Название | Ein Haus mit Vergangenheit |
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Автор произведения | Elisa Scheer |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783737552776 |
„Gut, ich kaufe mir auf dem Weg ins Büro statt einem zwei Plunderteilchen, ja?“
„Wie kann man so dünn sein, wenn man sich nur von solchem Mist ernährt? Du solltest mehr Obst und Gemüse - “
„Mama, willst du mir eine Diät empfehlen? Von Obst und Gemüse lege ich bestimmt nicht zu.“ Ich grinste vergnügt vor mich hin, mich störte mein geringes Gewicht bestimmt nicht.
„Aber woher kann das nur kommen?“
„Vielleicht habe ich einen Bandwurm“, schlug ich vor, aber das hätte ich besser gelassen, denn Mama war drauf und dran, mich gleich morgen früh zum Arzt zu jagen, um diesen Bandwurm entfernen zu lassen.
„Ach, Mama, das war ein Witz! Vielen Dank für den Unterricht, und jetzt gehe ich unter die Dusche und dann ins Bett, noch ein bisschen in der Abizeitung lesen.“
„Na gut, Babsi – aber du musst wirklich mehr essen!“
Ich winkte ihr zu, ohne das noch einer Antwort zu würdigen, und verschwand im Keller. Herrlich, so eine ausgiebige heiße Dusche! Leider gab es in diesem popligen Gästebad keinen anständigen Spiegel, so dass ich meine Figur nur portionsweise begutachten konnte. Ging doch, fand ich. Viel Busen hatte ich noch nie gehabt, und was nicht da war, konnte auch nicht hängen – alte Binsenweisheit, die Schwerkraft hing schließlich von der angezogenen Masse ab. Gut, wenn ich den Bauch auch nur ein bisschen einzog, konnte ich meine Rippen zählen, und auf dem Rücken (ich nahm einen Handspiegel zu Hilfe) sah man jeden Wirbel und die hervorstehenden Schulterblätter. Hervorstehende Hüftknochen waren etwas Gutes, hervorstehende Rückenwirbel nicht. Ich ballte die Faust und winkelte den Arm an. Muskeln hatte ich, kein Wunder, wenn man dauernd etwas herumschleppen musste! Insgesamt stellte ich fest, ich musste wirklich ein paar Kilo zunehmen, auch damit meine frisch gewaschenen Jeans wieder passten – es hatte nicht nur an ihrem ausgeleierten Zustand gelegen. Ich nahm mir vor, morgen früh ganz leise noch mal auf die Waage zu schleichen.
Jetzt cremte ich mich erst einmal sorgfältig ein, zog ein Sleepshirt über und verzog mich ins Bett. An wen konnte ich mich überhaupt noch erinnern von unserem Jahrgang?
Anette – die wollte doch Gynäkologin werden? Sie war immer furchtbar ernsthaft und streberhaft gewesen; sie spielte nicht Schiffe versenken in den Geschichtsstunden. Dieser öde Grundkurs! Da kam mir eine gute Idee – ich kreuzte alle an, die Geschichte Leistungskurs genommen hatten. Mit Mathe und Wirtschaft war ich damals ziemlich aus dem Rahmen gefallen, dazu noch Französisch und Kunst.
An Nora konnte ich mich noch vage erinnern. Die hatte ziemlich gesponnen. Hatte sie nicht irgendwo auf dem platten Land gewohnt, mit haufenweise Pferden und damit immer angegeben? Und wenn ich mich recht erinnerte, war sie in Geschichte die totale Null gewesen, sie hatte das doch nur wegen des feschen Mathias gewählt.
Mathias – in den waren fast alle Mädchen verschossen gewesen. Ich schlug seine Charakteristik auf und betrachtete das Foto. Naja, der Traum einer Achtzehnjährigen! Heute würde er mich kalt lassen, wenn er immer noch so aussah. Vielleicht war er natürlich auch stilvoll gereift?
Ich stieg wieder aus dem Bett und warf meinen Rechner an. Gut, dass ich mir gleich die neue Telefonbuch-CD geholt hatte; installieren musste ich sie freilich noch.
Also: Gabi Zünth wohnte immer noch unter der gleichen Adresse. Eigentlich bedauernswert. Dabei fiel mir ein, dass ich auch genau da wohnte, wo ich zur Zeit des Abiturs gewohnt hatte. Peinlich?
Nora wohnte in der Altstadt, offensichtlich alleine, kein Mitbewohner, keine Namensänderung. Der schöne Mathias hatte damals wohl nicht angebissen?
Der wiederum wohnte in der Nähe des Autobahnkreuzes West. Recht miese Gegend - war das ein ideologisches Statement oder hatte er es zu nichts gebracht?
