Eine schwierige Familie. Elisa Scheer

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Название Eine schwierige Familie
Автор произведения Elisa Scheer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783737583329



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herein, dem mächtigen Kopf zufolge wohl ein Kater. Er musterte die versammelten Gäste arrogant, sprang dann auf ein halbhohes Regal, ließ sich nieder, zog die Vorderpfoten unter sich und behielt die Anwesenden schläfrigen Blickes im Auge.

      „Süß“, sagte Fritzi. „Aber kraulen tu ich den nicht, das vorhin hat mir gereicht.“

      Offenbar hatte das Rufen Erfolg gehabt; Raben kehrte zurück und hatte eine junge Frau im Schlepptau. Sie trug schwarze Jeans und einen grauen Blazer, darunter eine ebenso schwarze Bluse, und sah sich mürrisch um. Der hellbraune Bob hing leblos herab, die blauen Augen waren misstrauisch zusammengekniffen. Sie sah Raben nicht unähnlich, wirkte aber unfreundlich und deprimiert. Angewidert setzte sie sich neben Raben auf das freie Sofa und strich mechanisch über ihre Hosenbeine.

      Das wiederum verstand der graue Kater offenbar als Aufforderung, er sprang geschmeidig vom Regal und auf ihren Schoß. „Iih!“, kreischte sie sofort los, „hau ab, du Vieh. Glaubst du, ich will alles voller Katzenhaare haben? Sollen die in der Firma denken, ich bin auch so eine Catlady?“ Sie schubste den Kater auf den Boden, der sie anfauchte und auf das Regal zurückkehrte.

      „Paula, jetzt gibt es wirklich Wichtigeres!“, mahnte Raben.

      „Ach, meinst du? Ich finde es schon wichtig, nicht so auszusehen, dass ich meinen Job verliere. Wäre doch schön, wenn hier wenigstens einer Geld verdient, oder?“

      Raben öffnete den Mund, um zu widersprechen, beschloss dann aber offenbar, dass es sich nicht lohnte. Also sagte er nur: „Ludwig ist tot.“

      „Ach.“

      Sophie fand die Antwort auch bei einer so farblosen Person etwas unzureichend.

      „Mehr hast du nicht zu sagen?“, fuhr Raben seine jüngste Schwester an. Die zuckte ungerührt die Achseln. „Was soll ich sagen? Wovon hat er denn zuviel erwischt?“

      „Was wissen Sie denn über Ihren Bruder?“, versuchte Reuchlin das Heft wieder in die Hand zu bekommen.

      „Wenig. Ganz ehrlich, er hat mich nicht besonders interessiert. Er hat ja noch nie irgendwas auf die Reihe gekriegt. Seine letzte Leistung war das mieseste Abi seines Jahrgangs. Vier Studiengänge angefangen und abgebrochen, keinen Job durchgehalten, sitzt mit Mitte dreißig immer noch hier rum, in dieser Siffbude…“

      Das konnte Sophie zwar nachvollziehen, aber ungerecht fand sie es doch – wieso räumte sie die „Siffbude“ denn nicht mal auf? Und war sie nicht auch mächtig zu alt, um immer noch hier zu wohnen?

      „Sie wohnen doch auch hier?“, gab Reuchlin prompt zurück.

      „Das ist ja wohl was anderes!“, schnappte Paula sofort.

      „Ach ja? Wieso?“, fragte Sophie nun doch.

      „Sind Sie auch von der Polizei?“

      „Nein. Ich bin Sophie Rauch.“

      „Kenn ich nicht.“

      „Paula, sei nicht so muffig. Frau Rauch und ihre Schwester sind meine Gäste, Friederike Rauch ist meine Studentin.“

      „Ach was! Und was geht es die dann an, warum ich hier wohne?“

      „Vielleicht hätte sie es nur interessiert – hast du nicht eben von einer Siffbude gesprochen? Du könntest dir doch echt was Eigenes nach deinem Geschmack suchen.“

      „Ach – und das Feld den anderen beiden überlassen? Okay, jetzt ist es bloß noch eine.“

      „Ganz schön kaltschnäuzig“, kam es von Frau Kramer, die dann den Kopf hob und Paula böse angrinste. „Ich bin von der Polizei. Ich darf das. Und was Sie so von sich geben, bringt einen ja doch zum Nachdenken.“

      „Wieso? Das hier ist unser gemeinsames Elternhaus, also habe ich ein Recht, hier zu sein. Nicht nur die beiden Loser. Die wohnen hier für lau und ich zahle irgendwo mordsmäßig Miete? Fällt mir gar nicht ein.“

      Frau Kramer nieste heftig und warf dem grauen Kater einen bösen Blick zu.

