Название | Eine schwierige Familie |
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Автор произведения | Elisa Scheer |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783737583329 |
„Haben Sie sie großgezogen?“
„Bitte? Nein, nein. Unsere Eltern sind nach Wien gezogen, vor drei Jahren, seitdem passe ich ein bisschen auf sie auf, mehr nicht. Wie ist das bei Ihnen?“
Er seufzte wieder und wirkte wirklich ganz schön müde, fand Sophie. Regelrecht erschöpft. „Unsere Eltern sind schon vor Jahren gestorben – da waren die Kinder zwischen fünfundzwanzig und achtzehn. Und irgendwie ist es mir nicht gelungen, sie auf eigene Füße zu stellen.“
Fritzi kam zurück, mit einer weiteren, sehr salzigen Riesenbreze und einer Eiswaffel. Sophie schauderte: „Das willst du alles noch essen? Wird dir nicht langsam schlecht?“
„Das ist doch nicht für mich!“ Fritzi war entrüstet und reichte die Breze mit großer Geste ihrem verehrten Dozenten.
Der bedankte sich erfreut und Sophie versuchte, ihn nicht kritisch zu mustern, denn er sah nicht nur ziemlich müde aus, sondern durchaus auch etwas übergewichtig. Eine versalzene Breze zum Bier war da eigentlich nicht ganz das Richtige – aber der Mann war erwachsen und sie hatte sich da nicht einzumischen.
Raben riss ein Stück von der Breze ab und aß, von Fritzi mit mütterlich-beifälligem Blick bedacht. Er lächelte beiden Schwestern etwas schwächlich zu und fragte: „Was machen Sie beruflich – Frau Rauch?“
„Ich bin Unternehmensberaterin“, antwortete Sophie, fest davon überzeugt, dass er sich mit Ekel abwenden würde. Hatten die Geisteswissenschaftler nicht alle ein etwas gespanntes Verhältnis zu wirtschaftlichen Überlegungen?
„Interessant“, war die unerwartete Antwort. „Und was tun Sie da zur Zeit? Oder ist so etwas geheim?“
„Ach nein – solange ich keine Namen nenne? Im Moment geht es um einen nicht unbedeutenden Einzelhändler, der wegen der Internet-Konkurrenz kurz vor der Pleite steht. Wir erarbeiten für ihn ein Konzept, wie er ebenfalls am Internet partizipieren kann, und strukturieren seinen Betrieb so um, dass sein Personal effektiver arbeitet. Wir denken, wir können den Laden retten.“
„Das klingt sehr erfreulich“, lobte Raben. „Man denkt ja immer, Unternehmensberater seien herzlose Geldzähler, aber da sieht man wieder, wie falsch solche vorschnellen Urteile sind… Sind Sie selbstständig oder arbeiten Sie bei einer Firma?“
„Nein, selbstständig möchte ich gar nicht sein. Ich arbeite bei Restorff Consulting. Sehr angenehmes Betriebsklima.“
„Restorff?“, überlegte Raben. „Restorff? Den Namen kenne ich doch? Ist er nicht mit Melanie Seeger verheiratet, der Kriminalschriftstellerin?“
„Ja, das stimmt. Sie lesen Kriminalromane? Nicht nur hochwertige Literatur?“
Raben lachte kurz auf. „Halten Sie diese Unterscheidung für sinnvoll? Es gibt Kriminalromane, die hohe Literatur sind!“
„Poe“, warf Fritzi ein, die sich offenbar vernachlässigt fühlte. „Und Schiller.“
„Verbrecher aus verlorener Ehre“, nickte Raben, „sehr gut, Friederike. Aber natürlich hat die deutsche Literatur da leider nicht die gleiche glorreiche Tradition wie die angelsächsische.“
„Dorothy Sayers“, murmelte Sophie, „Agatha Christie. Conan Doyle.“
„Sherlock Holmes!“, krähte Fritzi. „Die Filme sind absolut geil! Sophie, kennst du den, wo dieser süße Schauspieler bloß ein Laken anhat und so in den Buckingham Palace geschleppt wird, und dann fällt das Laken runter?“
Sophie verdrehte die Augen zum Himmel. „Fritzi, wie alt bist du? Dreizehn?“
Raben amüsierte sich sichtlich. „Jugendliche Begeisterungsfähigkeit! Wenn meine Geschwister davon etwas hätten, wäre ich nur zu froh. Übrigens habe ich zu Hause neben interessanten Dramenausgaben aus dem 18. Jahrhundert auch eine Erstausgabe von Dorothy Sayers´ „Strong Poison“. Nicht unbedingt sehr wertvoll, aber doch sehr sehenswert… Würden Sie sie gerne einmal sehen?“
Sophie wollte schon ausweichend antworten, aber dann fiel ihr der intensive Blick Rabens auf: Er wollte wirklich, dass sie sich diese Erstausgabe ansah… egal, sie hatte ja sonst nichts vor, und Fritzi strahlte bei dem Gedanken, das Haus des verehrten Lehrers von innen zu sehen.
