Название | Ein Haus mit Vergangenheit |
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Автор произведения | Elisa Scheer |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783737552776 |
„Sie wollen einen Kostenvoranschlag für die Fassadengestaltung und den Jugendstil-Hauseingang. Hier, schau es dir mal an, das sind die Pläne des Eingangsbereichs. Und sie schicken uns alte Fotos, wie das Ganze vor der misslungenen Renovierung aussah. Lass dir was einfallen!“
Ich grunzte. Immerhin, unser dritter Auftrag, wenn man nicht zu genau nachrechnete. Ich zeichnete eine Zeitlang an dem Hauseingang herum, dann zog ich die Fotos, die ich von der Fassade schon im Album hatte, durch den Kopierer, bis sie in DIN A 2 auf dem Tisch lagen, und begann damit, die Kopien in verschiedenen Zusammenstellungen zu kolorieren. Pastelltöne auf weiß sähen auch hübsch aus, mit silbernen Details abgesetzt. Aber zu der grässlichen McDonald´s-Leuchtreklame passte das gar nicht. Richtig bunt wäre da schon besser, authentischer auch... Später mal die Software ausprobieren… Ich malte vergnügt vor mich hin und entwarf schließlich noch eine Jugendstil-Schwingtür für den Hausflur. So etwas müsste man dann wohl einzeln anfertigen lassen... „Simon? Ich gehe in der Peutingergasse Fotos machen, auch wie der Hausflur jetzt aussieht. Und dann muss ich in die Galileistraße... Kommst du hier alleine zurecht?“
„Klar doch!“
Na, hoffentlich nicht zu gut mit Frau Knaur, die ihm immer noch zarte Blicke zuwarf und irgendwie täglich attraktiver wurde. Die braunen Haare bekamen von Tag zu Tag einen stärkeren goldenen Schimmer, sie selbst war schon hübsch braun gebrannt und vergaß mittlerweile, ihre Bluse bis obenhin zuzuknöpfen. Simon schien das überhaupt nicht zu bemerken, aber vielleicht tat er nur so, wenn ich in Sichtweite war. Eigentlich konnte es mir auch egal sein. Um die Knaur wäre es nur schade, sie hatte sich gut eingearbeitet. Aber solange sie nicht unter Liebeskummer litt und bei der Arbeit patzte…
Das Treppenhaus in der Peutingergasse war abgesperrt, ich musste erst den Hausmeister suchen, damit er mich fotografieren ließ. Er beäugte mich dabei sehr misstrauisch, als hätte ich vor, seinen Putzeimer zu stehlen, wenn er nur einen Moment wegsah. „Wozu soll das gleich wieder gut sein?“
„Der Eigentümer will den Hauseingang wieder so gestalten lassen, wie er ursprünglich aussah“, erklärte ich zum dritten Mal.
„So ein Schmarrn“, murrte er, „wo es doch grad renoviert worden ist.“
„Das ist doch mehr als fünfzehn Jahre her, und authentisch ist es auch nicht.“
„Authentisch?“
„Es sieht nicht mehr so aus, wie es vom Stil her aussehen sollte. Das ist doch Jugendstil! Die Fassade ist auch falsch gestrichen, viel zu fad.“
„Soll die etwa auch geändert werden?“
„Ja, wenn wir den Auftrag kriegen. Keine Sorge, das Hausinnere ist ansonsten nicht betroffen.“
„Sie machen das alles ohne Auftrag?“ Mehr hatte er anscheinend nicht mitgekriegt.
„Ich brauche die Fotos für die Entwürfe, die müssen wir schon vorher machen. Wenn sie dem Kunden gefallen, kriegen wir den Auftrag.“
„Und wenn nicht?“
„Haben wir Pech gehabt.“
„Scheiß-Job. Warum suchen Sie sich nicht etwas anderes?“
„Mir macht das Spaß.“ Ich grinste ihn an und fotografierte ihn, wie er da mit skeptischem Gesicht stand, auf den Wischmopp gestützt. „Bis jetzt haben wir auch jeden Auftrag bekommen. Und Sie kriegen das Bild, wenn es fertig ist, ja? Ich bringe es in den nächsten Tagen vorbei.“
Er musste lachen. Es konnte nie schaden, mit dem Hausmeister gut zu stehen, ein mürrischer Hausmeister konnte die Arbeiten recht nachhaltig stören. Ich winkte ihm zu und verschwand in die Galileistraße.
Die Hambacher-Crew war schon fleißig zugange, wie man an den zum Teil aufgestemmten Wänden sah. Ich lobte sie, wie man einen guten Hund lobt, und verschwand in den Keller. Bis jetzt hatten die Handwerker nur um den Heizungsraum und den Sicherungskasten herum gewerkelt und draußen nach der Wasserzufuhr gegraben. Da war aber neben dem Vorratskeller noch ein großer Raum, mit einer Eisentür verriegelt. Eigenartig. Ich drehte die Riegel, die sich mit dem zischenden Geräusch einer Luftdruckbremse lösten. Ach, klar – ein Luftschutzkeller, nachträglich eingebaut!
