Ein Haus mit Vergangenheit. Elisa Scheer

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Название Ein Haus mit Vergangenheit
Автор произведения Elisa Scheer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783737552776



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ist ein schmutziges Geschäft“. Warum Herr Wolf so betrübt dreinsah, verstand ich nicht, Elsa wollte es mir auch nicht erklären. Vielleicht hatte sie das auch nicht kapiert? Das Haus, in dem Wolfs wohnen, ist wunderschön, wie ein kleines Schloss. Elsas Großeltern haben es gebaut, hat sie mir erzählt, und mir Fotos von ihren Großeltern gezeigt, in einem schönen Album aus echtem Leder. Viel schöner als unsere Pappdinger!

       Hartmut grinst wie ein Honigkuchenpferd und sagt dauernd: „Jetzt hörst du hoffentlich endlich auf, dich mit dieser grässlichen Elsa zu treffen. Freunde dich doch mit Margit aus deiner Klasse an, die hat die Zeichen der Zeit verstanden.“

       „Margit ist eine blöde Pute“, antwortete ich, „eine Streberin und Langweilerin. Wenn eine schon freiwillig Blockflöte spielt! Und nachmittags hängt sie immer mit diesen Gänsen herum.“

       „Mit diesen Gänsen wirst du in Zukunft auch herumhängen, ab jetzt gehst du regelmäßig zu den Jungmädeln, ist das klar?“

       „Nie! Wer sagt das überhaupt?“

       „Ich sage das!“

       „Du, und wer noch?“, fragte ich, denn Hartmut hat mir schließlich gar nichts zu sagen!

       Daraufhin hat er mir doch glatt eine geknallt, und als ich heulend zu Mama lief und mich beschwerte, seufzte sie nur und sagte, Hartmut hätte mich nicht schlagen sollen, aber ich muss wirklich zu den Jungmädeln, das ist jetzt irgendwie Vorschrift. Ich sagte, ich gehe dort nur hin, wenn Elsa mitgeht, aber Mama guckte traurig und meinte, Elsa würden sie dort nicht aufnehmen. So ein Mist! Und ich hasse Hartmut mehr als je zuvor.

      Ja, genau das war zu erwarten gewesen. Allmählich musste Elise doch auffallen, dass Elsa Jüdin war? Zumindest erhärteten alle meine Informationen diese Hypothese. Ich speicherte diesen Eintrag ab und wählte erst einmal die Nummer von Gabi Zünth. Sie war sogar zu Hause und freute sich, von mir zu hören, sobald ihr wieder einfiel, wer ich war. „Wie wär´s, wenn wir uns mal treffen, zum Ratschen?“, schlug ich vor.

      „Ja, gerne! Heute gleich?“

      Warum nicht? Ich konnte schließlich nicht das ganze Wochenende an den Dokumenten sitzen, da wurde ich ja trübsinnig! Und so viel konnte ich zu Hause an den anderen Projekten auch nicht arbeiten.

      „Gut, sagen wir um halb sieben – und wo? Ich bin noch nicht so lange wieder hier, ich kenne nicht viele Kneipen.“

      Am anderen Ende wurde offenbar heftig nachgedacht. „Wie wär´s mit dem Florian? Oder ist dir das zu teuer?“

      „Nein, das ist okay, das kenne ich. Da ist das Essen ziemlich gut, finde ich. Gut, um halb sieben – ich freu mich!“

      Sehr gut, dann hatte ich wenigstens heute Abend doch mal etwas vor! Mit frischen Kräften bastelte ich weitere Entwürfe für den Mosaikboden in der Peutingergasse, plante, wie weit wir in der nächsten Woche – Mist, Donnerstag war Feiertag, und Freitag waren dann sicher alle krank, Vatertag oder verlängertes Wochenende – kommen sollten, zeichnete einiges für die Book-Box-Entwürfe und dachte über ein Modell nach. Sollten wir das selbst basteln oder einem Modellservice übergeben? Die schossen jetzt ja wie die Pilze aus dem Boden und würden uns viel Zeit sparen. Ich notierte mir, dass ich Simon danach fragen musste.

      Mittags kochte ich heute, damit Mama auch mal frei hatte. Das Fischgratin schmeckte ihr offenbar, jedenfalls nahm sie sich zweimal.

      „Ich wusste gar nicht, dass du kochen kannst“, frotzelte sie, als sie die Form auskratzte.