      „Dann könntest du ja auch mal aufräumen, wenn du dich schon über die Siffbude aufregen musst“, schnauzte Raben seine Schwester an.

      „Ich? Wieso ich? Die anderen machen hier doch auch nichts. Putz du doch!“

      „Ich führe hier doch kein Hotel für euch!“

      „Könnten Sie Ihre Streitereien vielleicht aufschieben, bis wir mit dieser Befragung fertig sind?“ Reuchlin wurde allmählich hörbar ärgerlich.

      Sophie gab ihm im Stillen Recht – ganz schön kindisch für Leute in den Dreißigern (oder doch fast).

      „Also, wissen Sie, welche Drogen Ihr Bruder genommen hat?“

      Desinteressiertes Achselzucken. „So rosa Dinger, glaube ich. Er hat mal eins in der Hand gehabt und überlegt, wie die Katzen wohl reagieren, wenn er denen was davon gibt.“

      „Was? Stell dir vor, wenn Conny das mitgekriegt hätte, die hätte ihn ungespitzt in den Boden gerammt!“ Raben war ehrlich entsetzt.

      „Er hat´s ja nicht gemacht. Wahrscheinlich ist ihm eingefallen, dass die Dinger nicht so billig sind. Hat er sie sich lieber selber reingepfiffen.“

      „Wie hat er seine Sucht wohl finanziert?“ Reuchlin ließ nicht locker.

      „Keine Ahnung. Wahrscheinlich hat er geklaut.“

      „Paula!“

      „Na, was denn? Gearbeitet hat er nicht, irgendwo muss er seine rosa Dinger, sein Gras und alles andere doch hergekriegt haben. Also? Vermisst du nichts?“

      „Woher soll ich das wissen? Im Arbeitszimmer fehlt nichts, glaube ich.“

      „Und woanders? Wo du nicht abschließen kannst?“

      Raben zuckte die Achseln. „Keine Ahnung. Aber hier gibt´s doch nichts, was irgendwie von Wert wäre.“

      Das Haus eingeschlossen, dachte Sophie, die jetzt liebend gerne zu Hause gewesen wäre. Mensch Fritzi, da hast du uns ja was eingebrockt

      „Ich sperr jedenfalls mein Zimmer ab. Meinen Kram möchte ich gerne behalten“, insistierte Paula und warf einen giftigen Blick in die Runde.

      „Wen verdächtigen Sie denn noch des Diebstahls?“, fragte Reuchlin, sichtlich erheitert.

      „Weiß man´s?“ Sie ließ ihren Blick auf Sophie und Fritzi ruhen. Sophie grinste sie böse an, und Raben empfahl seiner Schwester, sich nicht noch lächerlicher zu machen als unbedingt nötig.

      Sie wollte daraufhin gerade aufstehen, um beleidigt hinauszurauschen, als die Tür aufflog und eine eher pummelige Frau in Jeans, Kapuzenshirt und Gummistiefeln auf der Schwelle stand, in der Hand einen Katzenkorb, der von innen hörbar einer Zerreißprobe ausgesetzt wurde.

      „Ja doch, Tatzi!“ Die Stimme war mit Paulas identisch. Conny – um sie musste es sich handeln, folgerte Sophie – bückte sich, öffnete das Gittertürchen und heraus schoss eine magere rötliche Katze und galoppierte quer durchs Zimmer.

      Es gab einen gewaltigen Schlag und Fritzi kreischte auf, als ihr eine Tasse, in der sich ein Rest tagealter Milchkaffee befunden hatte, aufs Bein fiel.

      „Conny!“

      „Was denn? Ich kann doch Tatzi nicht ewig im Korb lassen!“

      „Dann pass doch wenigstens auf das graue Untier auf“, murrte Raben. Reuchlin ließ seine Blicke hin und her wandern und schien zu überlegen, ob diese Familie echt sein konnte. Sophie war sich da selbst nicht ganz sicher, während sie ihrer Schwester ein Reinigungstuch in die Hand drückte.

      „So empfindlich?“, höhnte Conny sofort.

      Auch nicht sympathischer als die andere Zicke, dachte Sophie.

      „Was heißt hier empfindlich?“, fauchte Fritzi. „Der uralte Siff aus dieser dreckigen Tasse stinkt zum Gotterbarmen!