Название | Verwandte und andere Nervensägen |
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Автор произведения | Elisa Scheer |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783737562836 |
„Wahrscheinlich ist ihr Unterricht gar nicht lehrplankonform“, schlug Luise vor. „Wir sollten mal die Deutsch-Fachbetreuung anspitzen.“
Dienstag, 21.11.2006 15:00
Allmählich reichte es ihr auch, dachte Luise, als sie sich streckte. Einem Referendar klar zu machen, warum seine Art, den Kongruenzbeweis einzuführen, umständlich und nicht altersgerecht war, kostete wirklich Zeit. Und den Vorschlag, die Aufgaben vorher zu Hause durchzurechnen, um nicht selbst unter verstohlenem Gekicher der Siebtklässler an der Tafel zu scheitern, war auch nicht wirklich auf Gegenliebe gestoßen.
„Machen Sie das etwa so?“, hatte er arrogant gefragt.
„Nein“, hatte Luise gesagt, „ich verrechne mich nämlich nicht. Außerdem hab ich logischerweise mehr Routine als Sie. Stellen Sie sich vor, Dr. Eisler hätte Ihre Vorstellung heute gesehen, was glauben Sie, wie sich das auf die Beurteilung auswirkt?“
Der Referendar hatte die Achseln gezuckt. „Na und? Mathematiker werden händeringend gesucht, egal wie der Durchschnitt aussieht.“
„Solange er wenigstens viernull ist, mag das stimmen“, hatte Luise scharf geantwortet, und er hatte blöde gelacht. „Na, durchfallen werde ich schon nicht!“
„Warum wollen Sie eigentlich Lehrer werden?“, hatte Luise daraufhin gefragt. „Aus Liebe zum Fach oder zu den Schülern ja wohl nicht, was?“
Er hatte frech gegrinst. „Aber aus Liebe zur Freizeit!“
Da fiel einem wirklich nichts mehr ein – man konnte nur hoffen, dass die Lehrprobe wirklich eine Fünf war, dann hatte er nämlich ein ernsthaftes Problem.
Das Mariengymnasium hatte jede Menge netter, engagierter und kompetenter Lehrer im Kollegium, aber heute hatte sie nur die Idioten getroffen. Und diese unsägliche Lichwitz hatte schon wieder ihre Bestellliste für die selbst eingemachten Marmeladen und Oliven ans Schwarze Brett gehängt, wo der Krempel nichts zu suchen hatte – nachher dachte noch irgendein Frischling, man müsse den Mist kaufen!
Luise nahm die Liste ab und pinnte sie ans Personalratsbrett. Sollten die sich die Lichwitz doch mal zur Brust nehmen!
Und sie würde jetzt nach Hause fahren, außer ihr war ohnehin niemand mehr da. Naja, nebenan im Direktorat schon noch, aber die wurden dafür auch deutlich besser bezahlt. Und sie würde sich ein nettes Ex für die siebte Klasse ausdenken und dann gemütlich ein bisschen zu Hause herumpusseln. Ja, und Valli anrufen, ob Johannes jetzt wieder aufgetaucht war und was er zu erzählen hatte!
Auf dem Weg nach draußen warf sie einen Blick auf den Vertretungsplan – oops, fehlten da morgen viele! Vier waren auf Fortbildung, zwei mit Kursen auf Exkursion, drei im Mutterschutz und sieben krank. Bei insgesamt rund achtzig Kollegen machte das summa summarum exakt zwanzig Prozent. Dann hatte sie selbst doch bestimmt… genau, morgen in der fünften die 8 b in Vertretung. Garantiert hatten die morgen nichts dabei, weil sie das angeblich nicht gesehen hatten, und schlugen dann vor, Hausaufgaben machen zu dürfen. Ja, nix! Sie würde ein gepflegtes Übungsblatt mitbringen. Im Geiste machte sie sich eine Notiz.
Krank – was die Leute bloß immer hatten? Sie selbst hatte noch nie einen Tag wegen Krankheit gefehlt, sie wusste gar nicht, was man da machen musste – zum Arzt gehen und sich krank schreiben lassen? Auch, wenn man bloß Kopfweh hatte? Wie sollte der Arzt rauskriegen, ob das überhaupt stimmte?
Gut, dass man morgens um halb sechs keine rechte Lust hatte, das kannte sie auch, aber dann ging man die Tagespflichten durch – in der einen Klasse letzte Stunde vor der Schulaufgabe, für die andere schon ein Ex gebastelt, zwei Schulaufgaben herausgabefähig, eine fertig zum Ablegen, mit Sowieso was zu besprechen, mehrere Anrufe, die von der Schule aus zu tätigen waren – wenn man zu Hause blieb, blieb so viel liegen, also ging krankfeiern gar nicht. Es passte eben nie!