Alexander war auch im Geschichts-LK gewesen, der Trauerkloß. Der hatte sich offensichtlich für eine Wiedergeburt von Lord Byron gehalten – schön und melancholisch. Uninteressant. So, wie er aussah, war er heute Schauspieler in einer Seifenoper und wusste keine einzige Jahreszahl mehr. Besser war ich ja eigentlich auch nicht, musste ich zugeben. Allerdings wohnte er nicht weit von meiner Villa entfernt.
Sabine fand ich nicht im Telefonbuch. Aber sie hatte doch Rüschenberger geheißen? Die Eltern waren hier auch nicht mehr gemeldet. Sie war doch immer mit Peter Hofmann zusammen gewesen… Ich probierte es mit Hofmann-Rüschenberger: tatsächlich! Wie konnte man sich nur einen derartigen Doppelnamen zulegen? Der passte doch in kein Formular, und wenn man an der Kasse eine ec-Quittung unterschrieb, hielt man den ganzen Betrieb auf.
Karen, das Kleinkind. Stimmte ja, die hatten wir immer verarscht, weil sie nie schwänzen konnte. Sie war die ganze Kollegstufe hindurch noch nicht volljährig gewesen. Eigentlich arm dran, wenn man es so recht überlegte. Ich klickte in die CD. Tizianstraße, auch nicht weit weg, und offenbar auch noch solo. Hatte sie nicht immer einen braven Zopf getragen, oder einen Knoten? Na, dann war es ja kein Wunder!
Was machte ich hier eigentlich? Ich verachtete meine KlassenkameradInnen, weil sie nicht verheiratet waren? Als ob ich einen Kerl vorzuweisen hätte! Und überhaupt – wer sagte schließlich, dass Verheiratetsein etwas Gutes war? Ich musste offenbar dringend ins Bett.
Den Freitag handelten wir etwas kürzer ab. Ich nervte im Vorübergehen die Arbeiter am Pavillon, die noch mit dem Gießen der Kellerdecke beschäftigt waren, und holte den nächsten Schwung Fotos ab, Simon besorgte uns die Unterlagen für den Wettbewerb, was die Book-Box-Baulücke betraf, wir bastelten ein bisschen an den Treppenhausentwürfen herum, wobei Simon ein viel schönerer Entwurf für das Fußbodenmosaik gelang, und ich erzählte von meinen Funden.
„Ist ganz interessant. Aber denk dran, wir haben noch mehr Projekte, verzettele nicht zuviel Zeit damit, die Vergangenheit des Hauses zu erforschen. Ja, wenn du etwas über die Originaleinrichtung herausfinden könntest, das wäre nützlich!“
„Hab ich bis jetzt meine Arbeit vernachlässigt?“, giftete ich quer über den Flur. „Ich mache das auf jeden Fall in meiner Freizeit, und da kann ich ja wohl machen, was ich will, oder?“
Er zuckte die Schultern. „Wenn´s dir Spaß macht. Hast du am Wochenende nichts Besseres vor?“
„Doch, klar, ich treffe mich mit jeder Menge alter Freunde!“
„Schön für dich. Viel Spaß dabei.“
Verstand er keine Ironie? Ich schnaubte. „Sag mal, macht es dir nichts, wenn ich jetzt schon gehe? Ich hab für die Zweiuhrmaschine gebucht.“
„Nein, hau schon ab. Grüß Berlin von mir! Und amüsier dich gut!“
Er warf mir einen misstrauischen Blick zu und griff nach seiner Reisetasche. „Hoffentlich bist du am Montag wieder besser drauf!“
„Was soll das heißen?“ Er stand schon in der Tür. „Na, zwei Tage Familie helfen dir vielleicht, deine Batterien aufzuladen. Gute Erholung!“ Seine Finger schlossen sich so fest um den Griff seiner Tasche, dass die Knöchel weiß hervortraten. Hatte ich etwas Falsches gesagt?
„Danke. Bis Montag.“
Nein, offenbar doch nicht. Ach, warum sollte ich mir über Simon den Kopf zerbrechen! Der lag in einigen Stunden schon mit seiner Tanja im Bett. Was hatte ich eigentlich in den letzten Tagen? Hohn und Spott für die Singles aus meinem Abiturjahrgang, Neid auf Simon, der wenigstens am Wochenende verheiratet war – hatten Mamas Tiraden mich vergiftet? Ich wollte doch gar keinen Mann. Höchstens mal was Nettes fürs Bett, ein Pausenhäppchen. Für mehr blieb doch gar keine Zeit! Vielleicht waren das verspätete Frühlingsgefühle – aber jetzt? In zwei Wochen war Pfingsten!
Auf jeden Fall sollte ich morgen mal Gabi Zünth anrufen.
Ich schickte Doris nach Hause – Am Freitagnachmittag passierte ja doch nicht mehr viel, und zur Not wurde ich mit irgendwelchen Problemen auch alleine fertig.
Dann schloss ich meine Schublade auf und legte die Dokumente vor mich hin. Ich beschloss, solange sonst nichts los war, das Tagebuch und die Briefe zu transkribieren, sofern es mir