Das Erbe der Ax´lán. Hans Nordländer

Читать онлайн.
Название Das Erbe der Ax´lán
Автор произведения Hans Nordländer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738037159



Скачать книгу

tue es nur, weil du ein Priester des Virdh bist und ich erwarte, dass du darüber schweigst. Schließe deine Augen.“

      Die Stimme wartete nicht darauf, dass Trywfyn sein Wort gab. Sie setzte es einfach voraus und sie wusste, dass sie es tun konnte.

      Trywfyn tat, was die Stimme von ihm verlangt hatte.

      Er erwartete nur ein Bild, aber plötzlich stand er inmitten eines gewaltigen Saales. Und es war vollkommen anders, als Trywfyn es sich immer vorgestellt hatte. Allerdings war vor ihm kein lebender Ogmari an diesem Ort gewesen, soweit er wusste und alle Bilder, die in der Vorstellung der Ogmari über die Hallen der Ahnen vorhanden waren, entsprangen ihrer Phantasie.

      Für Trywfyn waren die Hallen der Ahnen stets ein Ort gewesen, an dem die verstorbenen Ogmari an langen Bänken saßen, aßen und tranken. Ein Ort der Freude, wo gelacht und gesungen wurde, erfüllt von schönerer Musik, als sie auf Elveran mit ihren irdischen Instrumenten spielen konnten. Männer und Frauen saßen zusammen und Kinder spielten zwischen den Reihen. Ein Ort also, der sich nicht sehr von ihrer Welt auf Elveran unterschied.

      Ogmarische Männer, Frauen und einige Kinder sah er tatsächlich, aber sie saßen in kleinen Gruppen an einzelnen Tischen zusammen und sie beschäftigten sich in einer Weise, wie es zu irdischen Lebzeiten nur ausgesprochene Eigenbrötler taten.

      Es war sehr ruhig. Nur ein Murmeln und Raunen lag in der Luft und nur selten stand ein Ogmari auf und ging umher. Es herrschte keine Heiterkeit, aber Trywfyn verspürte auch keine Bedrückung. Andacht war die beste Beschreibung der Stimmung in der Halle. Trotzdem war das Murmeln kein Beten. Die Gesichter der Verstorbenen waren ernst, aber gelassen.

      Trywfyn ging langsam durch die Reihen. Keiner seiner verstorbenen Volksgenossen blickte auf oder ließ sich durch seine Gegenwart stören. Sie schienen ihn noch nicht einmal zu bemerken, nicht einmal, als er sich an einen Tisch stellte, um zu schauen, was sie taten. Ein Ogmari kam auf ihn zu und Trywfyn wich ihm ein wenig aus. Ohne ihn zu beachten, ging er an dem Edoral vorbei.

      Vor jedem Ogmari lag ein Buch. Das war außergewöhnlich, gehörte Schreiben und Lesen doch nicht gerade zu den bevorzugten Tätigkeiten irdischer Erdmenschen. Sie lernten es zwar, da es einer alten Tradition entsprang, wandten es später aber kaum noch an, was einer neueren Tradition entsprach. Die Bücher waren allesamt aufgeklappt, aber was Trywfyn darin sah, verwirrte ihn, denn er konnte weder Schrift noch Bilder entdecken. Jedes Buch, das er sich näher betrachtete, zeigte ihm nur leere Seiten. Trotzdem schien jedem Ogmari sein Buch etwas zu bedeuten und studierte es in andächtiger Versenkung. Dann hörte Trywfyn wieder die bekannte Stimme.

      „Nichts in den Büchern ist für die Augen eines anderen bestimmt“, erklärte sie. „Du wirst darin nichts finden und jeder von ihnen nur etwas in seinem eigenen Buch. Es ist das vertraulichste Eigentum eines jeden Ogmari. Es ist sein Leben, das darin aufgezeichnet wurde. Auch du wirst eines Tages ein solches Buch erhalten. Es ist bereits in dir angelegt. Und nun komm wieder zurück.“

      Trywfyn öffnete seine Augen, und das undurchdringliche grüne Licht umgab ihn wieder. Gründel hockte immer noch reglos neben ihm und blickte ihn aufmerksam an.

      „Wer schreibt die Lebensgeschichten auf?“, fragte Trywfyn in die Luft.

      „Ihr selbst“, erklärte die körperlose Stimme. „Jeder schreibt seine eigene Lebensgeschichte. Das Buch ist das einzige, was ihr mit euch nehmt, wenn ihr Elveran verlasst. In dieser Form wird euch euer Leben noch einmal vorgelegt.“

      „Aber was ist der Sinn davon?“

      „Es wäre noch zu früh, es dir jetzt schon zu erklären. Du wirst den Sinn erkennen, wenn du einst über dein Leben nachdenken wirst.“

      Trywfyn musste glauben, was die Stimme ihm erklärte. Aber verstehen konnte er es nicht und ihm wurde klar, dass es ihn davor grauste, auf ewig, zumindest bis zum großen Auszug, vor einem Buch zu sitzen und fortwährend darin lesen zu müssen. Er hoffte, dass es nicht so lange dauern würde wie sein Leben selbst.

