Ein Haus mit Vergangenheit. Elisa Scheer

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Название Ein Haus mit Vergangenheit
Автор произведения Elisa Scheer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783737552776



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zu tun, bevor wir nicht die alten Fotos bekommen hatten. Also konnte ich ins Waldburgviertel fahren und mich mit meinem Lieblingsprojekt befassen.

      Die Arbeiter gruben fleißig im Garten herum, um die Wasserleitungen und den Stromanschluss freizulegen. Ich half ihnen, das schmiedeeiserne Gartentor auszuhängen und hinter dem Haus zu lagern, damit es nicht beschädigt wurde. Die Einfahrt sicherten wir stattdessen mit den Baustellenzäunen, die schon herumlagen, und einem fetten Vorhängeschloss.

      Ich besprach den Einbau zusätzlicher Steckdosen in allen Etagen mit dem Elektriker und erklärte der Heizungs- und Wasserfirma, was ich haben wollte. Übrigens waren die Rohre tatsächlich aus Blei und mussten sofort raus.

      Schwieriger war es, dem Heizungsbauer klar zu machen, dass wir zwar die Heizkörper ersetzen mussten, ich aber auf dem altmodischen Modell bestand. „Frau Lenz, es gibt doch jetzt so elegante, flache Geräte, die sehen viel moderner aus. Und sie sind sogar preiswerter als diese alten Dinger!“

      „Mag ja alles sein, Herr Rummel, aber die passen hier nicht hinein. Ich brauche später auch die altmodischen eckigen Waschbecken, damit alles zum Haus passt. Also, die ganz normalen breit gerippten Heizkörper. Anständige Thermostate dürfen Sie aber schon einbauen. Ich werde mir in den Bädern auch gescheite Mischbatterien gönnen, nicht etwa die alten getrennten Hähne.“

      „Also dann könnten Sie aber doch auch gleich moderne Heizkörper - “

      „Nein, Herr Rummel, bitte nicht. Sie haben doch das alte Modell auch noch?“

      „Logisch! Wir haben alles! Und was wir nicht haben, können wir blitzschnell besorgen.“

      Darauf war er stolz. Sehr nützlich, an diesem Stolz konnte man ihn notfalls packen! Er ging mit seinen Leuten wieder an die Arbeit, und ich stieg in den Keller hinunter. Dort wickelte ich sicherheitshalber Klebeband um den alten Schrank, bevor ich daran ging, ihn auseinander zu nehmen. Dann stellte ich mich in Positur und hob vorsichtig den obersten Aufsatz ab. Es tat einen lauten Knall, das Klebeband riss sofort und die linke Tür krachte mir auf den Kopf. Ich taumelte, den schweren Aufsatz in der Hand, und sank gegen die gegenüberliegende Wand. Puh, was für ein teuflisches Ding!

      Mühsam richtete ich mich wieder auf und lehnte den Aufsatz an die Wand. Glücklicherweise war das Türscharnier nicht herausgebrochen, die Tür stand, wenn auch schief, immer noch auf dem Eisendorn im Bodenteil. Ich nahm sie vorsichtig heraus und lehnte sie neben den Aufsatz. Nun die zweite Tür...

      In der Ecke sammelte sich ein Stapel Regalbretter, darauf lag die Kleiderstange.

      Nun, da Licht in die muffigen Tiefen fiel – und wie dreckig alle Teile waren! – sah man, dass die Rückwand ein Loch hatte, regelmäßig rechteckig war sie ausgeschnitten und das ausgeschnittene Teil klebte in der Lücke, als hätte da jemand eine Geheimtür gebastelt. Ich grinste über mich selbst – wohl zu viele Kitschromane gelesen? Es fehlte ja nur noch, dass ich in diesem Haus nach einem Priesterversteck suchte! Wären wir in England, täte ich das vielleicht sogar. Das musste ich mir näher ansehen, sobald der Schrank fertig zerlegt war.

      Ich nahm die Seitenteile und die Mitteltrennwand heraus; allmählich waren die Wände voll mit schmutzigweiß gestrichenen Holzteilen, vielleicht sollte ich den Kram nach oben schaffen, in den Salon. An der Unterseite der Mitteltrennwand konnte man sehen, dass das Holz ursprünglich dunkel gewesen war, etwa so wie das monströse Buffet. Ich zog die Schubladen aus dem Boden – leer – und zerrte das Bodenteil von der Wand weg, nachdem ich die beiden Rückwände herausgezogen hatte. Ob ich diesen Schrank wohl jemals wieder zusammensetzen könnte? Andererseits gab es hier ja wohl genügend Hilfskräfte. Sehr schlau, wirklich - nun wusste ich nicht mehr, auf welcher Höhe das Geheimfach in der Rückwand gewesen war! Ich suchte den Rückwandteil heraus und hielt ihn in ungefähr der richtigen Höhe an die Mauer. Nichts zu sehen...

      Nun, wahrscheinlich hatte der Schrank ursprünglich ganz woanders gestanden, bevor er zum Kellerschrank degradiert worden war. Und dort war dann wohl auch irgendein Versteck in der Wand. Oder eine Geheimtür... Ich fing ja schon wieder zu spinnen an!

