Verwandte und andere Nervensägen. Elisa Scheer

Читать онлайн.
Название Verwandte und andere Nervensägen
Автор произведения Elisa Scheer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783737562836



Скачать книгу

Die spickten wie die Raben, allerdings ohne viel Geschick. Ob wohl wieder jemand aus Gruppe B die Rechnungen von A aufs Blatt schreiben und es nicht mal merken würde?

      Schließlich war auch das erledigt, die Angabe steckte in einer Klarsichthülle und die in der richtigen Mappe, alles wurde wieder in der Tasche verstaut und Luise konnte sich – schon mit leise knurrendem Magen – ihren Terminplaner vornehmen.

      Gar nicht so arg – vier Stunden plus eine Vertretung, dann konnte sie das Ex gleich morgen korrigieren. Offen war nur noch die WR-Klausur, die sie heute erst zurückgegeben hatte (lange Gesichter – wie üblich bei den falschen Leuten). Ausnahmsweise keine Besprechungen, keine Unterrichtsbesuche, keine Fortbildungen – nur eine lumpige Pausenaufsicht.

      Sie war so richtig schön auf dem Laufenden – dann konnte sie sich ja jetzt eigentlich eins dieser fettfreien Süppchen kochen und sich einen Film reinziehen? Nein, zuerst ein bisschen laufen. Eine halbe Stunde wenigstens, ein paar Mal rund um den Waldburgplatz, das reichte.

      Sie schlüpfte in Trainingsanzug und Laufschuhe, steckte ihren Schlüssel und etwas Geld ein und trabte gemächlich los. Ab und zu kam ihr jemand entgegen, den sie vom Laufen kannte, dann nickte sie gemessen und trabte weiter. Schön… die kalte, feuchte Luft wirkte nach dem Schulstaub richtig erfrischend, der Spätnachmittagsnebel, der zwischen den großen alten Bäumen aufstieg, verlieh dem Platz ein gespenstisches Aussehen, und das blaue Licht, das schwächlich durch den Nebel blinzelte, erinnerte sie daran, dass dort hinten der Drogeriemarkt war, bei dem es immer die wunderbarsten Schaumbäder gab. Ein, zwei Fläschchen konnte sie sich gönnen, wenn die halbe Stunde vorbei war.

      Dass Johannes ausgerechnet jetzt seine Freiheit ausleben wollte? Was hieß denn ausgerechnet jetzt, tadelte Luise sofort ihren Denkfehler, für ihn und Valli war gestern ein Tag wie jeder andere gewesen. Nur sie selbst war ganz von der Rolle, weil die Lemuren aus der Vergangenheit ein kurzes Gastspiel gegeben hatten.

      Es war doch ein kurzes Gastspiel? Eine einzige Vorstellung hoffentlich nur? Wenn Max es sich zur Gewohnheit machte, dauernd vor der Schule herumzulungern, würde es lästig werden. Und die ständigen Anrufe von Brandstetter auch. Den würde sie nachher zurückrufen und ihm ein für alle Mal klar machen, dass es ihr blendend ging und er sich diesen Pflichtteil sonst wohin stecken konnte.

      Bloß gut, dass nicht auch noch Frank und Philipp zum Hörer gegriffen hatten, die waren die allerunsympathischsten von der ganzen blöden Bande.

      Nein, die würden heilfroh sein, dass das ganze Kapital in der Firma blieb und niemand etwas abgeben musste, die würden sich hüten, ihr den Pflichtteil aufzudrängen. Und diese Angela machte einen recht geldgeilen Eindruck, fand Luise, als sie zum fünften Mal am Denkmal von Sigismund von Waldburg vorbeitrabte. Schluss mit diesen Gedanken, die Erholung war nur perfekt, wenn man an etwas Schönes oder an gar nichts dachte.

      Am besten an gar nichts, etwas Schönes fiel ihr nämlich nicht ein – außer ihrem perfekt abgehakten Zeitplanbuch.

      Also versuchte sie auf den letzten beiden Runden an nichts zu denken und joggte dann eher gemächlich in Richtung Drogeriemarkt, wo sie längere Zeit vor dem Regal mit den Schaumbädern verweilte. Blutorange und Rose/Yasmin – perfekt. Zu Hause angekommen, streifte sie den Jogginganzug, das schweißfeuchte T-Shirt und die ebenfalls feuchte Unterwäsche ab, duschte flüchtig und schlüpfte in uralte, aber ganz weiche Jeans und ein ebenso abgetragenes Sweatshirt. Sie kam sich vor wie in der Weichspülerwerbung, es fehlte bloß noch der Holzsteg mit Blick über den abendlichen See.

      Zufrieden ging sie in die Küche. Nein, kein fettfreies Süppchen, die waren ja möglicherweise gesund, aber unglaublich langweilig. Sie hatte heute eine Menge geschafft, war brav gejoggt und hatte außer ihrem Pausenbrot (gut, Vollkornbrot mit fettfreiem Schinken, weniger fettfreiem Käse, Salat und Tomaten, ein richtiger Sattmacher) noch gar nichts gegessen. Jetzt gab es etwas Richtiges! Naja, richtig – mit dem Selbermachen hatte sie es nicht wirklich, also gab es tiefgefrorene Gemüsepfanne mit ein paar Nudeln.