      Wieder erscholl das Lachen durch die Halle.

      „Oh, du Unwissender“, sagte die Stimme belustigt. „Hattest du denn deine Augen verschlossen? Wo waren denn die Verzweiflung und die Bedrückung, die du jetzt fürchtest?“

      Trywfyn konnte es nicht sagen.

      „Ich will versuchen, es dir zu erklären, obwohl du es nicht verstehen wirst. Die Hallen der Ahnen, wie du sie nennst, sind ein zeitloser Raum. Minuten zählen nach Tagen und Jahre nach Stunden. Keiner von euch fühlt die Dauer seines Aufenthaltes und der Erste dort wird seine Anwesenheit dort kaum als länger empfinden als derjenige, der als Letzter dort ankommen wird. Eure Heimkehr wird keine Erlösung aus einem ewigen Gefängnis bedeuten, sondern nur das Ende eurer irdischen Reise. Du wirst es einst selbst erfahren und dann feststellen, wie Recht ich hatte.“

      Die Stimme hatte jetzt schon Recht. Das verstand Trywfyn aber noch nicht, obwohl er als Priester in mehr geheimnisvolle und verborgene Dinge eingeweiht war als die gewöhnlichen Ogmari.

      „Wo liegen die Hallen der Ahnen?“, fragte er und blickte dabei an die unsichtbare Höhlendecke.

      „Sie sind kein Ort auf Elveran. Sie sind überhaupt kein Ort. Was du gesehen hast, ist eher ein Zustand, der für irdische Ogmari nicht erreichbar ist. Nur durch meine Hilfe war dir der Anblick möglich.“

      Trywfyn wusste nicht recht, ob er über diese Großzügigkeit dankbar sein sollte. Vielleicht wäre es besser gewesen, er wäre ihm verwehrt worden. Aber er argwöhnte, dass die Stimme damit irgendetwas bezweckte. Dass sie auf seine gedachte Vermutung antwortete, wunderte ihn nicht.

      „So ist es“, bestätigte sie seine Gedanken. „Aber noch nicht sofort. Meine Absicht liegt in der Zukunft.“

      „Sagst du mir wenigstens, wer du bist und was diese Halle hier bedeutet? Warum durfte ich hier hinein und Dran nicht?“

      „Deine letzte Frage wird sich eines Tages aus dem Geschauten beantworten. Solange habe Geduld. Und was mich betrifft, so dachte ich, du hättest es bereits erraten.“

      Die Stimme schwieg. Trywfyn versuchte vergeblich, in all dem, was er in diesen Stunden erlebt hatte, eine Antwort zu erkennen.

      „Also gut, ich werde dir weiterhelfen. Das macht Spaß, wenn es auch ein wenig mühsam ist. Ich bin der Geist Elverans. Ich bin der Schöpfer Elverans. Ich habe diese Welt geschaffen, die euch und mit euch den Menschen und allem, was an ihrer Oberfläche ist, zur Verfügung gestellt wurde. Warum sollte ich mich sonst Herr über alles Werden und Vergehen nennen, zumindest, was Elveran betrifft. Darin liegt kein verborgener Sinn.“

      „Und dann willst du kein Gott sein?“, fragte Trywfyn.

      Die Stimme lachte.

      „Nein. Ich war nie einer und werde nie einer sein. Und ich bin zufrieden mit dem, was ich bin. Nenn mich lieber einen Freund. Wenn ich ein Gott wäre, dann wäre das Universum voll von Göttern. Was würde dann aus all den anderen Wesen? Ich arbeite im Auftrag, und wenn ich hier fertig bin, bekomme ich einen neuen. Diese Halle in ihrer Erscheinung bin ich. Ich habe keinen Körper. Du befindest dich gerade in mir. Ich hoffe, das ist dir nicht unangenehm. Doch lassen wir es dabei bewenden, sonst werden wir hier nie fertig.“

      „Dran und ich sind bisher die einzigen Ogmari, die dich gefunden haben?“

      „Und Drans Begleiter. Die anderen Wesen sind jetzt nicht von Belang.“

      „Menschen?“

      „Die Frage kannst du dir selbst beantworten, wenn du den Tunnel, der dich hier herunterführte, als einzigen Zugang für Wesen von der Oberfläche Elverans begreifst. Außerdem hat dir Gründel bereits die Antwort darauf gegeben.“

      „Dann werden es keine gewesen sein“, schloss Trywfyn und in seiner Stimme schwang eine gewisse Erleichterung mit, denn nun war er sicher, dass dieses Geheimnis ein weiteres in der Existenz des ogmarischen Volkes war, das zu einem bedeutenden Ereignis führen würde. Es musste einfach so sein.

      „Eben. Und sie werden mich nicht finden, solange