Drinnen fand sich auch die passende Eisenverkleidung für das hoch liegende kleine Fenster; aber die Einrichtung war nicht direkt so, wie man das von historischen Fotos kannte: Nur ein alter Schrank stand da. Die Türen öffneten sich quietschend und mir kam ein Schwall muffiger Luft entgegen. Im Schrank lagen ein Paar verstaubter Lederhandschuhe und ein Persianermuff, in den eindeutig die Motten gekommen waren. Äh!
Davon abgesehen war der Schrank leer. Hässlich war er nicht, er stammte wohl aus der Entstehungszeit des Hauses, um 1885 herum, schätzte ich. Der weiße Anstrich war natürlich scheußlich, aber man konnte ihn ja abbeizen; als Garderobenschrank wäre er sicher brauchbar. Oder im Erdgeschoß, für zusammengerollte Pläne... Auf den Sperrmüll sollte er jedenfalls nicht!
Ich zerrte ein bisschen an ihm herum, um zu sehen, ob ich ihn von der Wand rücken konnte, aber er war zu schwer. Wahrscheinlich musste man ihn abbauen, solche Schränke waren oft einfach zu zerlegen. Darauf hatte ich heute keine Lust mehr. Und die Leitungen verliefen nicht an dieser Wand, das hatte ich den Plänen schon entnommen. Außerdem konnte man es auch sehen, denn hier unten war fast nichts unter Putz verlegt.
Ich klopfte mir die staubigen Hände an den Jeans ab und stieg die Treppe ins Erdgeschoss hinauf. Was stand hier noch an Möbeln herum? Die beiden Sessel waren eigentlich schön, wenn man sie neu beziehen ließ – und wenn das Innenleben noch okay war. Ich klopfte kräftig auf die Sitzfläche. Eine Staubwolke stieg auf, die mich husten ließ. Nun, die sollte sich einmal ein Polsterer anschauen, aber noch nicht jetzt. Das geschnitzte Buffet an der Wand war abgrundtief hässlich, aber andererseits auch wieder ganz witzig. Ich setzte mich auf den Boden und überlegte. Parkett, weiße Wände, zarter Stuck an der Decke, moderne Schreibtische, Rechner, Kabelsalat – und dazu dieses Monster an der Wand, vielleicht für Bürobedarf? Es war sogar breit genug für einen Tischkopierer...
War das Ungetüm wenigstens leer oder hatten die verschlampten Wiedemanns noch ein paar zerbrochene Teetassen darin liegen gelassen? Ich öffnete die Schubladen. Leer, bis auf verblichenes und eingerissenes Schrankpapier. Die Fächer an der Seite waren ebenfalls leer. Wie kam eigentlich der Staub ins Innere? Im mittleren Teil lagen einige braune Mappen. Ich nahm sie vorsichtig heraus und setzte mich in einen der wuchtigen Sessel. Die neuerliche Staubwolke ignorierte ich, so gut es ging. Das waren ja Fotoalben! Wunderschön... Verblasste, sepiafarbene Aufnahmen, in weißem Sütterlin auf schwarzem Fotokarton sorgfältig beschriftet. Ich konnte die Schrift nicht besonders gut lesen, aber Mama konnte mir dabei sicher helfen, die hatte das noch in der Schule gelernt.
Im Hintergrund vieler Aufnahmen war das Haus zu sehen, düster wie eine Villa aus einem Edgar-Wallace-Film, aber das mochte an den leicht unterbelichteten Schwarzweiß-Aufnahmen liegen. Jahreszahlen aus den späten Dreißigern und frühen Vierzigern, ein etwa sechzigjähriger Mann im dunklen Anzug. Dann ein jüngerer Mann, in Uniform. Auf dem Foto wirkte die Uniform verdächtig dunkel. Die war doch nicht etwa schwarz? Der Kerl war doch nicht etwa in der SS? Wie peinlich für die Familie Wiedemann – wenn das überhaupt ein Wiedemann war!
Unter den Fotos einer etwas deprimiert wirkenden jungen Frau in den frühen Zwanzigern – obwohl, die Mode von damals machte ganz schön alt – stand etwas, was ich sogar in Sütterlin lesen konnte: Ich.
War das dann wohl Elise Wiedemann, die vor eineinhalb Jahren gestorben war? Und warum guckte sie so betrübt?
In einem anderen Album, etwas edler in dunkles Leder gebunden, fanden sich noch ältere Fotos einer anderen Familie, zunächst steife Gestalten in der Mode vor der Jahrhundertwende, dann offenbar ein Weltkrieg –I – Teilnehmer mit Pickelhaube und ernster Miene, der kurz nach Kriegsende geheiratet hatte (die Braut schaute, als bereue sie es schon), Familienfotos mit einer Tochter und zwei Söhnen, alle ungemein niedlich mit dunklen Löckchen und hellen Kulleraugen. Ein etwas späteres Bild der Tochter – reizend, wirklich – trug die Unterschrift Elsa. Daneben stand etwas, das ich schließlich als Meine beste