      „Ich kann schon, aber ich tu´s selten. Auch in Berlin war ich meist erst gegen sieben daheim, da hatte ich für große Aktionen keine Energie mehr. Aber es wird dich freuen, dass ich heute Abend mit einer ehemaligen Mitschülerin verabredet bin, zum Tratschen.“

      „Sehr nett. Wer ist es denn?“

      „Gabi Zünth. Kennst du, glaube ich, nicht. Ich hab sie zuerst angerufen, weil sie die Adressen des ganzen Jahrgangs verwaltet, also denke ich, sie weiß am meisten über die anderen. Kann aber auch sein, dass sie alle Kontakte verloren hat. Das sehe ich ja dann. Aber früher hatte ich mit ihr wenig zu tun.“

      „Nein, nur mit Saskia und Fritzi, nicht?“

      „Ja, aber Saskia lebt in Hamburg und von Fritzi habe ich zum letzten Mal kurz vor dem Diplom gehört. Vielleicht weiß Gabi, wo sie hingeraten ist. Ich hab noch Lust auf eine Mousse au Chocolat, du auch?“

      „Danke, mein Rock kneift schon. Ist das ein Fressanfall?“

      „Vielleicht. Hör mal, das wolltest du doch? Schwierigste Aufgabe der Welt – es der eigenen Mutter Recht zu machen...“

      „Tu dir nur Leid, du Arme. Ich besuche nachher Conny, kommst du mit?“

      Ich schüttelte den Kopf. „Ich möchte noch weiter übertragen. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich diese Materialien bald brauchen werde.“

      Den ganzen Nachmittag über las und tippte ich und kam bis zum Frühjahr 1936. Deprimierend! Vater Wolf war offenbar Anwalt und musste seine Kanzlei aufgeben, Elsa wurde von der Schule verwiesen, Elise, die dagegen protestierte, bekam richtigen Ärger – vor allem zu Hause - , die Wolfs mussten ihr Personal entlassen (im Zuge der Nürnberger Gesetze) und unterlagen allen Schikanen, an die ich mich noch aus dem Geschichtsunterricht erinnerte. Die beiden Söhne gingen auf eine völlig überfüllte jüdische Schule, Elsa blieb zu Hause. Zunehmend kam es zu Debatten, ob man das Land verlassen sollte oder ob es so schließlich nicht weitergehen konnte. Elise besuchte die Wolfs immer noch fast täglich, erzählte zu Hause aber einen Haufen Lügen, wo sie angeblich gewesen sei.

      Man merkte an der Sprache und an dem zunehmend informierteren und bissigeren Unterton, dass Elise langsam erwachsen wurde. Als ich meine Unterlagen zuklappte, war sie immerhin fast siebzehn.

      Ich wusste jetzt, dass die Wiedemanns in der Bonifatiusstraße wohnten – ein ganz hübscher Weg jeden Tag zu Elsa. Wenn ich mich recht erinnerte, verlief sie vom Univiertel nach Osten bis auf die Kirchfeldener Landstraße und war größtenteils mit lockeren Wohnblöcken aus den fünfziger Jahren bebaut. Hieß das, dass ihr Wohnhaus einen Volltreffer abbekommen hatte? Die Hausnummer stand nicht im Tagebuch – warum auch, wer notierte denn so etwas?

      Ich packte alles weg und zog mich um. Gabi wollte ich nicht in Baustellen- oder Wochenendkluft entgegentreten, also entschied ich mich für saubere sandfarbene Jeans, ein passendes T-Shirt und einen schwarzen Blazer. Ich bürstete mir sogar gründlich die Haare und arrangierte sie mit einem schwarzen Samtband zu einem lockeren Knoten, der sich im Lauf des Abends wahrscheinlich ohnehin auflösen wurde. Make up? Ein bisschen vielleicht, Puder und dunkelgrauer Kajal. Damit sahen meine Augen noch babyblauer aus als ohnehin. Lippenstift lieber nicht, ich hatte eh schon einen riesigen Mund, fand ich. Nur Gloss drauf, das reichte. Ganz ordentlich, fand ich, als ich mich im Spiegel betrachtete, etwas mickrig vielleicht. Mit höheren Absätzen sähe ich sicher eindrucksvoller aus, aber nicht, wenn ich damit stolperte und auf die Schnauze fiel. Also schwarze Ballerinas, die einzigen Schuhe, an denen absolut kein Zement klebte.

      Vor dem Florian gab es natürlich keinen Parkplatz, also kam ich fünf Minuten zu spät. Um diese Zeit war das Lokal aber noch ziemlich leer, dann konnte es ja nicht allzu schwierig sein, Gabi zu finden. Ich erinnerte mich an ein rundes Gesicht und braune Locken. Ich sah mich ratlos um – niemand sah so aus, wie ich Gabi in Erinnerung hatte.

      „Huhu! Hier!“

      Erleichtert wandte ich mich um und eilte zu dem Tisch in der Ecke. Das war Gabi? Die hatte sich vielleicht verändert! Ich rutschte auf die Bank ihr gegenüber. „Grüß dich, Gabi.“

      „Du hast dich überhaupt nicht verändert, Babsi. Das kann man von mir nicht sagen, was?“

      „Naja... wenn ich ehrlich bin, nicht ganz.“

      Gabi war ziemlich dick geworden und sah nicht so aus, als trüge sie die Fülle mit Stolz. Sie hatte tiefe Schatten um die Augen, glanzloses Haar, eine stumpfe Haut – da half auch