Bei anderen offenbar schon. Oder die waren richtig krank, so mies beisammen, dass sie sich solche Fragen schon gar nicht mehr stellten.
Wahrscheinlich hatte sie selbst einfach nur Glück, dass ihr eben nie etwas fehlte. Auch wenn sie ihre Gene nicht kannte, schienen sie gut zu sein. Eigentlich merkwürdig: Mama war doch, so weit sie zurückdenken konnte, immer nur mit ihrer Gesundheit beschäftigt gewesen – also offenbar krank, wenn Luise auch nicht genau wusste, was ihr gefehlt hatte. Wahrscheinlich irgendein Krebs. Aber sie war mit vierunddreißig gestorben – war das für Krebs nicht fast ein bisschen jung? Und ihr Vater – tja. Der, den sie dafür gehalten hatte, war pumperlgesund, wenn auch stets schlecht gelaunt und besonders zu ihr unfreundlich. Kein Wunder, wenn sie ein Kuckucksei war! Und der, der´s wohl wirklich war, war ihr völlig unbekannt. Vielleicht keine guten Gene, sondern ein gesundes Leben?
Aber so toll lebte sie nun auch wieder nicht. Gut, etwas Joggen, etwas Fitness, nicht viel zu essen, keinen Alkohol, kein Nikotin, kein Sex, keinen emotionalen Stress. Wahrscheinlich war´s das – kein Stress, keine Krankheiten.
Dazu würde passen, dass Valli mindestens einmal pro Saison eine ordentliche Grippe hatte und Luise sich noch nie angesteckt hatte.
Irene fehlte selten, aber bestimmt zwei, drei Tage pro Schuljahr – und Lisa? Schwer zu sagen. Außerdem hatte sie für eine Theorie ohnehin zu wenige Daten. Sie sah auf die Uhr – jetzt hatte sie hier gut zehn Minuten herumsinniert! – und durchquerte die mit schmutzigem Marmor ausgelegte Halle. In den Ecken lagen Schokoriegelverpackungen und zerknüllte Papierservietten, die der Pausenaufräumdienst wohl übersehen hatte. Wer hatte denn diese Woche – na klar, 10 d. Die hatten mal wieder sehr flüchtig gearbeitet! Morgen mahnende Worte sprechen.
Draußen pfiff ein schneidend kalter Wind. Luise stellte den Kragen ihres Mantels hoch und hastete um die Ecke zum Parkplatz. Besser gesagt – sie wäre gehastet, wenn sich ihr nicht jemand in den Weg gestellt hätte.
„Luise?“
Gereizt blieb sie stehen. „Ja? Max, was willst du denn hier? Hast du Kinder hier an der Schule?“
„Ich warte auf dich. Seit zwei Stunden übrigens.“
„Dein Problem, wie kommst du darauf, dass ich schon um halb zwei fertig bin?“
„Endet der Unterricht nicht mehr um eins?“
„Hängt von der Jahrgangsstufe ab. Der Kollegstufenplan zum Beispiel sieht am Tag dreizehn Stunden vor, das geht dann bis halb sieben. Ist aber am Ende meistens bloß Sport, weil die Halle sonst überlastet ist. Müssen wir das hier besprechen? Hier zieht´s ganz schön.“
„Aber nein. Gehen wir was trinken?“
„Ich dachte eigentlich bloß, gehen wir um die Ecke auf den Parkplatz, da ist es windgeschützter und ich kann das schwere Scheusal ins Auto packen.“ Sie zog los, ohne sich umzusehen, ob er ihr folgte.
Er folgte ihr. „Unterrichtest du Sport?“
„Sehe ich so aus? Sportlehrer tragen Trainingsanzüge, haben weniger Gepäck und kommen wirklich erst um halb sieben aus der Halle. Ich unterrichte Mathematik und Wirtschaft/Recht. Hast du zwei Stunden gewartet, um mich das zu fragen?“
„Warum bist du so pampig?“
„Bin ich das? Entschuldige. ich habe nur kein großes Interesse daran, Leute aus meiner Kindheit wieder zu treffen. Das gestern hat mir wirklich gereicht.“
„Das habe ich sowieso nicht verstanden – warum herrscht da so eine gereizte Stimmung?“
„Vielleicht, weil uns dieser dämliche Notar zwangsweise zusammen gesperrt hat. Ohne mich hätten sich gestern alle über ihr Erbe gefreut, und ich war da doch wirklich völlig überflüssig.“
„Wieso? Du bist doch immerhin Franks Schwester, oder?“
„Das weiß ich nicht. Wenn du gestern aufgepasst hättest“, sie ließ den Kofferraumdeckel aufschwingen und hievte die Tasche hinein, „wüsstest du, dass Frank mich, als ich rausgeworfen wurde, als Bastard bezeichnet hat. Bin ich aber ein Bastard, bin ich offenbar nicht seine Schwester.