„Gerne“, sagte sie also mehr höflich als ehrlich, „das klingt tatsächlich interessant.“
„Au ja! Was haben Sie denn da für Dramenausgaben?“
„Eine ganze Menge seltener Texte aus dem 18. und 19. Jahrhundert, auch Triviales, zum Teil mit recht merkwürdigen Abbildungen; Sie dürfen sich gerne einmal umschauen.“
„Dann machen wir das doch gleich, wenn alle ausgetrunken haben!“, schlug Fritzi mit funkelnden Augen vor.
„Fritzi!“, mahnte Sophie leise. „Nicht so penetrant!“
„Entschuldigung“, sagte Fritzi sofort. „Nerve ich Sie, Herr Dr. Raben?“
Der lachte wieder. „Aber nein! Ich habe es vorhin schon Ihrer Schwester gesagt, ich genieße diese Lebendigkeit. Kein Vergleich mit meinen Geschwistern.“ Er trank aus und schob seinen Krug weg. Fritzi sprang sofort auf. „Fertig? Dann aber los!“
Sie fuhren hinter Raben her, ziemlich lange. Sophie begann schon zu überlegen, wo zum Henker der Kerl eigentlich wohnte – zur Autobahn, dann nach Norden über die Leiß: Da war doch gar nichts mehr? Bloß noch Pampa…
Nach der Brücke fuhren sie wieder nach rechts und an einem großen unbebauten Grundstück vorbei. Dann kam eher naturbelassenes Land mit verwilderten Sträuchern und ins Kraut geschossenen Bäumen, sie passierten ein Tor, an dessen Flügeln etliche Latten fehlten, und kurvten eine längere Auffahrt entlang.
„Hat der ein Schloss oder was?“, wunderte sich Sophie.
„Warum nicht? Immerhin ist er von Stand, wie man in der Aufklärung sagte“, antwortete Fritzi stolz.
„Was meinst du damit?“
„Dass er von Adel ist! Du weißt aber auch gar nichts, Sophie!“
„Ich lebe eben im Hier und Jetzt“, schoss Sophie zurück und bremste ab, weil Raben vor einem großen, ältlichen Haus stehengeblieben war. „Du kannst dafür keinen Internetauftritt so gestalten, dass eine Firma wieder lebensfähig wird. Und, ist er ein Graf oder sowas?“
„Nö“, gab Fritzi ärgerlich zu. „Bloß ein von.“
„Wahnsinn!“, spottete Sophie. „Echt ein Grund, auszuflippen.“
„Du bist doof“, fauchte Fritzi und stieg aus. Sophie folgte ihr und sah sich um. Das Haus hatte es dringend nötig, fand sie. Bestimmt fünfzig Jahre hatte hier niemand mehr etwas gemacht – von den Fensterrahmen blätterte die Farbe ab, die Rankgitter neben der Haustür waren rostig, an der Fassade sah man die Wasserspuren.
Während Sophie im Geiste zu einem Eimer Farbe griff, war Fritzi hingerissen. „Wie alt ist das Haus denn?“
Raben seufzte. „Ziemlich alt, was? Und schlecht in Schuss. Aber direkt historisch ist es auch nicht. Etwas farbloser Jugendstil… 1909 haben es meine Urgroßeltern gebaut, anstelle eines anderen, das abgebrannt ist.“
„Ich finde es toll“, beharrte Fritzi. „Ich wohne ja auch in einem Altbau, hinter der Uni, aber so schön ist das Haus nicht – und ich habe auch bloß ein WG-Zimmer. Sophie ist da ja so richtig prosaisch, die wohnt in einem weißen Würfel.“
„Vorsicht, Schätzelchen“, warnte Sophie, „das nennt man Bauhaus-Stil. Auch wenn 2009 nicht direkt Original-Bauhaus ist.“
„Genau hundert Jahre Unterschied“, stellte Raben fest. „Manchmal hätte ich auch gerne etwas Neueres. Mit einer richtigen Heizung, dichten Fenstern und einem kleinen Garten…“
Er wollte die Haustür aufschließen und stellte fest, dass sie nur eingeklinkt war. Seufzend