      Und danach… Golden Eye? Stolz und Vorurteil? Casablanca? Alles viel zu anstrengend. Sie trug den Teller ins Wohnzimmer, stellte ihn auf den Tisch und legte die erste Staffel Kommissar Rex ein. Das kannte sie, das war harmlos und dauerte nicht lange. Sicher, man könnte auch etwas Wertvolles lesen, überlegte sie, als sie mit der linken Hand den Film startete und mit der Rechten ein paar Nudeln und Bohnen aufgabelte, aber dazu hatte sie heute wirklich keine Lust.

      Sie aß und guckte und fand diese hirnlose Beschäftigung herrlich entspannend – bis das Telefon läutete.

      Sie nahm ab. „Valli?“

      „Was – äh, nein. Hier ist Brandstetter. Frau Wintrich?“

      „Ja“, gab Luise ungern zu. „Herr Brandstetter, mein Essen wird kalt. Wenn ich nicht gedacht hätte, es sei etwas Wichtiges, wäre ich gar nicht drangegangen. Zum allerletzten Mal, ich will keinen Pflichtteil und ich wünsche keinen Kontakt mit den übrigen Herrschaften Wintrich. Ist das jetzt klar?“

      „Sie sollten das nicht überstürzen, Frau Wintrich!“

      „Müssen wir das jetzt klären? Ich hab keine Lust, mein Essen nachher wegzuwerfen und hungrig ins Bett zu gehen.“

      „Ja, aber gerade dann sollten Sie doch eine so beträchtliche Summe nicht einfach -“

      „Hören Sie eigentlich schlecht? Ich möchte jetzt essen und nicht über Geld reden!“

      Sie knallte den Hörer auf die Gabel und kehrte zu ihren lauwarmen Nudeln mit Gemüse zurück. Beim nächsten Läuten blieb sie einfach sitzen, sie konnte Valli ja nachher zurückrufen. Zwanzigmal, der Typ war regelrecht unverschämt!

      Als sie aufgegessen hatte, trug sie ihren Teller in die Küche und spülte ihn sorgfältig ab, dann schaltete sie im Wohnzimmer den DVD-Player aus, weil sie ohnehin schon den Löwenanteil der Folge verpasst hatte, und rief bei Valli an.

      „Und? Hast du vorhin bei mir angerufen?“

      „Nein, das war ich nicht. Die bei der Polizei haben die Vermisstenmeldung aufgenommen, aber sie haben ziemlich dämlich gegrinst, das hat man sogar durchs Telefon gemerkt. Kleines Frauchen beklagt sich, dass ihr der Ernährer durchgebrannt ist. Als ich gesagt habe, dass er auch nicht in der Arbeit war – unentschuldigt! – waren sie schon etwas aufmerksamer. Aber ich soll Geduld haben, haben sie gemeint. Geduld!“

      „Die suchen doch jetzt nach ihm“, versuchte Luise sie zu beruhigen, „aber so schnell geht das alles nicht. Zumindest kriegen sie schneller raus als du, ob er in irgendeinem Krankenhaus liegt oder so.“

      Valli seufzte. „Ja, mag sein. Was kann da bloß los sein? So was hat er wirklich noch nie gemacht. Gut, in letzter Zeit war er ziemlich komisch, aber so was?“

      „Inwiefern komisch?“, fragte Luise. Vielleicht kam man so der Lösung ja näher!

      „Ach, so zurückgezogen. Und dann hat er sich das Haus angeschaut und geseufzt. Und wenn ich gefragt habe, was los ist, ob wir ein Geldproblem haben, hat er nur gemeint, ich soll mich nicht aufregen, er kriegt das schon geregelt. Und seit Freitag war er dann ziemlich aufgekratzt.“

      „Habt ihr denn Geldprobleme? Das Haus ist ja schon ziemlich riesig, nicht?“

      „Wem sagst du das – was glaubst du denn, wer es putzen darf? Er wollte sein Traumhaus, wenn er schon nicht seinen Traumjob hat.“ Sie seufzte. „Manchmal denke ich, wir hätten damals nicht sofort heiraten sollen. Und vielleicht nicht sofort gleich drei Kinder kriegen sollen. Er war eindeutig zu jung.“

      „Na, du schon auch! Ich hoffe, deine Kinder sind nicht in Hörweite?“

      „Keine Sorge, Alex ist auf so einem Kommunikationstrainingskurs von der Schule, Vicky bei einer Freundin und Maggie im Reitclub, wie immer. Wenn sie schon kein Pony hat, will sie doch wenigstens anderer Leute Ponys die Hufe auskratzen. Dabei sollte sie dringend mal was für die Schule tun! Ich sag dir, dieses G 8!“

      „Mir musst du nichts erzählen, ich bin auch davon betroffen. Wo hapert es denn bei ihr?“

      „Zweite