrieger sind sie Menschen eher geneigt, und dass du zu ihnen gehörst.“

      „Keinesfalls. Mich mögen sie genauso wenig leiden wie die Steppenkrieger. Aber den Grund erkläre ich dir später. Und du warst in der falschen Begleitung. Nur so viel, ich gehöre einem anderen Volk an.“

      Nils erhob sich und Narvidur half ihm dabei. Zuerst stand er ein wenig schwankend, aber das änderte sich schnell. Der Rûngori reichte ihm – wieder einmal – sein Schwert. Nils rechter Arm mit seiner »Schwerthand« war zum Glück nicht verletzt worden.

      „Ich kann es dir nicht ersparen“, bedauerte Narvidur halbherzig. „Wir sind noch nicht draußen.“

      Nils nickte. Das sah schon fast kaltblütig aus, zumindest einigermaßen entschlossen. Nils hatte begonnen, eine für ihn unerwartete und unbewusste, von Narvidur jedoch erhoffte Wandlung durchzumachen, und Narvidur wusste, sie stand erst an ihrem Anfang. Allmählich konnte er zufrieden mit ihrer Entscheidung sein. Das war nicht immer so gewesen.

      Sie verließen die Burg nicht durch einen der gewöhnlichen Ausgänge, wie Nils angenommen und Narvidur es eigentlich vorgehabt hatte. Aber die Ereignisse zwangen ihnen einen eher unüblichen Weg auf, und dabei halfen ihnen Narvidurs genaue Kenntnisse über die Burg.

      Sie waren noch nicht weit gekommen, als sie einen weiteren Angriff abwehren mussten. Es war jedoch nur ein einzelner Bergkrieger und Narvidur hatte leichtes Spiel mit ihm. Da sie sich aber nicht mehr weit entfernt von der großen Eingangshalle befanden, mussten sie damit rechnen, dass es ganz in der Nähe weitere Bergkrieger gab, die den Kampf gehört hatten. So schnell sie konnten, liefen sie den Flur wieder zurück, bis dahin, wo er abknickte. Hier befand sich eine Tür. Narvidur überzeugte sich, dass der Raum dahinter leer war. Als beide drinnen waren, versuchte er, die Tür zu schließen, aber sie klemmte. So musste sie einen Spalt breit offen bleiben.

      „Dort! Zum Regal!“, sagte Narvidur.

      Es füllte die ganze gegenüberliegende Wand aus und reichte bis an die Decke. Das Regal war angefüllt mit Büchern und Nils fragte sich, wie Narvidur in ihrer Lage die Nerven haben konnte, sich die Bücher so genau anzuschauen. Langsam ging der Rûngori an ihnen vorbei. Nils blickte voller Unbehagen zur Tür, aber wider Erwarten wurden sie noch nicht verfolgt, nicht einmal Schatten waren auf dem Flur zu erkennen.

      Nils drehte sich gerade im rechten Augenblick um, um zu sehen, wie ein Teil des Regals zur Seite schwenkte. Das war es also. Narvidur hatte eine weitere Geheimtür gesucht. Dahinter lag eine Wendeltreppe, die nach oben und unten führte.

      „Nach unten!“, befahl Narvidur, als Nils eingetreten war.

      Er schloss die Tür von innen und folgte ihm. Der Aufgang mit der Wendeltreppe musste in der Außenmauer der Burg liegen, denn es gab einige Aussparungen in der Wand, die etwas Licht hineinließen.

      „Die Herrscher hier müssen sehr ängstlich gewesen sein“, fand Nils.

      Er bekam aber keine Antwort von Narvidur.

      „Wie weit ist es noch?“, fragte Nils, als die Stufen kein Ende nehmen wollten.

      „Gleich sind wir da.“

      Und tatsächlich dauerte es nur noch wenige Augenblicke. Narvidur blieb stehen. Die Treppe führte noch weiter.

      „Bis wohin geht sie?“, fragte Nils.

      „Bis in den Kerker.“

      „Wenn das so ist – äh – dann sollten wir sie hier verlassen.“

      Narvidur lächelte.

      „Das“, sagte er feierlich, „ist auch meine Absicht. Ich bin aber nicht sicher, ob es hier wirklich besser ist.“

      Vorsichtig öffnete der Rûngori eine weitere Geheimtür, vor der sie standen. [Wie man sieht, verfügte die Burg über eine ganze Reihe geheimer Tunnel, Treppen und Türen. Und das passte zu den ursprünglichen Erbauern, zu denen Dyrgorn jedoch nicht mehr gehörte, es aber auch schon nicht vor seinem Tod getan hatte.]

      Narvidur steckte kurz seinen Kopf hinaus, zog ihn schnell wieder zurück und schloss die Tür. Er legte einen Zeigefinger auf die Lippen. Es war die Aufforderung zu schweigen, wie sie auch bei den Rûngori gebräuchlich war. Nils horchte. Zuerst leise, dann lauter und wieder verschwindend, hörte er die Schritte und die Stimmen von Männern. Als sie fort waren, erklärte Narvidur:

      „Bergkrieger. Vermutlich durchsuchen sie die Burg nach versprengten Steppenkriegern. Es wird einige Suchtrupps geben. Aber gleich haben wir es geschafft.“

      „Das hast du schon ein paar Mal versprochen“, erinnerte ihn Nils.

      „Ich weiß.“

      Jetzt war der Flur frei. Unangefochten erreichten sie die Burgküche. Nils´ Augen begannen zu leuchten (nicht hellgrün, aber vor Freude). Auf dem Zubereitungstisch lagen ein Braten und zwei Rauchwürste, und alles unberührt. Es sah ganz so aus, als waren die Köche mitten in ihrer Arbeit von dem Überfall überrascht worden und geflohen. Allerdings erschien es unwahrscheinlich, dass bereits Bergkrieger in der Küche gewesen waren, denn das hätte das Essen kaum unversehrt überstanden. So erlebte Nils seinen ersten angenehmen Augenblick in dieser Burg. Narvidur verriegelte die Tür hinter ihnen.

      „Nimm ruhig“, sagte er. „Du wirst hungrig sein. Vielleicht lassen sie uns wenigstens in Ruhe essen.“

      Narvidur riss sich ebenfalls ein Stück Fleisch ab. Nils steckte die beiden Würste in seine Jacke.

      „Für später.“

      Die Eroberer kamen schneller auf ihre Spur, als sie befürchtet hatten. Plötzlich bewegte sich der Türgriff und als sich die Tür nicht öffnen ließ, klopften die Krieger unüberhörbar dagegen und forderten sie laut auf, sie zu entriegeln. Es verwundert nicht, dass Nils und Narvidur nicht geneigt waren, ihrem Wunsch nachzukommen. Nach einer kurzen Ruhe, in der die Bergkrieger schweres Werkzeug besorgten, begannen die Krieger, die Tür einzuschlagen.

      Davon hörten die beiden Flüchtigen schon nichts mehr. Narvidur hatte einen geschickten Plan in die Tat umgesetzt.

      In einer Ecke der Küche befand sich ein Brunnen, aus dem Wasser geschöpft werden konnte. Es war vielleicht ein etwas ungewöhnlicher Ort für eine solche Einrichtung, aber zweifellos ein zweckmäßiger. Und dieser Brunnen war groß genug, um Menschen und Rûngori aufzunehmen.

      „Dort hinein!“, befahl Narvidur nach den ersten