Verwandte und andere Nervensägen. Elisa Scheer

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Название Verwandte und andere Nervensägen
Автор произведения Elisa Scheer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783737562836



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vor sich hin, druckte sogar schon die ersten Tafeln aus und laminierte sie (das Laminiergerät aus dem Billigmarkt war mindestens so gut wie das Ding in der Schule, wo man die Taschen für teures Geld einzeln bei der Sekretärin kaufen musste) und breitete sie dann tief befriedigt auf ihrem Schreibtisch aus. Schön… das würde den Zwerglein Spaß machen! Und lernen würden sie dabei auch etwas, und zwar reichlich.

      Jetzt brauchte sie nur noch die Arbeitsaufträge und die restlichen Tafeln.

      Das Telefon klingelte wieder.

      Verdammt noch mal!

      Lautlos Verwünschungen murmelnd griff Luise nach dem Hörer und sah zugleich auf die Uhr. Halb neun, da konnte man eigentlich noch nicht schimpfen. Leider.

      Vielleicht war ja Valli wieder dran. Lieber Himmel, hoffentlich war Johannes nichts zugestoßen!

      Sie nahm ab und hörte eine unbekannte Männerstimme. „Ist dort Luise Wintrich?“ Sie bejahrte das etwas unwirsch.

      „Hier ist Philipp Hölzl. Du erinnerst dich an mich?“

      „Ich bin nicht bescheuert. Wir haben uns gestern beim Notar gesehen. Was gibt´s denn?“

      Leises Lachen am anderen Ende. „Warum so kratzbürstig? Ich dachte nur, wir könnten uns ein bisschen besser kennen lernen…“

      „Wozu?“, fragte Luise misstrauisch.

      „Wie – wozu? Gehören wir nicht irgendwo zur gleichen Familie? Alleine schon wegen HSW?“

      „HSW geht mich nichts an. Und ich möchte jetzt nicht plötzlich eine Familie haben. Ich hatte fünfzehn Jahre lang keine und das war das reinste Paradies.“

      Leicht übertrieben, aber das musste dieser Schmalzbubi ja nicht wissen.

      „Deshalb könnten wir doch mal etwas trinken gehen?“

      Luise verdrehte die Augen. „Was versprichst du dir davon? Ich bin gar nicht an näheren Kontakten interessiert.“

      „Trotzdem…“

      „Und wenn du mir ausreden willst, den Pflichtteil zu beanspruchen, kannst du dir die Spucke sparen, ich will die Kröten sowieso nicht. Hat sich die Sache damit erledigt?“

      „Aber nein“, kam die die geschmeidige Antwort, „es geht mir doch nicht ums Geld!“ Ach nee…!

      „Wie wäre es denn jetzt gleich? Jetzt ist es kurz vor neun, die ideale Zeit, um noch auf einen Sprung auszugehen. Vielleicht in der Bar des Russischen Hofs?“

      „Ich finde es ja ein bisschen spät, aber wenn´s sein muss. Auf ein einziges Glas, verstanden? Und dann ist bitte endlich Ruhe im Karton.“

      „Du bist wirklich eine ungewöhnliche Frau. Aber, na gut. In einer Viertelstunde?“

      Luise stimmte seufzend zu und sah dann betrübt an sich herab. Schon wieder umziehen – nicht dass sie es Philipp nicht gegönnt hätte, sich ordentlich für sie zu genieren, aber in Uraltjeans kam man im Russischen Hof zwar auf sein Zimmer, aber keinesfalls ins Restaurant oder in die Bar.

      Sie zog einen dunkelgrauen Hosenanzug an, bürstete sich die halblangen schwarzen Locken streng zurück und fasste sie im Nacken mit einer Spange zusammen, parfümierte sich so maskulin wie möglich, warf Geld, Handy und Schlüssel in die flache schwarze Ledertasche und trottete missgelaunt zum Auto. So was Überflüssiges!

      Dienstag, 21.11.2006 21:00

      Der Russische Hof war so altmodisch-plüschig wie immer, die Fossilien in der Halle waren alle zwischen achtzig und scheintot und beäugten sie tadelnd. Frauen in Hosen hatten die wohl noch nie gesehen? Immerhin hatten sie mittlerweile keine Portiers mehr, die allein auftretende Damen sofort wieder rauswarfen. Luise lächelte, als sie an den Skandal dachte – 1996 hatte einer der Portiers die Vorsitzende der örtlichen F.D.P. wie eine Edelnutte behandelt und vor die Tür gesetzt. Die hatte das publik gemacht, und ab sofort betrat keine einzige Frau mehr den Russischen Hof. Niemand kam zum Essen, außer ein paar verschreckten einsamen Männern, die Mundpropaganda funktionierte hervorragend, das Tourismusbüro warnte Reisende vor dem Russischen Hof, und der Laden war kurz vor der Pleite, vor allem, weil immer wieder jemand auf die Fenster sprayte Nur für Herren. So schnell konnten die gar nicht putzen, und es ging sogar das Gerücht, eine Polizeistreife habe die Sprayerin einmal ertappt, aber ganz aus Versehen laufen lassen, weil die Dienst habende Polizistin im entscheidenden Moment leider in die andere Richtung geschaut hatte.