      Sicherheitshalber tastete ich aber die Wand hinter dem Schrank sorgfältig ab. Ein Ziegel war locker. Hoffentlich nicht mehrere, sonst müsste man hier womöglich noch neu mauern! Das war zwar keine tragende Wand, die war gegenüber, aber trotzdem wäre es ärgerlich. Wir hatten doch alles geprüft und auch den Maurermeister herangezogen!

      Der Stein war sehr locker, rundherum fehlte auch der Zement. Ich zog an ihm, aber die Lücken waren für meine Finger zu schmal. Gut, dann eben anders! Ich rannte hinauf und lieh mir einen Spachtel, dann rannte ich zurück und schob den Spachtel vorsichtig unter den Ziegel. Nun konnte ich ihn tatsächlich herausziehen. Eigenartig, der Ziegel war nur halb so tief wie normal. Und dahinter war eine zweite Wand, anscheinend hatte man die Wände verstärkt, um bei einem Volltreffer besser vor einem Einsturz geschützt zu sein. Die reinste Mausefalle, dieser Keller, es gab ja auch keinen zweiten Ausgang, nur durch das Haus! Das Fenster war für normal dicke Menschen viel zu klein, und außerdem war es vergittert. Nun, damals vielleicht noch nicht, und auf Lebensmittelkarten konnte man sich wohl auch keinen besonderen Ranzen anfressen. Trotzdem – ich hätte hier nicht bei Alarm sitzen mögen. Arme Elise! Hatte sie daher den Schlag, den ihre Neffen ihr unterstellt hatten?

      Zurück zum Ziegelstein! Ich wog ihn in der Hand. Warum war er so flach? Vielleicht sollte dahinter ein Hohlraum bleiben – aber dahinter war doch gar nichts? Ich fasste vorsichtig hinein, immer in der Angst, eine Ratte würde mich beißen, und tastete herum. Nichts... nur Staub. Halt, was war das? Ich tastete weiter und erwischte etwas Papierähnliches, dann offenbar einen Nagel. Ruckartig zog ich die Hand heraus: Es blutete. Hatte ich eigentlich eine gültige Tetanusimpfung? Ich konnte mich an das letzte Mal gar nicht mehr erinnern, kein gutes Zeichen.

      Auf ein Neues! Dieses Mal erwischte ich das Papier und zog es vorsichtig heraus. Es war ein ganzer Packen, mit einem blassen Stoffbändchen – ehemals rosa? Nicht mehr zu erkennen – verschnürt. Sehr interessant! Aber darunter war noch etwas. Ich tastete behutsam herum, nicht dass ich wieder an den Nagel geriet, und fühlte Pappe, jedenfalls etwas Festeres als Papier. Mühsam praktizierte ich es nach draußen. Eine Art Buch... Ich steckte alles in eine Plastiktüte und dann in meine Tasche und verließ den Keller wieder.

      Hambacher und alle anderen versicherten mir, heute müssten sie nicht mehr in den Luftschutzkeller, also konnte ich die Unordnung so liegen lassen und verschwinden. Zwei Ecken weiter hatte ich einen Allgemeinarzt gesehen, der sogar noch Sprechstunde hatte.

      Er reinigte die Wunde, die ziemlich lächerlich aussah, pflichtete mir aber bei, dass man mit Tetanus nicht vorsichtig genug sein konnte, und verpasste mir eine Spritze. Ich versprach, bei Gelegenheit meinen Impfpass vorbeizubringen.

      „Wo haben Sie sich das denn geholt? Sie sehen aus, als seien Sie durch eine Höhle gekrochen.“

      „So ähnlich“, gab ich zu, „wir renovieren gerade ein Haus in der Galileistraße, und der Keller ist dermaßen siffig, na, kein Wunder.“

      Der Arzt, ein älterer Herr, setzte sich gemütlich zurecht. Offenbar war ich die letzte Patientin vor der Mittagspause gewesen. „Die Wiedemanns renovieren? Sie meinen doch das Schlösschen?“

      „Schlösschen? Sehr passend! Aber die Wiedemanns haben verkauft.“

      „Das war zu erwarten. Hartmuts Kinder konnten die alte Elise ja noch nie leiden. Vielleicht war´s das schlechte Gewissen, wer weiß...“ Ich sah ihn freundlich interessiert an, hütete mich aber, seine Erinnerungen zu unterbrechen. Dann fiele ihm ja doch nur seine Schweigepflicht ein!

      „Hartmut war ein blöder Hund. Meine Eltern kannten die Familie ein bisschen. Er war wirklich ein Hundertzehnprozentiger, und wie er die Elise gequält hat, wegen ihres Joachim und auch wegen der armen Elsa Wolf...“

      Elsa Wolf! Aha, wenigstens ein Name.

      „Was aus den Wolfs wohl geworden ist, nach sechsunddreißig? Ich glaube, sie gingen nach Österreich...“

      Er tauchte aus seinen Erinnerungen wieder auf. „Aber das kann Sie ja alles gar nicht interessieren. Ich schreibe Ihnen hier ein Flüssigdesinfektionsmittel auf,