      Schließlich musste der Russische Hof akzeptieren, dass allein stehende Frauen nicht automatisch nach Freiern suchten, und sich seine albernen Vorschriften abschminken. Aber ein modernes First-class-Hotel war er trotzdem nicht, eher ein Monument der frühen fünfziger Jahre. Mit sehr bescheidenem Charme.

      Immer noch lächelnd, betrat Luise die Bar und entdeckte Philipp sofort. Er winkte ihr von einem Barhocker herab entgegen und hatte wirklich mal einen Haarschnitt nötig. Luise entfernte das Lächeln aus ihrem Gesicht und setzte eine dienstliche Miene auf.

      Als sie nahe genug herangekommen war, erschien auf seinem Gesicht ein strahlendes Lächeln. Sie erinnerte sich dunkel, dass er früher immer schon so stillvergnügt gegrinst hatte, als er noch mit Frank und Max die Uni unsicher machte. Arbeitete er eigentlich auch noch bei HSW? Seinem Gesülze nach ja. Eigentlich komisch, dass alle in die Fußstapfen ihrer Väter getreten waren ohne zu protestieren. So spannend waren Büro- und Schulmöbel schließlich auch nicht.

      Aber lukrativ, korrigierte Luise sich im Stillen, wenn man daran dachte, mit welch langer Miene Dr. Eisler letztes Jahr den Kostenvoranschlag für nur zwei neue Klassenzimmer studiert hatte.

      „Hallo, Philipp“, sagte sie mit sorgfältig dosierter Nicht-Begeisterung und setzte sich auf den Barhocker neben ihn, nachdem sie ihn ein wenig zur Seite gezogen hatte. Philipp strahlte sie an. „Schön, dass du gekommen bist!“

      „Wieso? Dachtest du, ich sage zu und komme dann nicht?“ Sie sah sich um. „Schöner geworden ist es hier auch nicht. Also, was gibt´s?“

      „Ich freue mich trotzdem, dass du da bist“, beharrte Philipp auf seiner positiven Grundeinstellung. Sie lächelte ihn flüchtig an und bestellte sich eine Schorle mit Grapefruitsaft, was den Barkeeper erst einmal vor Probleme stellte. Schließlich erklärte er sich mürrisch einverstanden, das Gewünschte zuzubereiten.

      „Kein Wunder, dass es hier so leer ist“, murmelte Luise, als er sich abgewandt hatte, „bei diesem Serviceeifer.“

      „Ich glaube, hier hat schon länger niemand mehr etwas Alkoholfreies bestellt“, versuchte Philipp eine Erklärung.

      „Unter der Woche? Ich muss morgen früh raus, und einen schweren Kopf brauche ich auch nicht. Außerdem bin ich mit dem Auto da.“

      „Ach, ein Glas hätte ja wohl nichts ausgemacht – oder bist du trocken?“

      „Nein. Ich mag bloß keinen Alkohol.“ Sie nahm ihr Glas entgegen und nippte daran. Philipp zündete sich eine Zigarette an und bot ihr auch eine an, sie lehnte ab. „Rauchen tust du auch nicht? Sehr tugendhaft. Eigentlich hast du ja Recht, alleine schon, was das kostet!“

      Aha, dachte Luise, nähern wir uns dem Thema? Wer nicht raucht und nicht säuft, braucht auch keinen Pflichtteil?

      „Du könntest ja aufhören“, schlug sie also mäßig interessiert vor.

      Er seufzte dramatisch. „Wenn das so einfach wäre! Was glaubst du, was ich für einen Stress habe! Da ist eine Zigarette manchmal das einzige, was entspannend wirkt.“

      „Versuch´s mal mit Joggen, das macht den Kopf schön frei.“

      „Keine Zeit. Ich sag dir, diese Firma fordert einen wirklich rund um die Uhr. Das kannst du dir nicht vorstellen, was das für eine Verantwortung ist.“

      „Ach nein? Wieso nicht?“

      „Naja, ich weiß ja nicht genau, was du arbeitest, aber nach dem, was Angela